Die Geschichte von Doberan als Chronologie

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Um die Chronik übersichtlicher zu gliedern, existiert für jede Epoche ein eigener Artikel.

Ur- und Frühgeschichte in der Region Doberan

Zeittafel zur Geschichte von Doberan im Kontext zur Mecklenburger Historie: (zusammengestellt von Peter Becker)

995
Ersterwähnung Mecklenburg(Michelenburg)
1160
Heinrich der Löwe besiegt Niclot
1167
Pribislaw wird nach Taufe belehnt mit Obotritenr.
1171
Klostergründung der Zisterzienser in Althof
1177
Doberan als „villa slavica“ erwähnt
1178
Pribislaw stirbt bei einem Turnier in Lüneburg
1179
Kloster zerstört und Mönche getötet
1186
Neugründung Kloster in Doberan
1201
Heiligblutreliquie zieht Pilgerscharen an
1219
Gebeine Pribislaws werden nach Doberan überführt
1232
Weihe der rom. Kirche durch Bischof Brunward
1285
verm. mit Umbau zur got. Kirche begonnen
1280 ab
Bau weiterer Wirtschaftsgebäude
1291
Blitzschlag(keine Schäden an Kirche nachweisbar)
1300
got. Kirche zumind. rohbaufertig
1301
Glockenguß unter Abt Johann von Elbing
1302
Flut vom… ev. verantw. für Legende vom Heilig. D.
1310 um…
lithurg. Funktionsfähigkeit der Kirche gegeben
1337
Mönchskrieg offiziell beendet
1348
Albrecht II. und Bruder Johann werden Herzöge
1368
Bischof von Bülow weiht die got. Kirche
1402
Abt Joh. Plate erhält vom Papst die Bischofswürde
1478
Provinzialkapitel für Klöster nach Dob. einberufen
1530
Kaiser Karl V. nimmt Kloster unter seinen Schutz
1552
Auflösung(Säkularisierung) des Klosters
1586
Generalrestaurierung Kirche durch Elisabeth
1610
Kapelle Althof als Backhaus genutzt
1623
In der „Vorstadt“ wohnen etwa 120 Menschen
1636
Holzlieferungen für Schwedenschanze Warnemünde
1637 bis 1638
Schäden durch 30-jährigen Krieg

bis zur napoleonischen Zeit (bis 1813)

1650
Generalrep. Münster; Dob. hat 100 EW
1675
Friedensverhandl. zw. Schweden und Brandenb.
1681
Gründung einer Brandgilde in Doberan
1707 - 1713
Prinz(seit 1713 Herz.) Karl Leop. res. in Dob.
1716
Lindenh. erhält Schankrecht u. wird Krug u. Postst.
1717
In der „Vorstadt“ werden 19 Häuser registriert
1730
250 EW in Doberan
1750
500 EW in Doberan
1762
Wollmanufaktur im alten Schloss und Wollscheune
1763
Torhaus, verm. ältest. Gebäude nach der Säkolaris.
1767
38 Häuser, 20 halbe Häuser und 3 Buden registriert
1770
Gaststätte "Zum Ochsen" mit Ausspanne
1782
zweite Schulst., bis zu 150 Schüler pro Klasse(wo?)
1783
Wohnhaus Kammerhof durch Seydewitz gebaut
Auszug aus dem Tagebuch von Hermann Friedrich Becker über seine erste Begegnung mit Georg Christoph Lichtenberg am 25.Mai 1788 in Göttingen)
1793
Gründung des 1. Dt. Seebades Heiligendamm
1793 -1801
Bauten von Seydewitz(Logier-, Amts-,Badeh.)
1795
Flecken Doberan hat etwa 900 Einwohner
1795
Anlage des Englischen Gartens und des Kamps
1795
erster Brückensteg in Heiligendamm
1798
540 Gäste, dar. Hufeland und Thaer
1801
Errichtung eines Damenbades in Heiligendamm
1801 – 1836
Schaffung der Bauten Severins
1802
Eröffnung der Goldbank im Logierhaus
1802
Verbot von Strohdächern
1804
erste Pferderennen auf freiem Felde
1806
erste Vorstellung im Schauspielhaus(Graf Hahn)
1807
Fr. Fr. I. kehrt aus 1-jähr. Exil zurück u. wird gefeiert
1807
127 Häuser und 1.349 EW

bis zur Reichseinigung (bis 1871)

1816
Blücher erholt sich in Doberan. Er soll bei der Gelegenheit im Casino die Bank gesprengt haben.
1817
165 Häuser und 1777 EW
1819
Madame Reichard mit Heißluftballon
1821
Erbohrung einer Eisenquelle
1822
erstes Galopprennen mit Vollblutpferden und Gründung des „Doberaner Rennvereins“
1824
Dampfschifffahrt Travemünde-Heil.d.-Kopenhagen
1824
Mendelssohn Bartholdy weilt in Doberan
1825
Silberbank eröffnet im Lindenhof
1826
Fr. Fr. I. stiftet Wanderpokal „Goldene Peitsche“
1830
Neuer Friedhof und Altstadt entstehen; 2.210 EW
1836
Severin stirbt in seinem Haus in Doberan(Grabst. ?)
1837
Fr. Fr. I., Leop. von Plessen und S. v. Vogel sterben
1838
Demmler beginnt Bautätigkeit in Heiligendamm
1839
Masch.fabr. u. Eisengieß. Kähler prod. Landmasch.
1841
Versamml. dt. Land- u. Forstw. in Dob.(900 Gäste)
1841/42
Überbauung Bäche Alexandrinenplatz und Markt
1842
Gh. Paul Fr. stirbt am 07.03.1842 im Alter von nur 42 J.
1843
Findling von ca. 100 t von Elmenh. nach Hd. in 100 Tg.
1846
Bürgerschule im Kornhaus
1846
Kaltwasseranstalt in der Neuen Reihe
1848
revolutionäre Ereignisse von 1848 in Doberan)


1850
Allee nach Hd. wird mit holl. Linden angelegt
1850
3531 EW
1850 um
Frh. von Drais fährt mit Laufrad auf dem Kamp
1863
Gründung des Doberaner Sportvereins
1868
Verbot des Betr. von Spielbanken durch norddt. Bund
1870
1871
Gärtnerhaus im Palaisgarten entsteht

