Niendorf bei Neuhaus(Elbe) Festschrift (Dieter Greve) Festrede

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Manuskript der:

F e s t r e d e

anlässlich der Feier zum

775. Jubiläum

der Ersterwähnung des Dorfes

N i e n d o r f

Liebe Einwohner von Niendorf, sehr geehrte Gäste!

Als traditionsbewusster Mensch mit dem Namen Greve ist es mir eine besondere Freude in Niendorf zum Jubiläum des Dorfes die Festrede halten zu dürfen. Um es gleich vorweg zu sagen:

Mein Urgroßvater Carl Heinrich Wilhelm Greve wurde 1815 auf der Hufe 11 geboren und ging 1857 nach Bennin – wie Niendorf ebenfalls im Amt Boizenburg gelegen – als Interimswirt auf zwei Hufen. Dessen Großvater – mein Vorfahre in der fünften Generation – gehörte zu den Bauern, die sich 1763 aus der Leibeigenschaft freikaufen konnten.


Anlässlich von Jubiläen ist es üblich

  • Rückblick auf die Geschichte zu halten,
  • besondere Traditionen aufzuzeigen
  • auch den Stolz der Betroffenen zu wecken
  • und nicht zuletzt auch in die Zukunft zu blicken.

Ich möchte in Form einiger Thesen Sie mit den Besonderheiten des Dorfes Niendorf bekannt machen, die teilweise bei den Niendorfer Bauern den besonderen Stolz geweckt haben.

Thesen:

  • Niendorf wurde im Jahre 1230 im Ratzeburger Zehntenregister erstmalig erwähnt.

    Es war wohl das neue Dorf neben der älteren slawischen Siedlung Steder, die später im 18. Jahrhundert in Niendorf aufgegangen ist.
  • In den Bede- d. h. Steuerregistern des Amtes Boizenburg der Jahre 1453 bis 1479 sind einige Namen aufgeführt, die uns in der Niendorfer Geschichte und in der der Nachbardörfer immer wieder begegnen.

    Das sind: Best, Bliesch, Böttger, Boye, Brockmöller, Gödecke, Greve, Jammer, Kröger, Lehmkuhl, Niemann, Reibe, Tewes, Timmermann, Schomacker und Schröder.

    Davon waren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die Namen Best, Böttger, Greve, Jammer und Timmermann durchgängig vertreten.

    Gegenwärtig sind es nur noch Familien mit den Namen Jammer und mit der größten Häufigkeit Greve.
  • Niendorf hat in seiner Geschichte einige Besonderheiten aufzuweisen, die es seinen Nachbarn voraus hat.

1. Besonderheit:

Es ist das erste Dorf, das in der Elbmarsch an Sude und Krainke überhaupt erwähnt ist. Vermutlich wurde es auch als erstes Dorf nach deutschem Recht gegründet.

2. Besonderheit:

Niendorf ragte als ein Zipfel der mecklenburgischen Landschaft Teldau in die lüneburgische Teldau und das sachsen-lauenburgische Amt Neuhaus hinein. Es war auf Grund der späten Besiedlung der mecklenburgischen Teldau von den übrigen Dörfern des Amtes Boizenburg weitgehend abgeschnitten. Deshalb hatte es starke Kontakte zu den lüneburgischen und lauenburgischen Nachbarn.

3. Besonderheit:

Die Niendorfer Bauern haben über Jahrhunderte besonders zäh um ihre bäuerliche Unabhängigkeit gerungen.

Niendorf gehörte seit dem ausgehenden Mittelalter zu den Rittergütern Gresse bzw. Badekow. Diese waren mehr als 20 km entfernt. Dadurch entstand keine ausgeprägte Gutswirtschaft. Ansätze dazu stießen auf den erbitterten Widerstand der Bauern.

Graf von Oeynhausen zitiert in seiner Niendorfer Chronik eine Aussage des Gutsherrn über die Bauern:

„... als sie neulich mitten in der Ernte am unentbehrlichsten gewesen, sind sie nach Blücher in den Krug gelaufen, wo sie trotz aller Vorstellungen bis in den dritten Tag sitzen, saufen und tanzen und sich das Essen von Hause nachkommen lassen.“

In dieser Zeit haben sie sich sogar zu Tätlichkeiten gegenüber dem Gutsherrn von Sprengel und seinen Bediensteten hinreißen lassen, indem sie diese mit der Sense bedrohten und aus dem Dorfe jagten. Wegen dieser Differenzen und wohl auch zur Ablösung der eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten bieten die von Sprengel mehrfach ihrem Herzog und einmal auch der lauenburgischen Herzogsgemahlin vergeblich Niendorf und Steder zum Kauf an.

