Aus dem und über das älteste Kirchenbuch Mecklenburgs

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(NHG)

Das älteste erhaltene Kirchenbuch Mecklenburgs stammt aus Rövershagen.
Es befindet sich im Rostocker Ratsarchiv.
Pastor Johann Gryse zeichnet darin kirchliche Ereignisse in der Zeit von 1580 bis 1605 auf.


älteste Dorfansicht von Rövershagen auf der Lust´schen Reiterkarte von 1696

älteste Dorfansicht von Rövershagen auf der Lust´schen Reiterkarte von 1696 (Quelle: Archiv der Hansestadt Rostock)






Das Kirchdorf Rövershagen, 12 Kilometer östlich von Rostock am Eingang zur Heide gelegen, wird 1305 zuerst in den Urkunden erwähnt.
Ehemals aus Ober-, Mittel- und Niederhagen bestehend, bildete es mit den zugehörigen Heideortschaften und Wohnstätten die einzige Landgemeinde unter der Schutzherrschaft der Stadt Rostock und soll ursprünglich eine Filiale von St. Marien gewesen sein.
Seine Kirche, die vielfach baulich verändert worden, entstammt dem Anfang des 14. Jahrhunderts. die Tafel mit dem Pastorenverzeichnis hinter dem Altar nennt als zweiten Pfarrherrn M. Johann Griese (Gryse), und ihm verdanken wir ein altes Kirchenbuch, das er während seiner Amtszeit, 1580-1605, mit großer Sorgfalt geführt hat.
Griese war Rostocker und kam vermutlich 1579 nach Rövershagen, nachdem er in Sanskow in Pommern verschiedener, nicht bekannter Ursachen wegen seines Amtes entsetzt war.
Er war mehrmals verheiratet und wir wissen von sieben Kindern, drei Söhnen und vier Töchtern. von den am ersten Advent 1580 geborenen Sohn Adam, dessen Mutter die Rostockerin Anna Bonsack war, erzählt der Vater 1596 voll Stolz: "Mynn Szöene Adam hefft ihnn III Jahren dhe Bibell 6 mael dorch gelesen, III maell de Latinsche unde III maell dhe Dudesche, alle dage ihnn eyner ideen 8 Capitell. Geendeth ihm havengeschrevenn Jahr, dhen 18. Septembris, Szonnavendes vhor dhem 15. Szondage post Trinitatis."