Kaiserreich (1871-1918)

1871
Gärtnerhaus im Palaisgarten entsteht
1872
Jahrhundertflut mit schweren Schäden
1873
Seebad wird wegen finanz. Probl. an AG verkauft
1877
Wirken Möckels beginnt
1879
Doberan erhält Stadtrecht
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1879
Progymnasium eingew.(Puppenh. Beethovenstr.)
1879
Salongeb. wird Rathaus und Amtsger. – 4500 EW-
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1880
Park. Weg, G.-str., Dammch., N. Reihe, Sever.str.
1883
Gh. Fr. Fr. II. verstirbt am 15. April kurz nach seinem 60.
1883
Eisenbahnstrecke Rostock-Doberan
1884
Eisenbahnstrecke Wismar-Rostock
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1885
Baron von Kahlden wird der all. Besitzer v. Hd.
1886
Molli nimmt Betr. auf, 1910 bis Brunshaupten
1887
Postbaurat Perdisch aus SN err. das Postgebäude
1888
Aufstockung des Stahlbades mit dem Festsaal
1889
Gymnasium nimmt Betrieb auf
1894
Lindenhof wird vergrößert(Hotel)
1902
Bau der Turnhalle am Gymnasium
1903
Gaswerk am Bahnhof
1904
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1908
Glashäger Mineralquelle
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1909
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1910
Verk. von Hd. an den Schriftst. Walter John-Marlitt
1911
Konkurs, Bildung der Ostseebad Heiligend. GmbH
1912
Villa Feodora entsteht
1912
Stromversorgung
1913
Gründung Heimatmuseum von Doberan
1913
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1913
Sturmflut in Silvesternacht
1914
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1914 -18
Kartoffelanbau in Notzeiten auf dem Kamp
1916
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Weimarer Republik (1918-1933)

1918
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1919
das erste Kino wird eröffnet(Mollistraße)
1920
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1921
Doberan wird Bad
1921
Die Sparkasse wird eröffnet(Sitz im Ratshaus)
1922
chem. Fabr. Walkenhg.(Pr. v. Nikot. u.Tabakextr.)
1924
Baron Oskar von Rosenberg aus Zürich rettet Hd.
1924
Fahnenweihe in Bad Doberan
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1920-er
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  • Hindenburg in Doberan
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1925

Werbung am Gymnasium für die rechtsorientierte Schill-Jugend

  • (von Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, September 1995 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
  • Die grundlegenden Veränderungen in der Arbeitswelt, Kultur und im Regierungssystem erforderten, daß traditionelle Denk- und Verhaltensweisen mit den neuen Herausforderungen in Einklang gebracht werden mußten. Doch dieser Prozeß ging, wie wir bereits an Beispielen zeigten, auch in der Heimatregion nicht ohne Konflikte und Gegenbewegungen ab.
  • In Mecklenburg-Schwerin regierte seit 1924 eine von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) geführte Rechtsregierung unter Jochen Freiherr v. Brandenstein, an der die Deutsche Volkspartei (DVP) beteiligt war.
  • Die Deutschnationalen bestimmten in Bad Doberan gleichfalls das politische Klima maßgeblich mit. Ihre Programmatik, auf die Interessen von Großgrundbesitz und Schwerindustrie ausgerichtet, war autoritär-monarchistisch und christlich-national. Sie führten häufig propagandistische Veranstaltungen durch, so am 25. März 1925 einen „Deutschen Abend" im „Lindenhof". Hier heizte ein Lichtbildervortrag den Nationalismus zu Themen an, wie „1813" („Aus der Zeit der Not", „Die Erhebung der Völker") und „An Rhein und Ruhr um deutsches Sein" (40 Bilder aus dem besetzten Gebiet).
  • Als ein Rückschlag für die Republik erwies sich der Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD), obwohl seine Politik umstritten war. Jetzt mußte ein neuer Reichspräsident gewählt werden.
  • Die DNVP, DVP und die rechtsextreme Deutschvölkerische Freiheitspartei schlossen sich in einem „Reichsblock für Stadt und Land Doberan" zusammen und riefen dazu auf, den früheren Reichsminister Karl Jarres (DVP) zu wählen. Der Wahlgang vom 29. März brachte zwar in Bad Doberan für Jarres 2014 von 2981 Stimmen, doch erhielt dieser bei sechs Gegenkandidaten insgesamt nicht die erforderliche absolute Mehrheit. Ein zweiter Wahlgang war am 26. April fällig. Diesmal wollte der „Reichsblock" für Bad Doberan und Umgebung Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg gleichsam als Ersatzkaiser an der Spitze sehen. „Nur ein Sieg Hindenburgs kann uns retten", stand in einem Aufruf. Und in dem Gedicht „Der Retter" hieß es in holprigen Reimen: „Du reichst die Hand uns fest und schlicht,/willst Führer und Bruder uns wieder sein.-/Führ' uns! Wir folgen durch Nacht und Licht/Hindenburg, dir allein!"
  • Als Gegenkandidaten waren der Zentrumspolitiker Wilhelm Marx und der KPD-Führer Ernst Thälmann aufgestellt worden. Nach dem Wahlsieg stellte sich heraus, daß in Bad Doberan Hindenburg unter allen Städten des Landes die meisten Stimmen aufzuweisen hatte. In den Straßen wurden wieder die alten Fahnen in den schwarz-weiß-roten Farben gehißt. Auch in der Umgebung hatten viele für Hindenburg gestimmt, z. B. in Heiligendamm 77 (22 für Marx), in Brunshaupten 880 (302 für Marx und 10 für Thälmann), in Alt Gaarz 120 (59 für Marx und einer für Thälmann).
  • Der 78jährige Hindenburg, der nach dem Krieg in seiner Villa in Hannover wie Barbarossa im Kyffhäuserberg zurückgezogen gelebt hatte, zog wieder in die Politik ein. Er schwor auf eine Verfassung, deren Träger er zwar verabscheute, die er dann aber hochhielt wie eine preußische Felddienstordnung.
  • 1927 sollte er als Ehrengast am Doberaner Rennen teilnehmen. In diesem Klima konnten die Rechtsextremisten an Boden gewinnen. Hindenburg dankte persönlich der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung für die Unterstützung im Wahlkampf. Diese trat in Bad Doberan wiederholt unter dem Zeichen des Hakenkreuzes an. Ihre Führerschaft organisierte Vorträge zu wirtschaftspolitischen Themen und attackierte die Weimarer Demokratie.
  • Zur Rechtsszene gehörte der Frontbann, der von dem ehemaligen Freikorpsoffizier und zeitweiligen Hitleranhänger Gerhard Roßbach gegründet worden war. Sein 1922 in Neubukow gebildetes Hauptquartier strebte an, „von hier aus die Wasserkante im Sinne der nationalen Befreiung zu beherrschen".
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  • Diese Organisation verfügte 1925 noch, über aktive Stützpunkte in Bad Doberan, Kröpelin und Reddelich. Darüber hinaus warb Roßbach am Doberaner Gymnasium für die rechtsorientierte Schill-Jugend.
  • Ende Juli fand in Bad Doberan auch der Bundestag der „Adler und Falken" statt. Die nach außen hin sich unpolitisch gebende Jugendorganisation veranstaltete u. a. ein Geländespiel und eine „Ostland-Ausstellung", Beratungen des Amtes für Rassenkunde und Familienforschung" und Vorträge über „arische Festbräuche und ihre Beziehungen zum Mythos".
  • Noch gefährlicher aber war, daß nach der Neugründung der NSDAP der von Hitler am 6. April ernannte Gauleiter Friedrich Hildebrandt die ersten Gefolgsleute warb und im folgenden Jahr in Ortsgruppen, wie Roggow und Satow, zusammenschloß. Bald sollte diese Partei, die die rivalisierenden Deutschvölkischen ausschaltete, zur führenden Kraft in der Rechtsszene werden.

