Güstrow Stammbuch

Aus Ortschroniken
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Das Stammbuch des der Apothekerkunst Beflissenen George Friedrich Pirscher

- Entstanden im der Zeit von 1770 bis 1778 -

Stammbuch Güstrow Seite 002.jpg
Der eigene Eintrag von George Friedrich Pirscher.


Das Stammbuch hat 308 Seiten, davon sind 108 Seiten beschrieben oder mit Bildern versehen. Anzahl der erfolgten Eintragungen in das Stammbuch in den nachstehend genannten Orten: Güstrow 54, Rostock 13, Vielist 1, Wa(h)ren 2, Grünberg 6, Bützow 3


Aus dem früheren Stammbuch wurde das heutige Facebook

Güstrower Jahrbuch 2017

Dieter Kölpien / Jarochna Dąbrowska-Burkhardt / Michael Müschner


Mit der Veröffentlichung einer Studie über das Stammbuch des Apothekers George Friedrich Pirscher wurde den Lesern des Güstrower Jahrbuchs 2017 unter dem oben genannten Titel ein kleiner Rückblick in die Zeit zum Ende des 18. Jahrhunderts ermöglicht.

Der gebürtige Sommerfelder (jetzt Lubsko in Polen) George Friedrich Pirscher hatte zwischen 1770 und 1778 mehrjährige Aufenthalte in Güstrow dazu genutzt, seine Befähigung zur Eröffnung und Führung einer eigenen Apotheke ab 1775 in Grünberg (heute Zielona Góra) nachzuweisen. Die Qualifikation zum Apotheker führte zur damaligen Zeit über eine mehrjährige Arbeit als Apotheker-Gehilfe zu der privilegierten Ausübung der Tätigkeit eines Apothekers.

Über George Friedrich Pirscher selbst ist uns erst kürzlich, durch eine Recherche seines Nachfahren (Michael Müschner aus der Nähe von Berlin, - siehe auch GJB 2017-) bekannt geworden, dass er am 04.02.1747 geboren wurde und am 13.04.1828 im Alter von 81 Jahren 2 Monaten und 9 Tagen, verstarb.

Diese Information entnimmt man einer Sterbeanzeige aus dem Raum Grünberg in Niederschlesien, die im „Grünberger Wochenblatt“, in der Ausgabe vom 19.04.1828 Nr.16 gefunden wurde. Grünberger Chronisten berichten darüber, dass der hochgeachtete Apotheker Elsner durch Absturz in den Keller am Abend des 11. März 1775 „einen jähen Tod“ findet (Hugo Schmidt, S. 642). Am 1. September 1775 wird die Elsnersche Apotheke vom „Apotheker George Friedrich Pirscher aus Sommerfeld für 3035 Rthlr. erkauft“ (Hugo Schmidt, S. 643).

Hier handelt es sich unbestritten um den in Güstrow die Apothekerkunst erlernenden Vorfahren von Herrn Müschner. Während seiner Güstrower Ausbildung zum Apotheker führte Pirscher besonders intensiv ein Stammbuch, dass er im Jahre 1770 anlegte.

Über 50 Eintragungen erfolgten ab 1770 in Güstrow. Die letzten Einträge seines Stammbuches sind mit dem Datum 1778 versehen und stammen schon aus Grünberg, wo er, wie bereits erwähnt, seit 1775 eine eigene Apotheke besitzt. Davon, dass George Friedrich Pirscher seine Beziehung zu Güstrow nicht abrupt beendet, sondern wahrscheinlich zwischen dem alten und dem neuen Wohnort pendelt, zeugen mehrere Einträge aus seinem Stammbuch, die mit der Jahreszahl 1777 versehen sind und als Eintragsort Güstrow nennen.

Insgesamt findet man im Pirscherschen Stammbuch zehn solcher Einträge. Eine Eintragung (Inskription) aus Güstrow ist sogar auf das Jahr 1778 datiert, wobei zu diesem Zeitpunkt Pirscher zweifellos in Grünberg lebt und hier seine Stammbucheinträge sammelt. Zum Vergleich: fünf Inskriptionen des Stammbuches aus dem Jahre 1778 stammen aus Grünberg.