1689 gab es erneuten Streit zwischen den Bauern und der Gutsherrschaft, weil von Sprengel vier noch wüst liegende Hufen für sich einziehen und ihnen das Recht, die harte Hölzung nach Belieben zu nutzen, nicht zugestehen wollte. Hinrich Greve und Drewes Kravack wurden mitten in der Erntezeit mehr als zwei Wochen in Badekow in Gewahrsam genommen und zwar in Halseisen und Handkloben.

Und nun die

4. Besonderheit:

Die Niendorfer Bauern konnten sich im Jahre 1763 aus der Leibeigenschaft ablösen und das Dorf bzw.Gut Steder-Niendorf als Lehen käuflich erwerben.

Damit waren die Niendorfer Bauern zunächst jeder einzeln Besitzer eines Teil-Lehens aus der Hand des mecklenburgischen Landesherrn. Sie waren jeder für sich verpflichtet, den sogenannten Homagialeid, d. i. der Lehnseid, gegenüber dem Landesherrn zu leisten.

Das Lehnsrecht führte zu einigen Widersprüchen zu den bäuerlichen Traditionen – am stärksten ausgeprägt wohl hinsichtlich des Erbrechts und des Altenteilsrechts. Diese waren nun an das Lehnsrecht und nicht an das in Norddeutschland allgemein geltende sächsische Landrecht gebunden.

Im Jahre 1798 wurde die rechtliche Verfassung für das landesherrliche Lehen Steder-Niendorf verändert. Nun wurde der Schulze Lehnsträger namens der 22 Hauswirte. Er leistete den Lehnseid als Vertreter und namens dieser.

Damit sind wir dann bei der fünften Besonderheit:

5. Besonderheit:

Die Niendorfer Bauern waren nämlich nun Miteigentümer.

Mancher wird sich heute wundern, wenn er diese Bezeichnung auf alten Grabsteinen des Niendorfer Friedhofs liest. Diese bedeutet nicht etwa, dass der als solcher bezeichnete nur Miteigentümer einer Hufe war.

Nein – er war Miteigentümer am gemeinsamen landesherrlichen Lehen in der „Kommüne“ Niendorf, wie sich die Bauernschaft nannte.

Diese rechtliche Verfassung hatte denn auch weitere Folgen. Nachdem im Jahre 1766 die Hufe des Jacob Eggers von der „Kommüne“ aufgekauft und auf die anderen Hufen umgelegt worden war, war die Zahl der 22 Hufen festgeschrieben worden. Sie durften nicht geteilt und nur mit Zustimmung aller verkauft werden und sie durften auch nicht zu mehreren in einer Hand sein. Von letzterem Grundsatz wurde dann um 1900 aber abgewichen.

Zunächst erfolgten denn auch alle Verkäufe innerhalb der Bauernschaft der „Kommüne“. Erst 1872 kam mit Stiegmann aus Dankersen der erste sogenannte „Ausländer“ in die „Kommüne“.

6. Besonderheit:

Innerhalb der Niendorfer „Kommüne“ wirkten zunächst vier, später zwei Anwälte. Das waren keine Juristen, sondern Personen die dem Schulzen zur Seite standen, insbesondere was die Rechnungs- und Kassenführung betraf. Wenn man so will, waren sie ein erstes demokratisches Kontrollorgan.

Bevor ich zu weiteren Niendorfer Besonderheiten komme, möchte ich noch einen Exkurs in die fernere Geschichte unternehmen:

Das 18. Jahrhundert war für Niendorf, wie wir gesehen haben, das Jahrhundert mit den großen Veränderungen. Erst am Ende des 19. Jahrhundert kam es wieder zu entscheidenden Umwälzungen im Dorf. Es war nämlich in der Zwischenzeit zu immer weiterer Zersplitterung der Feldmark durch Rodungen aus dem gemeinsamen Waldbestand und Aufteilung der Flächen zu Acker und Grünland gekommen. Die Weide wurde noch in Kommunion betrieben. Deshalb kam es durch weitblickende Bauern zu der Forderung, eine Separation der Feldmark durchzuführen. Das heißt, dass die Flächen neu verteilt werden sollten, dabei arrondierte, d.h. zusammenhängende bzw. doch weitgehend zusammen-hängende Bauerhufen geschaffen werden sollten. Und vor allem sollte auch die Gemeinschaftsweide aufgehoben werden. Diese Bauern stießen in der „Kommüne“ aber immer auf starken Widerstand. Hier wirkte es sich nachteilig aus, dass alle Beschlüsse, die die Verfassung der „Kommüne“ betrafen, einstimmig zu fassen waren. Erst als eine entsprechende landesherrliche Verordnung erging, war der Weg für die Separation geebnet. Diese wurde dann in mehrjähriger Arbeit mit vorhergehender Vermessung und Bonitierung der Flächen im Jahre 1898 abgeschlossen. Dabei entstanden 10 arrondierte Hufen und 12 Koppelhufen, die jeweils mehrere verteilt liegende Acker- und Grünland-Koppeln besaßen. In der Folge entstand der sogenannte Niendorfer Hof, bei dem mit Zustimmung der „Kommüne“ und des Landesherrn drei Hufen in eine Hand gelegt wurden. Vier weitere Bauern errichteten ihre Gehöfte im Ausbau.