Der Rohrstock durfte wieder in Aktion treten

  • (von Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, September 1995 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
  • Seit dem 1. April 1924 leitete Studiendirektor Carl Reuter in Bad Doberan das Gymnasium FridericoFrancisceum. Er wurde am 7. November 1885 in Wichmannsdorf geboren, besuchte das Gymnasium in Schwerin, studierte danach in Berlin und Göttingen klassische Philologie und Geschichte und war zunächst am Schweriner Gymnasium tätig.
  • Zu seinem Kollegium zählten fachlich versierte Lehrkräfte, so z. B. Heinrich Wischmann (Mathematik/Naturwissenschaften) , der noch lange nach 1945 mit über 70 Jahren hier unterrichten sollte, Walter Heinrichs (klassische Philologie/ Deutsch), Paul Schlünz (neuere Sprachen/Geschichte), Dr. Gerhard Ringeling (Geschichte/Englisch/ Deutsch), Walter Voigt (klassische Philologie/Theologie), Friedrich Voss (Mathematik/Naturwissenschaften).
  • Dazu gehörte auch der ehrgeizige Theologe und Philologe Theodor Klaehn, der im Herbst 1932 als NSDAP-Funktionär mit massiver Unterstützung des Gauleiters Friedrich Hildebrandt Carl Reuters Strafversetzung nach Güstrow einfädeln sollte.
  • Ostern 1925 wurde nach preußischem Muster eine neue Stundentafel eingeführt. So stieg z. B. die Stundenzahl für Geschichte, neu ergänzt durch Staatsbürgerkunde, in den Klassen Sexta bis Oberprima (heute Klasse 5 bis 13) insgesamt von 19 auf 22 Stunden wöchentlich an. Auch die Mathematik und Naturwissenschaften legten mit acht Wochenstunden zu.
  • Das Fach Englisch, zuvor wahlfrei, wurde von der Quarta (heute Klasse 7) ab obligatorisch, während das zuvor wahlfrei erteilte Fach Hebräisch vom Stundenplan verschwand. Konservativ gehalten waren die Aufsatzthemen im Fach Deutsch. Die lauteten in der Oberprima z. B.: „Der 'gotische Raum', seine Entwicklung und sein Verfall", „Die deutsche Verfassungsfrage und ihre Lösung durch Bismarck", „Die Darstellung von Volk und Staat in Schillers Tell". Das nationale Trauma vom verlorenen Krieg hatte sich auch an dieser Schule verfestigt.
  • Laut Ministerialerlaß vom 31. Oktober 1921 war der Gedanke an die „vorläufig" verlorenen Kolonien wachzuhalten. Zu pflegen war auch im Unterricht die Kenntnis vom Ausland- und Grenzlanddeutschtum. In diesem Sinne arbeitete die am 24. April 1925 gegründete Schulgruppe des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA). Am 1. Dezember führte sie im „Lindenhof" ein Stück auf, das laut Schulchronik „die Kämpfe und Nöte des Deutschtums in Oberschlesien lebendig werden ließ".
  • Am 12. September fanden im Prinzengarten in Schwerin die ersten Reichsjugendwettkämpfe statt, bei denen 18 Teilnehmer mit der Urkunde des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ausgezeichnet wurden. Direktor Carl Reuter durfte einen Tag später in Schwerin dem dort gerade weilenden Hindenburg über die Ergebnisse berichten, was diesem die Anerkennung entlockte: „Donnerwetter, das ist ja kolossal!"
  • Neben dem Gymnasium gab es noch private höhere Schulen, wie die Mädchenschulen in Bad Doberan und Kröpelin, die Knaben- und Mädchenschule für die Ostseebäder Brunshaupten und Arendsee sowie eine weitere in der Stadt Neubukow.
  • Kinder der unteren Schichten mußten sich mit der „Pantinenschaul", wie die Volksschule im Volksmund genannt wurde, begnügen. Eine achtklassige Volksschule bestand in Bad Doberan unter der Leitung von Rektor Heinrich Hesse. Dann folgten siebenklassige Volksschulen in Brunshaupten (Leitung: Rektor Wilhelm Engel), Kröpelin (Rektor Fritz Werges) und Neubukow (Rektor Karl Ulrich). In Satow befand sich eine vierklassige, in Arendsee eine dreiklassige Einrichtung.
  • Auf dem Lande existierten einige zweiklassige Dorfschulen, z. B. in Retschow, das in diesem Jahr ein eindrucksvolles hundertjähriges Schuljubiläum beging, und in Passee. Ansonsten überwogen die einklassigen Dorfschulen, so z. B. in Admannshagen, Biendorf, Alt Gaarz, Heiligenhagen, Jörnstorf, Alt-Karin, Lambrechtshagen, Moitin, Nienhagen, Parkentin, Rederank, Steinhagen und Westenbrügge.
  • Oft mußten hier die Lehrer die „niederen Küsterdienste" zusätzlich verrichten. Den Schulabgängern war die Möglichkeit gegeben, weiterhin Gewerbe- und Kaufmannsschulen in den Städten zu besuchen.
  • Bezeichnend für den Zeitgeist war, daß ein Gesetz vom 4. Januar 1926 das nach der Novemberrevolution erlassene Verbot der Prügelstrafe wieder aufhob. Jetzt trat der Rohrstock erneut in Aktion und zwar laut Gesetz „bei schweren sittlichen Mängeln", wie andauernder Lügenhaftigkeit, Trotz, Roheitsvergehen, Unsittlichkeit, andauernder Trägheit und dergl." Die Prügelstrafe durfte allerdings die „Grenzen väterlicher Züchtigung nicht überschreiten". Doch wo lagen die? Und waren damit Probleme, wie „andauernde Trägheit", zu meistern?