Der in Güstrow die Apothekerkunst erlernende Pirscher gehört in Grünberg bereits zur Stadtelite. Er ist der Besitzer der Löwen-Apotheke, in der direkten Nähe des Grünberger Rathauses, und geht in die Geschichte der Stadt als Wohltäter zugunsten von Schülern, Lehrer-Witwen und verschämten Armen ein. George Friedrich Pirscher stirbt im Jahre 1828 und überlässt den Besitz seiner Grünberger Apotheke noch zu seinen Lebzeiten seinem Neffen Gotthilf Walther (vgl. Kölpien / Moeller GJB 2017, S. 152).

Nach dem 2. Weltkrieg heißt Grünberg dann Zielona Góra und gehört zu Polen. In Zielona Góra befindet sich in dem Gebäude der alten Pirscherschen Apotheke weiterhin lange Zeit eine solche. Sie heißt dann „Pod Filarami” (Unter den Säulen) und ist bis zum Jahre 2017 ein Begriff für alle Bewohner von Zielona Góra, weil sie mit der Stadtgeschichte unzertrennlich verbunden ist. Im Januar 2017 wird sie aber nach fast 400-jähriger Existenz geschlossen (vgl. Gazeta Wyborcza, Płóciennik 14.01.2017).

Was sich nun nach unseren Güstrower Betrachtungen zum Pirscher-Stammbuch und durch die Kommunikation mit der polnischen Linguistik-Professorin, Dr. habil. Jarochna Dąbrowska-Burkhardt (Universität Zielona Góra / Institut für Germanistik) Interessantes weiteres ergab, wird im Folgenden von Frau Dabrowska-Burkhardt ausgeführt:

Es war eine glückliche Fügung, die mich auf die Internet-Präsenz der Herren Dieter Kölpien und Gernot Moeller führte. So erfuhr ich von der Veröffentlichung des Stammbuches von George Friedrich Pirscher im Güstrower Jahrbuch 2017. Die für die Geschichte Grünbergs in Niederschlesien (heute Zielona Góra) wichtige Persönlichkeit konnte jetzt aus einer weiteren „privaten“ Perspektive betrachtet werden. Durch den direkten Kontakt zu Herrn Dieter Kölpien, der dieses Schriftstück im Güstrower Jahrbuch 2017 publik gemacht hatte, aber auch zu dem heutigen Stammbuchbesitzer Herrn Michael Müschner, dem eigentlichen Initiator unserer gemeinsamen Studien, ergibt sich für mich als Germanistin eine wunderbare Gelegenheit am Stammbuch von Pirscher umfassend zu arbeiten.

Die Hilfsbereitschaft beider Herren sowie ihr Interesse an historischen Daten sind für mich überwältigend. Dank der gemeinsam geführten interdisziplinären Stammbuchforschung gelingt es uns, neue Erkenntnisse zur Geschichte unserer beiden Städte Güstrow und Zielona Góra und zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts zu gewinnen. Nachstehend einige Erläuterungen zur Geschichte der Stammbuchsitte.

Ein Stammbuch ist eine Art Poesiealbum, in dem man private Einträge von Freunden, Verwandten und Bekannten des Stammbuchhalters findet. Als Wiege der Stammbuchsitte gelten die protestantischen Kreise in Deutschland des 16. Jahrhunderts und genauer gesagt,

Wittenberger Gelehrte und Reformatoren, u. a. Personen aus dem Umkreis von Martin Luther, Philipp Melanchthon etc. Das Ziel eines Stammbuchs bestand im „Sammeln von Freunden“. Heutzutage bestimmen dieses „Freunde-Zusammenführen“ hauptsächlich die sozialen Netzwerke bzw. die Online-Communities zu denen Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest oder Snapchat gehören. Kurz gesagt: Stammbücher waren früher, ähnlich wie heute Facebook und andere Onlinedienste, wichtige Quellen interpersonaler Beziehungen von Personen, die nicht unbedingt im Rampenlicht der Geschichte standen.

