Johann Heinrich von Thünen 1831 in Gresenhorst

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Johann Heinrich von Thünen - Reise nach Gelbensande. (NHG) (über ein Erlebnis in Gresenhorst)

Im Sommer 1831 machte von Thünen die Bekanntschaft des Oberforstmeisters Baron von Stenglin, und fuhr, von demselben nach Gelbensande eingeladen im Anfange August, mit dem Grafen von Schlieffen von Sülz aus dahin.

„Zu Gresenhorst, so schreibt von Thünen, wohin der Herr Oberforstmeister uns entgegengekommen war, sahen wir die erste Probe von der Wirkung des gebrannten Mergels.

– Ein Büdner aus Gresenhorst hatte nämlich eine Karre gebrannten Mergels aus Gelbensande geholt, diesen dünn auf sein Ackerstück ausgestreut, den übrigen Theil des Stücks aber mit rohem Mergel stark befahren. Der Hafer auf dem ganzen Stück hatte sich gelagert, und ich konnte zwischen dem nach gebranntem Mergel und dem nach rohem Mergel keinen Unterschied wahrnehmen. Der Büdner aber versicherte – und sein ganzes Wesen trug das Gepräge der Geradheit und Wahrhaftigkeit, – daß der Hafer nach gebranntem Mergel vor dem Lagern sich durch größere Höhe sichtlich ausgezeichnet habe. - - Indessen muß ich gestehen, daß meine Aufmerksamkeit hier weit weniger auf den gebrannten Mergel, als auf ein Schauspiel anderer Art, ich möchte sagen, höherer Natur gerichtet war. Es hatten sich nämlich mehrere Büdner aus Gresenhorst versammelt, um uns ihr Korn auf dem von ihnen urbar gemachten Acker zu zeigen. Als wir das urbar gemachte Feld betraten, sahen wir zuerst ein Stück mit Hafer, welches mich in Verwunderung setzte. Der Hafer war sehr lang im Halm, hatte große Rispen mit schweren Körnern, und hatte sich unter der Last seiner eigenen Schwere niedergelegt; kaum erinnere ich mich, in diesem Sommer auf dem besten Boden so schönen Hafer gesehen zu haben. Auch der daran stoßende Rocken war sehr stark im Halm, hatte aber, wie in diesem Jahre fast allgemein, keine vollgeladenen Aehren. Beim Weitergehen fanden wir allen Hafer von fast gleicher Stärke mit dem zuerst gesehenen.

Der Anblick des schönen Korns konnte wohl das Auge des Landwirths erfreuen, aber dennoch ward dieses bald von dem Korn abgezogen und auf die Menschen gewandt, durch deren Fleiß es hervorgebracht war. Sie äußerten die lebhafteste Freude darüber, uns so schönes Korn zeigen zu können. Wenn wir an Einen von ihnen eine Frage richteten, antworteten sie Alle zugleich, und in den Augen Aller sprach sich Zufriedenheit und Heiterkeit über das Gelingen ihrer mühevollen Arbeit aus. Was diese Menschen geleistet hatten, erkannten wir aber erst ganz, als wir zuletzt an ein Stück Land kamen, was noch nicht urbar gemacht war, und wir nun den Boden in seiner ursprünglichen Beschaffenheit erblickten. Es war ein niedrig gelegener, mooriger, mit Bültenübersäeter Boden. Der Herr Graf von Schlieffen machte die Bemerkung, der ich meine volle Zustimmung geben mußte, daß dieser Boden die Kosten der Urbarmachung nicht bezahle, und daß es eine Verschwendung von Menschenkraft sei, ihn durch Auffahren von Erde in Ackerland umzuwandeln. Wir theilten diese Bemerkung den Büdnern mit,und gaben ihnen den Rath, das Stück lieber zu einer Wiese zu machen. Unsere Vorstellung machte aber gar keinen Eindruck auf sie, und Einer von ihnen antwortete:

„Wenn die Herren über ein Jahr wieder kommen, wird es schon anders aussehen,“ und fügte dann schalkhaft hinzu:

„Der Herr Oberforstmeister mag nur gut aufpassen lassen, sonst stiehlt der Büdner N.N. (dem dies Stück gehört) ihm noch die Erde da“ und zeigte dabei mit der Hand auf den aus einem neu gezogenen Graben ausgeworfenen Sand. In der That erfuhren wir nun erst, daß der größte Theil des urbar gemachten ehemaligen Forstgrundes, auf welchem wir das schöne Korn gesehen, erst durch ein dickes Auffahren von Sand eine ackerbare Krume erhalten habe, und daß die Büdner den Sand zum Theil aus einer Entfernung von 60 Ruthen und darüber, – mit Hülfe ihres einen Pferdes, – hergeholt haben. Segen über den Fleiß dieser Menschen! Auf dem Rückwege sagte einer der Büdner unverhohlen und mit fester Stimme:

„Wenn der Herr Oberforstmeister sich unserer nicht an genommen und uns diesen Forstgrund verschafft hätte: so wären jetzt dreißig Spitzbuben mehr im Amte.“ Diese Leute sind nämlich früher als Büdner in Gresenhorst an gesetzt, haben aber dort so wenig, als in den Großherzoglichen Forsten, Arbeit finden können, und da der ihnen zugetheilte Acker bei Weitem nicht hinreichend war, sie zu ernähren:so mögen sie in die bitterste Noth gerathen sein, bis durch Vermittelungdes Herrn Oberforstmeisters von Stenglin ihnen vom hohen Kammer- und Forst-Collegio der erwähnte Forstgrund auf eine Reihe von Jahren (wenn ich nicht irre auf 12 Jahre) in Pacht überlassen wurde.

Dann äußerten die Büdner sich noch mit Zufriedenheit über ihre jetzige Lage, aber mit Besorgniß über die Zukunft, wenn nach abgelaufener Pachtzeit, sie ihren – zur abermaligen Holzbesamung bestimmten, – Forstacker wieder abgeben sollten.

Diese Besorgniß ist wahrscheinlich unbegründet; denn wenn nicht höhere Staatszwecke hindernd entgegentreten, – und welche könnten dies hier sein? – so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß die höchsten Landesbehörden, wenn sie von der Lage dieser Büdner und ihrer fast beispiellosen Anstrengung, sich auf eine rechtliche Weise zu ernähren, in Kenntniß gesetzt werden, ihnen diesen Acker, – oder vielmehr die Stelle, wohin sie eine Ackerkrume gefahren haben, dauernd überlassen und in Erbpacht geben werden. Eine zehnjährige Ungewißheit und Besorgniß über dreißig Familien verbreitet, zerstört aber zu viel Menschenglück, als daß man nicht innigst wünschen möchte, daß der dauernde Besitz dieses Ackers ihnen schon jetzt zugesichert würde.

Wir nahmen jetzt von diesen braven Leuten Abschied; aber meine Gedanken verweilten noch lange bei ihnen. Von welcher kleinen Scholle, – sagte ich zu mir selbst, – kann eine Familie zufrieden und glücklich leben! Wie achtungswerth sind diese Menschen, die, um nur auf eine rechtliche Weise ihr Brod zu verdienen, nicht Mühe, Anstrengung und Entbehrung scheuen, und auf einem Pachtstück Verbesserungsarbeiten unternehmen, die nicht die Hälfte, zum Theil vielleicht nicht ein Viertel des gewöhnlichen Tagelohnes einbringen! Welch ein schönes Gefühl muß das Bewußtsein gewähren, dreißig Familien dem Elende und der Sittenverderbniß entrissen zu haben! Aber es liegt hierin auch zugleich eine ernste Warnung, keine Büdner an solchen Orten anzusetzen,wo sie keinen Nebenverdienst finden können. Denn wenn sich, kein Menschenfreund findet, der sich ihrer annimmt, oder wenn die Verhältnisse späterhin keine Abhülfe gestatten: so ist das physische und moralische Verderben der Menschen,und die Gefährdung der Sicherheit und des Eigenthums in der ganzen Umgegend die unausbleibliche Folge einer solchen unangemessenen Ansiedelung“

Die Beschreibung der Reise nach Gelbensande wurde als Anhang eines Aufsatzes des Oberforstmeisters Baron von Stenglin „über den gebrannten Mergel,“ in den neuen Annalen der mecklenburgischen Landwirthschafts-Gesellschaft - 18. Jahrgang,1. Hälfte, 2. Heft – gedruckt; der Veröffentlichung lag die Absicht zu Grunde, die Verwaltungsbehörde darauf aufmerksam zu machen, daß der durch unsägliche Arbeit und Mühe kultivierte Acker den Büdnern nicht abgenommen, und nicht etwa wieder zum Forstgrund gelegt werde.