Als die Kühe noch durch die Straßen von Bad Doberan liefen

  • (von Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, September 1995 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
  • Nach der Volkszählung vom 16. Juni 1925 gab es in Bad Doberan 5392 ortsanwesende Personen, von denen 2974 weiblich waren. Registriert wurden 1665 Haushaltungen, 942 land- und forstwirtschaftliche Betriebe, 363 Gewerbebetriebe und 658 bewohnte Grundstücke.
  • Bei der Stadtverordnetenwahl am 9. November 1924 hatten die bürgerliche Einheitsliste elf, die SPD drei Mandate und die KPD ein Mandat errungen. Erst am 5. Januar 1925 traten die gewählten Vertreter unter der Leitung des Bürgermeisters Wilhelm Stüdemann, der seit 1919 im Amt war, zur ersten öffentlichen Sitzung im Amt bestätigt.
  • Die Mehrheit wählte Stadtrat Dr. Thielke zum stellvertretenden Bürgermeister und den Maschinenfabrikanten Robert Fischer zum Stadtverordnetenvorsteher. Dann folgten die Kommissionswahlen. Gewählt wurden Vertreter für die Schulvorstände der Bürger-, Gewerbe- und Kaufmannsschule sowie eine Kommission für die höhere Töchterschule, desgleichen die Vertreter für ein Dutzend weiterer Kommissionen, z. B.: Armenkollegium, Bauamt, Feld- und Weideamt, Forstamt und öffentliche Anlage, Löschamt, Verwaltungsausschuß für Gas- und Elektrizitätswerk, Volksbibliothek.
  • Die Gegenstände der Beratungen waren mannigfaltig. Die Kommunalpolitiker berieten im Verlaufe des Jahres z. B. über den Verkauf von Bauplätzen, die Verpachtung des Stadtgutes Kammerhof, die „Ausrodung" des Mühlenbaches, das Anlegen von Schrebergärten, die „Nachbewilligungen" für das Spritzenhaus, das eine neue Motorspritze erhielt, die Neufestsetzung von Mieten, die Straßeninstandhaltung, den Benutzungsplan der Jugendherberge, die Anstellung eines „Nachtschutzmannes" usw.
  • Auch der Plan für ein Kriegerdenkmal, der „Backenzahn" auf dem Buchenberg, nahm erste Gestalt an.
  • Die Polizeiverwaltung hatte gleichfalls viel zu tun. Sie ermittelte nicht nur gegen kleine Diebe, Strolche und erste Verkehrssünder, sondern regelte auch die Scherbenabfuhr und mahnte wiederholt die Kuhhalter, ihre Kühe morgens beim Austrieb und abends beim Hineintreiben nicht in den Straßen frei herumlaufen zu lassen. „Hierbei", so hieß es in den Anzeigen, „begeben sich die Kühe auf fremdes Gebiet (Stahlbadwiesen) und in die öffentlichen Anlagen und beschädigen dort durch Abfressen die Anpflanzungen". Die Polizei drohte mit Geldstrafen und Pfändung der „ohne Aufsicht aufhältlichen Kühe".
  • Das Stadtregiment in Kröpelin führte Bürgermeister Dr. Friedrich Pfenningsdorf, der am 1. Oktober sein 25. Dienstjubiläum feierte, in Neubukow Bürgermeister Stockmann. Die Stadtverordneten beschäftigten sich hier mit ähnlichen Problemen. 300 Mark erhielt die Volksbücherei.
  • Die Kröpeliner stimmten Anfang des Jahres sogar der Einrichtung eines Kinderhortes zu und bewilligten der Volksbücherei weitere 300 Mark.
  • An die schwere Geburt des heutigen Landkreises Bad Doberan erinnert ein Ereignis, das ab März alle Gemüter in Erregung versetzte. Das Gerücht verdichtete sich, daß der damalige Amtsbezirk Bad Doberan aufgelöst und unter den Ämtern Rostock und Wismar aufgeteilt werden sollte. Der Hauptgrund für das Zusammenstreichen von 17 auf zehn Ämtern in Mecklenburg-Schwerin bestand auch damals darin, Verwaltungskosten einzusparen. Der kleine Amtsbezirk „rechnete sich nicht mehr". Viele Bürger wiesen besorgt auf die höheren Reisekosten hin, die künftig die längeren Fahrten nach Rostock bzw. Wismar mit sich bringen würden. Politische Parteien, wirtschaftliche Verbände und Landgemeinden liefen dagegen Sturm. Doch die Proteste waren umsonst. Am 31. Januar 1926 fanden die Amtsvertreterwahlen statt.
  • Doberan verlor seinen Sitz als Amtsbezirk
  • Das öffentliche Interesse war daran natürlich gering und somit auch die Wahlbeteiligung. 26599 Personen gaben für die Vertreter des Amtsbezirkes Rostock ihre Stimme ab. Die Einheitsliste der Berufsstände erhielt 15309 Stimmen (15 Mandate), die SPD 10150 (neun Mandate) und die KPD 1140 (ein Mandat). Auch im Amt Wismar siegte die bürgerliche Einheitsliste.
  • Bad Doberan hatte somit seinen Status als Sitz eines eigenen Amtsbezirkes verloren. Es gehörte jetzt zum Amt Rostock mit fünf weiteren Städten, 231 Landgemeinden und insgesamt 52383 Einwohnern. Zum Amt Wismar zählten vier Städte (darunter Neubukow), 213 Landgemeinden und 47487 Einwohner. Die Bevölkerung ging am Ausgang der „goldenen zwanziger Jahre", die sich als doch nicht so golden erwiesen hatten, neuen, schweren Zeiten entgegen.