Stammbucheinträge sind Texte, in denen die sprachlichen und außersprachlichen Elemente meist thematisch aufeinander abgestimmt sind. Eine Analyse erfordert somit die Beschäftigung mit unterschiedlichen Zeichen, d. h. nicht nur mit Wörtern und den mit ihnen zusammenhängenden Metaphern, sondern auch mit Bildern. Das Stammbuch als historisches Eintragssammelmedium besticht gerade durch seine Kurzformen. Die transportierte Botschaft muss als wirkungsvolles Mittel im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Lesers besonders komprimiert, gleichzeitig aber auch, auffällig präsentiert werden. Unsere gemeinsame Untersuchung betrifft zwei mehrsprachige Stammbücher. Eins ist das bereits erwähnte Stammbuch von George Friedrich Pirscher, der die Apothekerkunst in Güstrow erlernt.

Das zweite gehört einem Grünberger Bürger Samuel Reiche. Das Spannende dabei: beide Männer sind Zeitgenossen, kennen sich und verewigen sich auch gegenseitig in ihren Alben. Das Stammbuch von Samuel Reiche befindet sich heute in der Manuskriptsammlung der Universität Wrocław (früher Breslau) und zählt 178 Seiten. Samuel Reiche war Kreissteuereinnehmer in Grünberg, kam 1735 zur Welt und hatte großes Interesse an der Stadtgeschichte. Er beginnt sein Stammbuch im Dezember 1756 zu führen und sammelt hauptsächlich die Einträge von den Bürgern Grünbergs. Beide analysierten Stammbücher zeichnen sich durch ein besonders interessantes und buntes Layout aus. Als Motiv für das „Sammeln von Freunden“ gilt auch die Dokumentation von Beziehungskreisen. Die spannende Entdeckung der beiden Stammbücher, in denen sich u. a. die beiden Freunde gegenseitig verewigt haben, spornt uns an, weitere Nachforschungen, sowohl zu den damaligen Stadtgeschichten Güstrows und Grünbergs anzustellen, als auch weitere Einblicke in die Denkweise bzw. die damalige Mentalität der Bildungsbürger zu gewinnen. Untersuchungswürdig sind in diesem Zusammenhang selbstverständlich die einzelnen Inskriptionen, wobei wir hier nur einen kurzen Blick auf die Einträge von Samuel Reiche für George Friedrich Pirscher und von George Friedrich Pirscher für Samuel Reiche werfen wollen. Samuel Reiche verewigt sich im Stammbuch von Pirscher am 17. August 1778 mit den Worten des Psalms 18, V: 31, 32.

„Gottes Wege sind vollkommen; die Reden des Herrn sind durchläutert. Er ist ein Schild allen, die ihm vertrauen. Denn wo ist ein Gott außer dem Herrn? Oder ein Hort, außer unserm Gott?“

Samuel Reiche bedient sich in seinem Eintrag eines Bibelzitats, einer Praxis, die vor allem im protestantischen Raum ausgeprägt ist. Die Bibel gilt als Richtmaß und Lehrbuch für das damalige tägliche Leben. Man kann vermuten, dass die von Samuel Reiche ausgewählte Bibelstelle eine Verhaltensregel für den Alltag vermittelt. Im Gegenzug trägt sich George Friedrich Pirscher erst 40 Jahre später, d. h. am 28. Juni 1818 ins Stammbuch von Samuel Reiche ein. Er bedient sich dabei folgender Worte:

„Du, den ich Freund seit 43 Jahren nenne, Dich als den Redlichen u Gottesfürchtgen kenne; Laß auf dem kurzen Pfad von Gott uns zugewiesen, Uns nie vergessen. Möge Dir die kurze Spanne Zeit, die uns die Vorsehung hiernieden noch vergönnt, so ruhig und ungetrübt verfliest als es Dein thätig u fromm vollbrachtes Leben verdient. Dies der aufrichtige Wunsch Deines alten Freundes Pirscher“