Rövershäger Leben als lebendiges Kulturbild
Er entwirft in seinem Kirchenbuch ein überaus anschauliches Kulturbild seiner Zeit, denn er beschränkt sich nicht auf Eintragung seiner Amtshandlungen, sondern alles, was ihn und seine Gemeinde bewegt, findet Beachtung.
Er hat im ganzen 329 Taufen, 281 Beerdigungen und 87 Trauungen vollzogen.
Von den alten Familien leben die Suhr, Hoff und Peters heute noch im Dorf, auch Nachkommen und Verwandte der Keding und Borgwardt.
Von der Taufe
Die Kinder pflegen noch nicht, wie die Kirchenordnung von 1602 vorschreibt, bis zum dritten Tag nach der Geburt getauft zu werden, sondern nach acht oder auch zehn Tagen.
Sie haben meist fünf Gevattern und erhalten nur einen Namen.
Besondere Beachtung schenkt der Pastor den 1601 geborenen Drillingen eines Gräbers im Moor, aber leider bleibt keins von den Kindern am Leben.
Von der Bestattung
Die Beerdigungen finden gewöhnlich schon am Tage nach dem Tode statt.
Wir hören von plötzlichem Sterben durch Seuchen und Unfälle.
Ergreifend ist das Schicksal des Harmen Burmeister, Schafhirt zu Oberhagen, der 1597 Frau und 7 Kinder an der Pest verliert.
In den drei Krügen des Dorfes, von denen die beiden "bhi dher Kercken" und "bhi dhem Landwege" schon 1305 errichtet werden, kosten Unbeherrschtheit in Trunk und Spiel manches Opfer.
Die uralte Sitte, den Getöteten als den Hauptkläger selbst vor Gericht zu bringen, herrscht noch, denn "dhe levendige" wird "bhi dhem dhodenn vhor dath Recht gebracht".
Landsknechte überfallen das Dorf
Am 6. November 1601, kurz vor Abend, zieht ein Trupp Landsknechte raubend und plündernd durch Volkenshagen.
Hans Schade meldet es in Rövershagen, die Sturmglocke wird geläutet, und etliche Einwohner eilen den Nachbarn zu Hilfe. Mehrere Landsknechte werden verwundet und drei Leute getötet:
Ein Landsknecht, ein Volkenshäger und Chim Westvall (Chim = Joachim) aus Rövershagen, der nach dem geltenden Recht mit den andern in Volkenshagen beerdigt wird.
Griese setzt hinzu:
"Dhen alße eyner gelevet hefft, sho ihs ock gemeinlich sinn Ende."
Trabant des Dänenkönigs beigesetzt
Fast zwei Monate vorher muß er einen Trabanten des jungen Königs von Dänemark zu Grabe bringen, der verunglückt als das Königspaar mit drei Schiffen, angeblich um der Pest zu entfliehen am Moore vor Anker liegt.
Er schreibt: "Ihs desße Dode ihnn eynem finen nienn Szarcke ahngeschlagenn to wather bhi dem Moere, Bavenn dath Szarck ihs eyne leddige tunne gebundenn, welcker dath szarck ihm water havenn geholden.
Up dhem Szarcke ihs mith Rotstene ein Crutze gemaketh, mith volgender schrifft:
Königlicher Maiesteth Dravante Hinrich vhann Hildenßen, up dhem Schepe vhann dher Spelle dodt geschlagenn.
Up dath Szarck sßind ok II Daler ihnn eynem plunde vasth genegelt gewest.
Dhenn eynenn daler hefft dhe paster, kosther unde vorstender uhnn alles vhor dhe beerdige und Klocken bekamenn, dhenn andern daler hefft dath volck vordrunckenn, dath eynn tho grave gebracht, ihs ok Christlich beerdigeth wordenn,"
Kirchenzucht
Kirchenzucht wird geübt.
Claus Wullenböeker, der "godt loße Gadesvorgeter" wird 1593 "ahne ßinenth unde klingenth" begraben, aber auf Fürsprache erhält er doch einen Platz auf dem Kirchhof und nicht an der Mauer.
Jagd für die Hochzeit des Bürgermeistersohns
Der Tod vieler namhafter Rostocker wird berichtet, aber auch frohe Ereignisse aus der Stadt, z.B. die "reiche koste" bei der Vermählung des Bürgermeistersohns Hermann Lemke mit Dr. Markus Luschows Tochter, für die zwei Wochen lang in der Heide gejagt und außer Hasen und Rehen vier stattliche Hirsche erlegt worden sind.
Entwicklung des Kirchspiels
Häufig enthält das Kirchenbuch Eintragungen über bauliche Veränderungen.
1593 wird der "Predigstuell" von Meister Blasius Auer aus Rostock hergestellt.
Die Gesamtkosten belaufen sich auf fast 30 fl. (Gulden), die etwa zur Hälfte aus den Beiträgen aller Berteiligten, im übrigen aus dem Kirchenvermögen bestritten werden.
Bei dieser Gelegenheit kann der Pastor es sich nicht versagen mitzuteilen, wie tatkräftig er im Kirchspiel gewirkt hat "ihn erbuwing der wedem (Pfarrhaus), Schune, Backhus, Szod und Hackelwerk (Umzäunung), Item ihn dher Kercken, dhen Predigstuell unde dhe andernn stöele, item beide Dörer vhor denn Kerckhoff" und schließt daran den Wunsch:
"Myne Nakömlinge mögenn my iho (stets)thor Danckbarheid gnade davor wunschenn unde biddn van Gnade unde myner ock sunsth vor dhenn Mynschenn ihn allem besthen gedencken." -
Der Bau des Pfarrhauses, das in seinen ältesten Teilen bis 1870 bestanden hat, beginnt schon 1580. zur Scheune steuert Griese 1589 selbst bei durch Lieferung einer Tonne Bier zum Richtfest und einer Vimme (Ladung) Stroh zum Dach.
Fast 40 Jahre später wird sein Sohn und Nachfolger im Dreißigjährigen Krieg von Haus und Hof vertrieben.
Von Interesse ist die Bemerkung aus dem Jahre 1589:
"Ihnn desßen kamer ihs ok tho Rostock dhe stuve thorm tho S. Jacop affgenamen unnd dath Spitzkenn ßamt eyner nienn stundekloken wedder upgeßetteth."
Allerlei Anschaffungen werden gemacht.
1586 erwirbt man in Rövershagen wie in den umliegenden Gemeinden auf Befehl des Herzogs Ulrich vier Bücher für zusammen 8 fl. (Gulden), 4 ß (Schilling) lübsch, nämlich die Bibel und Luthers Hauspostille in deutscher Sprache, die Konkordienformel und ein Buch von den Sakramenten.
Grieses persönliche Verhältnisse
In demselben Jahr bereitet Griese seinere Frau zu Weihnachten eine Freude mit einem neuen Pelz und sich selbst mit einem langen Studierrock.
Sehr vertraut ist er mit den wirthschaftlichen Verhältnissen. Auf Pferdezucht wird viel Wert gelegt.
Ausführlich berichtet er von den Fällen, die seine Möder (Stuten) "Sterneke" und "Bruneke" zur Welt bringen.
Seinem Schwiegersohn Peter Kock überläßt er im ersten Jahr der Ehe mit dem Brautschatz einen jungen Hengst "Sterneberch".
Hart trifft es ihn, als 1592 seine größte und beste Stute "Plummeke", die ihm "vhor XX daler nicht veill whaas", und die alle Pferde in Rövershagen übertrifft, erkrankt und stirbt.
Als Kind seiner Zeit gibt er dem Gerücht Raum, sie können ihm "uth affgunsth affgetovert (abgezaubert)" sein.
Bösewichte im Dorf
Bösewichte gibt es freilich im Dorf.
Mit Genugtuung stellt Griese 1589 fest, das "Hans Plathe, de grothe vorwegenn Schalck tho Rostock ihnn dhenn Thorm geßettet", weil er nach vielen andern Uebeltaten am Osterdienstag während des Gottesdienstes Chim Westvall auf dem Wedenhofe ein Huhn totgeschossen und unter Beistand seines Bruders Benedikt eine Schlägerei begonnen.
Sollte die Strafe Erfolg gehabt haben, oder ist der spätere Küster, den des Pastors Tochter Regina im nächsten Jahr ehelicht, ein Namensbruder jenes Benedikt Plate?
Wiederholt werden Schädigungen durch Naturgewalten vermerkt, durch Stürme und Ueberschwemmungen, starken Frost, heftiges Gewitter und Feuersbrünste.
Amtsübergabe
Im Frühjahr 1605 entschließt sich der wohl mehr als 70jährige auf mehrfaches Bitten seines Sohnes Daniel, der schon einige Jahre mit seiner Familie auf der Pfarre gelebt hat, diesem sein Amt abzutreten.
Von väterlicher Liebe zeugen die letzten Worte des Buches:
"Geve ehm untze Godt gelucke altze He idt ahn my ßer woll vorschuldeth unde vordenth hefft, ßampt etlichemandern ßinenn Confortenn, Amenn."