Charlie, Bismarck und Nibelungen Kino vor 70 Jahren in Bad Doberan Aus der Heimatgeschichte

  • (von Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, August 1995 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
  • Die Doberaner suchten in einer Zeit, in der es kein Fernsehen gab, nach anderen Zerstreuungen. Sie nahmen an Volksfesten und Jahrmärkten teil und juchsten auf dem“Riesen-Schwanen-Flieger-Karussell“. Sie besuchten im August 1925 den Zirkus Leisek, der seine Zelte auf dem Schützenplatz aufgeschlagen hatte und mit einem „Riesenspielplan“ warb. Dazu gehörten z. B. „eine original Hundemeute“, die „neue Kraftsensation: der Eisenkönig, das Wunder der menschlichen Schönheit“ und die „Weltsensation, das Rechenpferd mit den menschlichen Gedanken“.
  • Besonders beliebt aber war das neue Medium Film. Stummfilme wurden sogar in zwei Lichtspieltheatern aufgeführt, im Erbgroßherzog“ und „Schützenhof“.Was wurde zur Zeit der Großeltern geboten? Damals behauptete sich noch gegenüber Hollywood der deutsche Film. Da die Filme nicht die heute gewohnten Längen hatten, flimmerten oft zwei bis drei hintereinander über die Leinwand, von Klaviermusik oder einer Kino-Orgel stimmungsvoll begleitet. Die seichten Streifen überwogen. Am Neujahrstage waren z. B. im „Erbgroßherzog“ die Filme „Der Klabautermann“ und „Wer wirft den ersten Stein“ zu sehen. Kröpelins Lichtspiele „Zur Sonne“ boten im Januar „Blut und Sand“ über einen Stierkämpfer. Sie alle gerieten schnell in Vergessenheit.
  • Gute Filme kamen mit ein- bis dreijähriger Verspätung in die Kinos. Manche ältere Bürger erinnern sich eventuell an den Film „Das Haus am Meer“ mit Asta Nielsen. In Erinnerung geblieben ist vielleicht auch Fritz Langs „Dr. Mabuse , der Spieler“, der im September in Neubukow anlief. „Es gibt keine Liebe-es gibt nur Begehren. Es gibt kein Glück –es gibt nur Willen zur Macht“, so lautete das Credo des Superverbrechers und Spielers mit Menschen und Seelenleben. Viele Zuschauer genossen diesen Vorläufer des „Thrillers“, der über bloße Spannung hinweg auch Zeiterscheinungen mit einbezog.
  • Zeitgeist und Zeitgefühl spiegelten sich im neuen „nationalen Film“ besonders wider. Die Lichtspiele im „Erbgroßherzog“ empfahlen im Zeitgeist und Zeitgefühl im Film
  • März und April den Besuch der Fridericus-Rex-Filme, Teil III(„Sanssouci“) und („Schiksalswende. Die Schlacht bei Leuthen“). Otto Gebühr prägte sich in der Rolle des“Alten Fritz“ ein. Die 1922723 gedrehte Serie gab kein realistisches Bild der Zustände in Preußen, hielt sich aber weitgehend an die tatsächliche Biographie.
  • Die Konkurrenz im „Schützenhof“ bot Anfang Oktober den „großen patriotischen Film“ über Bismarck auf. Die monarchistisch Gesinnten konnten sich an Filmsequenzen wie „Des Reiches Schmied“ und „Der Große Krieg 1870/71“ erbauen, desgleichen an dem darauffolgenden Streifen „Leidendes Land“, der wegen seiner nationalistischen Tendenz von der Reichszensur siebenmal verboten worden war. Monarchisten wie Republikaner amüsierten sich dann gemeinsam über die „besondere Zugabe“, die die Slapstickkomödie „Charlie Chaplin hat Sehnsucht“ bot. Das Kino brachte für jeden etwas.
  • Der kleine Mann mit dem Schnurrbart, dem Stöckchen und der Melone eroberte sich im Nu die Herzen der Zuschauer. Daneben waren es die dänischen Komiker Pat und Patachon , die mit dem Film „Im siebenten Himmel“ seit April die Leinwand belebten.
  • „Friderico Rex“ und „Bismarck“ gaben der Sehnsucht nach einer starken politischen Führung Ausdruck. Besonderen Gesprächsstoff aber bot der von Fritz Lang 1924 mit hohem Aufwand gedrehte Film „Die Nibelungen“, der im September und November im „Schützenhof „ in zwei Teilen („Siegfried“ und „Kriemhilds Rache“) aufgeführt wurde. „Deutschlands größter und schönster Film“, verhieß die Werbung in der Regionalpresse. Verrat, Mord, Treuebruch und Zauberei erschütterten das Publikum. Es identifizierte sich mit dem deutschen blonden Recken Siegfried, der in Wahrheit durch einen Atelierwald aus Gips ritt. Und entsetzte sich über die halbstündige Endkampf-Szene im zweiten Teil , in dem Etzel und seine Hunnen, im Gegensatz zur Heldensage zu scheußlichen Zerrbildern entstellt, die tapferen Burgunden dahinstreckten.
  • Es war ein recht widersprüchlicher Film , der einerseits in gefährlicher Weise zur „Nationalen Willensbildung“ beitrug, doch andererseits trotzdem ein Werk von Rang war, das in die Filmgeschichte einging.