Im 20. Jahrhundert kam es zu weitergehenden Veränderungen:

Zunächst wurde in der Zeit des Nationalsozialismus im Zusammenhang mit dem Reichserbhofgesetz der lehnrechtliche Status der „Kommüne“ völlig aufgehoben. Damit entfiel auch die Verfassung der „Kommüne“. Durch parallele Veränderungen der Verwaltungsstruktur in Mecklenburg in Anpassung an das preußische Modell wurde der Schulze nun zum Bürgermeister. Statt der Anwälte gab es die ähnlich gelagerte Institution der Beigeordneten. Bürgermeister blieb jedoch in Niendorf bis 1945 der seit 1906 amtierende Friedrich Greve.

Dadurch dass nach Ende des Zweiten Weltkrieges mehrere Betriebe unter die Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone fielen, weil ihre Eigentümer als aktive Nationalsozialisten galten, gab es strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft. Aus den drei Hufen wurden neun Neubauernstellen. Was die Niendorfer Tradition betraf, hatte die Bodenreform dann auch zur Folge, dass die Hufe 17, die die meisten Lehnschulzen gestellt hatte, und als Stammhufe der meisten Greves in Niendorf gilt, in andere Hände kam.

Der Niendorfer Hof, der 1936 von der Familie von Hörsten erworben worden war, geriet wohl durch Einflussnahme des Sekretärs der Gebietsparteiorganisation Neuhaus der SED widerrechtlich in die Bodenreform und wurde in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt.

In der weiteren Folge gab es Veränderungen in der landwirtschaftlichen Struktur durch die Bildung der LPG „Grüne Aue“ im Jahre 1953, die zunächst nur eine Hufe und mehrere Neubauernstellen umfasste. Dann wurde im Zuge der Zwangskollektivierung im Jahre 1960 die LPG „Krainke“ gegründet wurde. Das war aber eine LPG vom Typ I, in der die Viehhaltung den einzelnen Bauern verblieben war.

Und nun kommen wir zu einer weiteren, der siebten Besonderheit in Niendorf:

7. Besonderheit:

Als durch massive Einflussnahme der SED immer mehr LPG vom Typ I mit den LPG vom Typ III vereinigt wurden, übernahm die LPG Typ I „Krainke“ mit der Vereinigung der beiden LPG praktisch die Leitung der nun größeren, das ganze Dorf umfassenden LPG „Grüne Aue“.

Die LPG wurden in der Folge zu immer größeren Einheiten zusammengefasst: … – Zunächst die Pflanzenproduktion mit Sumte, Krusendorf, Viehle und Neu Garge, dann sogar mit Neuhaus und Umgebung – dann auch die Tierproduktion mit Krusendorf.

Ab 1974 wurde auch die Gemeinde Niendorf Bestandteil der Zentralgemeinde Sumte.

Den nächsten großen Umbruch brachte dann die friedliche Revolution des Jahres 1989 in der DDR, in deren Folge die deutsche Einheit wieder hergestellt wurde. Deren historisch gravierendste Folge für das Gebiet war die Rückgliederung des Amtes Neuhaus an Niedersachsen. Und damit wären wir bei der vorläufig letzten Niendorfer Besonderheit:

8. Besonderheit:

Das historisch mecklenburgische Dorf Niendorf wurde als Bestandteil der Gemeinde Sumte im Einverständnis mit den meisten seiner Bürger mit dem Amt Neuhaus in den Landkreis Lüneburg nach Niedersachsen umgegliedert.

Das mag manchem als ein Bruch in der Geschichte erscheinen. Wenn man sich aber die Stammbäume der Niendorfer Familien ansieht, dann werden die familiären Kontakte zu den ehemals hannoverschen Nachbardörfern sehr deutlich, so dass es auch als eine Kontinuität in der Geschichte der Einwohner erscheinen kann. Vor allem aber sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zu Neuhaus und Sumte/Krusendorf ausgeprägter als zu Boizenburg.

Man mag den Niendorfern wünschen, dass die kommende Entwicklung den Optimisten recht gibt und Niendorf eine gedeihliche Entwicklung nehmen kann.

Ich danke für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.

Ach – nun vielleicht doch noch eine allerletzte Besonderheit:

9. Besonderheit:

Die Niendorfer haben schon immer sehr gern gefeiert.

Insofern darf ich Ihnen eine schöne Feier wünschen.


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