Rohrdach decken

Aus Ortschroniken
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Rohrdächer im alten Dorf
Tafel - Ortslehrpfad
Hugo Scheele - Zeichnung
Krüppelwalmdach
1998 Peenestraße
Windbrett
Eulenloch mit Zwiebel
Ochsenauge

Die Dächer der niedrigen Häuser in Zempin sind mit Schilfrohr gedeckt. Die Bezeichnung für das Schilfrohr ist an der Nord- und Ostseeküste auch Reet, Reeth, Ried u.ä. So ein Rohrdach isoliert durch den Aufbau eines Schilfhalmes hervorragend. Es hält im Sommer die Hitze ab und wärmt im Winter durch seine Lufteinschlüsse in den Halmen.

Dieses einheimische Baumaterial wird am Achterwasser gewonnen. Früher stellte jeder Bauer oder Fischer des Ortes, der solch ein Haus mit einem Rohrdach besaß, das Handwerkszeug zum Ernten des Schilfrohres und zum Dachdecken selbst her. Das Schilf wird im späten Winter oder zeitigen Frühjahr vor dem Austreiben der neuen Sprossen geschnitten. Es lässt sich am einfachsten schneiden, wenn man auf dem Eis stehen kann. Nur einjähriges, unkrautfreies Rohr sollte gebündelt werden. Dieses wird in Hocken aufgestellt. Wenn keine Eisfläche vorhanden war, wurde das Schilf von flachen Kähnen aus geschnitten. Heute geht man auch mit Wathosen in den Rohrkamp. In Peenemünde wird das Rohr heute gewerbsmäßig mit modernen Maschinen, die Ballonreifen haben, geschnitten.

Das Rohrdach hat an den Seiten einen großen Dachüberstand, da es keine Dachrinne hat. Damit der Regen schnell abläuft, sollte das Dach eine Dachneigung von 45° haben. So wird beim Rohrdach nur die oberste Schicht der Dacheindeckung durchfeuchtet. In unserem Ort finden wir oft Krüppelwalmdächer.

Das Dach wird vom Zimmermann ähnlich wie für ein Ziegeldach vorbereitet. Die Abstände der Dachlatten sind etwa gleich. In unserer Gegend werden seitlich am Giebel Windbretter befestigt, so auch beim Krüppelwalm. Die Stöße der Bretter werden mit sogenannten Zwiebeln überdeckt.

Das beim Krüppelwalmdach entstehende Loch am First nennt man das Eulenloch. Die geschwungenen Gauben werden auch als Ochsenaugen bezeichnet.

Zunächst beginnt man mit dem Decken an der Traufe. Die Bündel werden mit der Schnittfläche nach unten und mit den Zöpfen (Samenständen) in Richtung First dicht an dicht auf die Dachlatte gelegt. Darauf legt man, genau über der Dachlatte, einen dicken Draht (früher waren es Weidenruten). Das Rohr liegt nun zwischen Dachlatte und Draht. Mit einer Rundnadel, die im Öhr den Bindedraht führt, fährt man durch das Rohr und verbindet mit dem dünnen Draht die Dachlatte mit dem dicken Draht (Dackelschacht).

Die kurzen dünnen Drahtenden werden fest verdreht und klemmen so das Rohr zwischen Dachlatte und Draht ein. Mit einem Werkzeug, welches stufenförmige Absätze hat, werden die Halme des Bundes nach oben hin stufenförmig angeschoben. Danach muss der Bindedraht nochmals sehr fest angezogen werden. Diese Tätigkeit ist für die Haltbarkeit des Daches sehr wichtig, damit das Rohr nicht ins Rutschen kommt. Auf die nächste Dachlatte kommt wieder eine Reihe Rohr, dabei überdeckt man den Dackelschacht und den Bindedraht. So arbeitet man sich, auf einem runden Balken stehend, der mit Tauen an den oberen Dachlatten befestigt ist, Dachlatte um Dachlatte nach oben und verkürzt dabei stets die beiden Taue.

Um den First zu bilden, ändert man die Richtung der Bunde, die Schnittstelle schaut in den Himmel und wird gleichmäßig in einer Linie mit einem Werkzeug aus Holz geklopft. Jetzt sieht man auch die Dackelschächte. Die nun sichtbaren Zöpfe werden mit einem Messer abgeschnitten. Die zuletzt gedeckte Dachseite überragt im First die andere Seite.

Das neue Rohrdach ist leuchtend gelb. Die Verwitterung des Materials lässt es nach wenigen Jahren dunkel werden. So wird die Dachbedeckung immer dünner. Wenn die Dackelschächte zu sehen sind, wird es Zeit, das Dach neu einzudecken. Doch der First sollte schon nach zehn bis fünfzehn Jahren erneuert werden, da er für Wind, Wetter und Vögel eine Angriffsstelle ist. Die Dachfläche hält ein Leben lang, wenn sie aus qualitativ gutem Rohr ist, welches fest aufgebunden wurde.

Die größte Sorge für so ein Dach ist die Brandgefahr. Ein Brand breitet sich oft in wenigen Minuten großflächig aus. Es ist ratsam, bei einem Brand das Gebäude sofort zu verlassen.

Der Friesengiebel wurde in unserer Gegend nicht gebaut. Er war in Nord- und Ostfriesland zur Pflicht geworden, um aus einem brennenden Haus auch aus der ersten Etage herauszukommen und vor herab- fallendem brennenden Rohr geschützt zu sein.

Als Blitzschutz wurde auch die Pflanze Hauswurz auf eine Ecke des Daches gepflanzt, doch schützte dieser Aberglaube wohl niemanden.

Zu DDR-Zeiten mussten bei Neubauten Holzstäbe in das Dach eingearbeitet und im Abstand von ca. 30 cm über der Dachhaut Drähte gespannt werden. In Zempin finden wir in der Fischerstraße, nicht weit vom Hafen, eine moderne Blitzschutzanlage, bestehend aus zwei sehr hohen Metallmasten neben dem rohrgedeckten Haus.

Auch Silvesterraketen haben schon Rohrdächer in Brand gesetzt. Aus diesem Grunde werden Einwohner und Gäste gebeten, die Raketen an der Ostsee oder am Achterwasser abzuschießen und das Gebiet mit den über 40 Rohrdächern zu meiden.

Deshalb sind auch die Prämien für die Feuerversicherung erheblich höher als für ein Ziegeldach. Bei Neubauten mit Rohrdach ist die Landesbauordnung zu beachten, die die Abstände zu den anderen Gebäuden wegen des Brandschutzes vorschreibt.

Einen Ersatz für das Schilfrohr als Dachbedeckung finden wir in der Peenestraße. Es sind Kunststoff-Halme, die zu fertigen Schindelelementen zusammengefügt sind. Sie werden wie Schiefer – Ersatz auf Rauhspundschalung verlegt. Wir erkennen dies an der Verarbeitung, z.B. fehlen die Windbretter, auch der First ist anders gestaltet.


Die Lebensdauer eines Rohrdaches hängt von der Qualität des Schilfrohres und von der festen Verarbeitung ab. Das Dach wittert von oben ab. Es sollte mindestens 50-60 Jahre halten.

Der First muss aber, durch Sturm und Vögel geschädigt, alle 10 - 15 Jahre erneuert werden.