Nur in verhängten Strandkörben umziehen

  • (von Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, August 1995 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
  • Nach den Jahren der Not kam das Bäderleben in Schwung. Heiligendamm mauserte sich wieder. Geldgeber, wie der Baron Oskar v. Rosenberg aus Zürich, fanden sich, die reichlich investierten.
  • Lorenz Jeschke, der bereits in Bad Nauheim und Partenkirchen Hotels besaß, übernahm das Kurhaus und zugleich die Generaldirektion des gesamten Ostseebades. Der Golf- und Poloplatz, der Tontaubenschießstand und die Tennisanlagen sollten weiter ausgebaut werden, um betuchte Gäste anzulocken. Die Werbung machte mobil und pries den Ort als „ein Stück Italien in Deutschland". „Irgend etwas Südliches, Italienisches liegt über Wald und Häusern", hieß es, „man kann es nicht formulieren, aber es ist da."
  • Am 30. März wurde bereits der erste Badegast begrüßt, der im Pensionat Kirchgeorg (heute „Palette") abstieg. Im heißen Sommer fanden sich viele Prominente ein, z. B. die Großherzogliche Familie und Prinz Heinrich von der Niederlande.
  • Auch die anderen Ostseebäder boten Attraktionen. Der Club „Geselligkeit" in Börgerende veranstaltete z. B. am 28. Juni 1925 ein „Pferde-Sport-Fest" mit Tonnenabschlagen, Flachrennen und einem großen Festball. Brunshaupten führte vom 16. bis 19. Juli großangelegte Sport- und Strandfesttage durch. Am ersten Tag gab es z. B. den großen Wettbewerb von 300 Strandburgen, bei dem 60 Burgherren als sinnige Auszeichnung ein Foto von ihrem Bauwerk erhielten. Am 19. Juli waren Preistellertauchen im Familienbad und die Prämierung der schönsten Badekostüme angesagt. Nach Warnemünde und Heiligendamm war Brunshaupten auch erstmals in das mecklenburgische Bäder-TennisTurnier einbezogen worden. Nienhagen stand Anfang August mit Kinder- und Strandfesten nicht nach, und Alt-Gaarz lud am 14. August zu einem großen Konzert mit dem 16 Mann umfassenden „SalonOrchester" Kröpelin ein.
  • Ein Glanzpunkt war das Doberaner Rennen, das zweimal durchgeführt wurde, und zwar vom 10. bis 12. Juli das „Vollblut-, Flach-, Jagd-, Hürden- und landwirtschaftliche Rennen", bei dem 132 Pferde mit ihren Reitern starteten und für die Sieger etwa 62 000 Mark und 20 Ehrenpreise ausgesetzt waren, sowie ein weiteres Rennen vom 13. bis 16. September.
  • Sonderzüge III. und IV. Klasse brachten von Schwerin und Wismar her weniger begüterte Schaulustige und Sonnenhungrige nach Bad Doberan, die dann per „Molli" weiter in die Bäder fuhren. Der Dampfer „Großherzog" und der Doppelschrauben- Salon-Schnelldampfer „Kronprinzessin Cecilie" schwemmten häufig weitere in Arendsee, Brunshaupten und Heiligendamm an. (Damals hatten alle Seebrücken noch eine Landefunktion.) Die Regionalpresse meldete einen „gesteigerten Besuch" der Ostseebäder. Die Besuchsziffern betrugen z. B. bis zum 27. August in Arendsee 7516, in Brunshaupten sogar 14 229 Badegäste.
  • Wer die Badeanstalten mied und das Freibaden bevorzugte, hatte sich hier nach strengen Polizeiordnungen vom 1. Juli, „betreffend das Freibaden am Ostseestrande", zu richten. Die von Arendsee schrieb vor: „§ 1. Das Freibaden ist nur in einer Entfernung von je 30 Meter von der am Strande belegenen Familienbadeanstalt der Gemeinde Arendsee gestattet . . (In Brunshaupten war man großzügiger, durfte doch bei den Badeanstalten in einem Umkreis von 100 Meter dem Badevergnügen nachgegangen werden.) „§ 2. Das An- und Auskleiden darf nur in verhängten Strandkörben erfolgen. § 3. Als Bekleidung ist nur der geschlossene Badeanzug zulässig. Für Kinder unter den 10 Jahren genügen Badehosen. § 4. Landeinwärts des Strandes mit Einschluß der Strandpromenade sowie auf der Landungsbrücke ist das Umherlaufen in Badebekleidung untersagt . . " Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafen bis zu 150 Reichsmark geahndet. Die puritanischen Vorschriften erinnerten noch an die der Großherzoglichen Badeaufsicht vor 1918. Der Leser wird erleichtert denken, daß es doch im Gegensatz zu damals heute erheblich freizügiger an unseren Stränden zugeht, für manchen aus der älteren Generation vermutlich zu freizügig.




1927
Besuch Hindenburgs beim Pferderennen
1927
Bau des Wasserturmes mit Wasserleitung
1928
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1929
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Drittes Reich (1933-1945)

1932
Adolf Hitler wird Ehrenbürger von Bad Doberan
1933
  • Artikelserie zur NS-Geschichte in Bad Doberan von Dr. Hermann Langer in der Ostsee-Zeitung(OZ) - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 3) OZ, 2.1.1993