Die interdisziplinäre, grenzüberschreitende Arbeit an den beiden erwähnten Stammbüchern wurde durch einen Besuch des Ehepaares Kerstin und Michael Müschner aus Ahrensdorf bei Berlin und des Herrn Dieter Kölpien aus Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern auf Einladung von Prof. habil. Dr. Jarochna Dąbrowska nach Zielona Gȯra im August 2019 vertieft und führte zu einer sensationellen Feststellung. Der mit der Familie Dabrowski befreundete polnische Historiker im Ruhestand, Dr. Stanisław Kowalski aus Zielona Gȯra, hatte in der von den Güstrowern Dieter Kölpien und Gernot Moeller 2017 veröffentlichen Dokumentation zum Stammbuch Pirscher die grafische Darstellung des ehemaligen Grünberger Rathauses aus dem Jahre 1778 entdeckt, die eine Antwort auf die bisher unbekannte Beschaffenheit des Baudenkmals nach einem Brand von 1590 gibt und eine Wissenslücke zwischen den Formensprachen Gotik und Klassizismus schließt.

Diese sensationelle Erkenntnis wurde in Anwesenheit der Leiterin des Amtes für Denkmalpflege der Stadt, Frau Dr. Barbara Bielinis-Kopeć und weiterer Wissenschaftler und Journalisten aus Zielona Gora mit unserer Zustimmung gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert. Die Bekanntgabe der gemeinsam erarbeiteten Feststellungen aus der grenzüberschreitenden Studie erfolgte auf Einladung von Prof. Dr. habil. Jarochna Dąbrowska-Burkhardt, am 16.08.2019, in der elterlichen Wohnung in Anwesenheit ihrer Eltern Stefan Dąbrowski und der ältesten Tochter Ewa Burkhardt.

Die Herzlichkeit der Begegnung im Familienkreis der Professorin, die üppige Bewirtung und das erfolgreiche Bemühen unserer polnischen Gastgeber, uns in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins auch noch einige Sehenswürdigkeiten zu zeigen, war für uns deutschen Gäste sehr bewegend und wird uns nachhaltig als ein wertvolles Erlebnis gelebter europäischer Nachbarschaft in Erinnerung bleiben.

''Literatur Hugo Schmidt, 1922, Grünberg, Festgabe zum 700-jährigen Stadtjubiläum, Grünberger Verlags-Druckerei Paul Keppler, Grünberg Schlesien 1922 Gazeta Wyborcza, Płóciennik 14.01.2017'' Güstrower Jahrbuch 2017. Güstrower Verlags GbR, 2016

Es ist durch uns Ortschronisten beabsichtigt, neben dieser für das Güstrower Jahrbuch 2017 gestalteten Version auch die originale Version zu erstellen, die dann alle Seiten, auch die Leerseiten und deren Platzierung erfasst. Da die Leerseiten im Original alle mit einer Bleistifteintragung versehen sind, lassen sich durch diese Angaben alle Seiten des Originals eindeutig bestimmen. Damit kann diese Vollständigkeit des Original-Stammbuches verwandt werden, um ggf. eine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung nach multimodalen Grundsätzen zu ermöglichen, wie sie uns von der polnischen Germanistin Jarochna Dabrowska-Burkhardt empfohlen wurde. Eine Digitalisierung des Stammbuches durch die Universität Rostock wurde empfohlen.

Digitalisierung des Stammbuches

Durch die Zusammenarbeit von Michael Müschner, Dieter Kölpien, Hilde Stockmann und Dirk Herrmann konnte im Jahr 2023 das Stammbuch als Nachdruck, sowie eine bearbeitete Version inklusive sämtlicher Transkriptionen in gedruckter Form erscheinen. Diese beiden Versionen werden hier auch digital zur Verfügung gestellt.