  • Brennende Fackeln im Januar 1933
  • 31. Januar 1933. Der „Niederdeutsche Beobachter" meldet: „Mecklenburg jubelt! Regierung und Volk bekennen sich zum neuen Führer des Reiches-Huldigungstelegramme „ Machtvolle Kundgebungen im Gaugebiet. Punkt 1 auch der Tagesordnung der Doberaner Stadtverordnetenversammlung: „Ehrung des zum Reichskanzler ernannten Ehrenbürgers der Stadt Adolf Hitler“.
  • Auch die Ortsgruppe der NSDAP in Bad Doberan begrüßte die „nationale Wende". Gemeinsam mit dem SA-Sturm 21/90 setzte sie einen Fackelzug an. Er formierte sich am Abend vor dem „Lindenhof“. Jungvolk, Hitlerjugend und NS-Frauenschaft waren zur Stelle. Mit der Stadtkapelle und dem Satower SA-Spielmannszug an der Spitze, wälzte sich der Zug durch die Straßen der Stadt. In der Regionalpresse stand: „Überall hatten sich zahlreiche Menschen angesammelt, die den Fackelzug begeistert begrüßten". Vor dem Kriegergedenkstein 1870/71 dann die "packende Ansprache" des Ortsgruppenleiters der NSDAP, die in ein „Sieg heil!" ausklang.
  • Viele am Straßenrand waren fasziniert von der nationalen Woge. Sie erwarteten jetzt Arbeit und Brot, Ordnung und Sicherheit, den Beginn einer besseren Zeit überhaupt. Vielleicht war auch unter den Zuschauern jene Abiturientin aus einer angesehenen Adelsfamilie, die wenige Tage später am Gymnasium im Deutschaufsatz ihre Ansichten darlegte. Sie schilderte die Folgen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland: die Stillegung der Fabriken, den Ruin großer Teile der Landwirtschaft, die Arbeitslosigkeit, Demoralisierung und Radikalisierung der Politik. Ihre Meinung: „Alle diese Übel lassen sich nur beseitigen, wenn sie bei ihrer Wurzel, der Arbeitslosenfrage angepackt werden. Es ist gleich, auf welche Weise es geschieht, es muß nur bald geschehen.“
  • Mitglieder linker Arbeiterparteien und der Gewerkschaft hatten wiederum andere Vorstellungen von der Lösung dieses Problems. Sie liefen auf die Reformierung oder die revolutionäre Überwindung des Weimarer Systems hinaus. Weit verbreitet war aber unter allen die Illusion, daß Hitler bald wieder abwirtschaften würde. Auch Kräfte aus dem Bürgertum, die diesem abwartend gegenüberstanden, hatte sie. Doch dieser trat nicht wieder ab. Er konnte den Umstand nutzen, daß die Talsohle der Wirtschaftskrise durchlaufen war. „In 1 bis 2 Monaten", so hatte Goebbels am 30. Januar in seinem Tagebuch notiert, „haben wir Ruhe und Ordnung in Deutschland wieder hergestellt.
  • Auch in Bad Doberan sorgten die Nationalsozialisten für „Ruhe und Ordnung". Erinnert sei an den 19. Februar 1933, als die SA aus Bad Doberan, Satow und Rostock die antifaschistische SPD-Demonstration in der FriedhofStraße abriegelte und in den Zug feuerte. Der Reichsbannermann Ernst Wolff wurde dabei durch einen Brustschuß tödlich getroffen. Der Reichstagsbrand vom 27. Februar führte auch zum Ausnahmezustand im Kreisgebiet. Den Polizeiakten im Stadtarchiv Bad Doberan ist zu entnehmen, daß Haussuchungen jetzt auf der Tagesordnung standen. Sie erfolgten z. B. am 17. März bei Funktionären des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und der eisernen Front, die einst zum Schutz der Demokratie von der SPD geschaffen worden waren. Am 2. Mai beschlagnahmten zehn „Hilfspolizisten" der SA und ein Polizeikommissar das Vermögen der Gewerkschaften. Wer dagegen protestierte, wie der Genossenschaftsfunktionär Heinrich Brügge, kam in „Schutzhaft". * So lautete die Umschreibung der Überweisung ins Gefängnis, Zuchthaus und KZ. Ein Verzeichnis der vom 28. Februar bis 18. Mai Inhaftierten registrierte 17 Personen. Unter ihnen befand sich Adolf Arendt, Vorsitzender der KPD Bad Doberans, ab 2. Mai in Berlin inhaftiert, ferner Hans Christiansen, Vorsitzender des Holzarbeiterverbandes, und Otto Lange, Kassierer der Freien Turnerschaft. Zuerst. Zuerst waren die Arbeiterfunktionäre dran. Bald folgten andere, die in Opposition zum NS-Regime standen, z. B. der Oberpostschaffner a. D. Albert Schwanck (Deutschnationale Volkspartei) „wegen Verbreitung von Gerüchten und Herabsetzung der Autorität des Staates", der Pastor i. R. Martin Jacoby, der vermutlich der Bekennenden Kirche angehörte, der Landwirt Erich Picht. - Die Fackeln, die da am 30. Januar brannten, sollten nicht nur den Gegner im Innern versengen, sondern bald auch die Welt.(Dr. Hermann Langer)

Alltag unterm Hakenkreuz OZ, 9.1.1993

  • (von Dr. Hermann Langer - Ostsee-Zeitung, Januar 1993 - Zeitungsregestensammlung Carl Christian Schmidt/Archiv Münsterverwaltung Bad Doberan)
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  • Das erste Jahr unter Hitler
  • „Mecklenburg wird dann erst frei, wenn Du wählst die Liste 3" - mit dieser Parole war die NSDAP zu den Landtagswahlen 1932 angetreten. Wie sah nun die neue Freiheit aus? Manche ältere Bürgerinnen und Bürger aus Bad Doberan erinnern sich: Es ging für viele wieder aufwärts. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm brachte 250 Arbeitslosen Lohn und Brot. In Notstandsarbeiten pflasterten sie z. B. die Alexandrinen- und Hindenburgstraße und gaben dem Stadtgut Kammerhof, dem Rathaus und der Stadtschule ein neues Aussehen. Baugewerbe und Wirtschaft florierten durch Reichszuschüsse. Die Sparkasse, durch einen Neubau erweitert, gewährte wieder Darlehen, Hypotheken und Zwischenkredite. Hatten die Spareinlagen der Bevölkerung Ende 1932 noch 183 000 Reichsmark betragen, so stiegen sie bis Ende 1933 auf 294 000 Reichsmark an. Die Schulabgänger hatten wieder eine Perspektive, so die 18 Lehrlinge, die im April an der Gewerbeschule ihre Gesellenprüfung ablegten.
  • Es gab mitunter auch Spektakuläres. „Vatermord in Parkentin. Sohn schneidet seinem Vater die Kehle durch", lautete die Schlagzeile des „Niederdeutschen Beobachters" vom 15. April. Die Tat des 27jährigen Bauernsohnes, der seinen Vater im Streit um die Art der Aussaat umgebracht hatte, erregte vorübergehend die Gemüter. Gelassener nahm die Mehrheit die Straßenumbenennungen hin. Aus der Dammstraße wurde die Friedrich-Hildebrandt-Straße, aus der Straße am Rathaus die Hindenburg-Straße und aus dem Schulzen- der Horst-Wessel-Platz.
  • Das NS-Regime sorgte auch für die Unterhaltung. Der 1. Mai wurde erstmals als „Tag der nationalen Arbeit" begangen. Um 6.00 Uhr früh weckte die SA. Es ging um 8.00 Uhr weiter mit Flaggenhissen, Glockenläuten und Sirenengeheul. Danach Rundfunkübertragung aus Berlin, Feldgottesdienst und das Pflanzen einer Adolf-Hitler-Eiche auf dem Kamp. Nachmittags dann die gemeinsame Kaffeetafel von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der große Festzug und ab 22.00 Uhr endlich der „Deutsche Tanz" in allen Sälen. Der wärmende Gedanke, in einer neuen Volksgemeinschaft geborgen zu sein, begann zu greifen.
  • Der Sommer hatte weitere Höhepunkte. Am 21. Juli wurde das „Heimattreffen der Mecklenburger" im Münster mit der Aufführung des „Messias" eröffnet. Am folgenden Samstag führten eine Riege des Turn- und Sportvereins von 1863, der Männergesangverein „Liederfreund" und die Doberaner Kurkapelle Proben ihres Könnens vor. Und am Sonntag dann das Doberaner Rennen, von dem der „Niederdeutsche Beobachter" am 24. Juli zu berichten wußte: „Alle Tribünen und anderen Plätze waren sehr gut besucht. Das ganze Bild wurde aber beherrscht von den Marschkolonnen des Dritten Reiches, der SS, SA, Hitlerjugend sowie vom Stahlhelm.“ In der Fürstenloge bemerkte man u. a. den Reichsstatthalter, das Großherzogspaar, SA-Oberführer Fust und andere Amtswalter der NSDAP." Das Rennen der Reitervereine (ca. 1000 m) gewann ein H. Uplegger auf „Caspar", das Offiziersflachrennen Oberleutnant Radeke vom Reiterregiment Nr. 14 (Ludwigslust) auf dem Pferd „Hohenau".
  • Das Kurhaus-Fremdenbuch registrierte regen Besuch, z. B. am 1. August unter Nr. 91 Dr. Goebbels mit Frau. Unter der Rubrik „Stand oder Beruf" war jetzt „Reichsminister Berlin" eingetragen. Für den 15./16. August trug sich auch Leni Riefenstahl, Filmschauspielerin aus Berlin, ein.
  • Ein Thema der Sommersaison war der „Schönheitswettbewerb für Kraftwagen" in Heiligendamm, veranstaltet am 13. August vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) Gau VIb Mecklenburg. Der Rennfahrer Stuck aus Berlin erwarb hier durch Abstimmen des Publikums mit 142 Stimmen das „Blaue Band von Ostseebad Heiligendamm".
  • „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte", kommentiert Mephisto in Goethes „Faust". Viele ahnten kaum, was sie sich mit dem NS-Regime eingehandelt hatten. Die von den Nationalsozialisten verheißene Freiheit hatte ihren Preis. Ihn hatten nicht nur die organisierte Arbeiterschaft und engagierte Demokraten zu zahlen.
  • Ins Visier waren die jüdischen Mitbürger geraten, die als „Sündenböcke" für nicht eingelöste Versprechen der neuen Politiker herhalten mußten. So erfolgte am 1. April in Neubukow der Boykott jüdischer Geschäfte. „Deutsche, kauft in deutschen Geschäften nur bei deutschen Fachleuten Uhren, Gold und Silberwaren", hieß es in einer Anzeige der Regionalpresse. Fritz Burchard erinnert sich in einem Brief an den Heimatforscher Walter Haak vom 7. März 1987: „Ich fühlte mich so als Deutscher, wie eben jeder andere deutsche. Die Religionsfrage wurde nie angeschnitten. Ich hatte meine Freunde und besuchte die Oberrealschule in Wismar. Anfang 1933 merkte ich, daß ich doch nicht mehr in Neubukow, vielleicht auch nicht mehr in Deutschland bleiben konnte. Plötzlich wandten sich Freunde und Bekannte von mir ab. So ging ich nach Amsterdam und bereitete meine Reise nach Brasilien vor..."
  • Fritz Burchard hatte Glück. Für manche führte der Weg in den Holocaust. - Alltag unterm Hakenkreuz. Das Kreuz hatte viele Haken.(DR. HERMANN LANGER)

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 5) OZ,16.1.1993

  • Vor jeder Schulstunde: „Heil Hitler, Herr Lehrer!“
  • Auch an den Schulen zieht der braune Alltag ein. Schuldiener ziehen Hakenkreuzfahnen hoch und bringen an sichtbarer Stelle Porträts vom neuen „Volkskanzler“ an. Manche Lehrer tragen nagelneue braune Uniformen zur Schau. Waren es in Rostock-Stadt und Land vor dem 1. November 1932 nur 21 Lehrer, die der NSDAP angehörten, so folgen bis zum 1. Mai 1933 weitere 58, die - im Volksmund spöttisch „Märzgefallene" oder „Märzveilchen" genannt-bei der neuen Bewegung ihr Heil versuchen. Alle anderen sind gezwungen, zumindest dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) beizutreten. Zögernd tun das auch Mitglieder des Lehrervereins Bad Doberan, dessen liberale Traditionen bis in das Jahr 1844 zurückreichen.
  • „Heil Hitler, Herr Lehrer!" - Mit diesem Gruß betraten seit Ende Juni 1933 - noch kurz vor den 'Hundstagsferien'- 550 Schülerinnen und Schüler in Bad Doberan die Schule. Nur wenige Pädagogen, wie der Zeichenlehrer Willi Hennig-Hennings, wagten es, den Gruß zu verweigern oder ihn allenfalls anzudeuten. Doch anders dachte der Leiter der privaten höheren Knaben- und Mädchenschule zu Brunshaupten und Arendsee (heute: Kühlungsborn), die 72 Schülerinnen und Schüler aufwies, darüber. „Es ist ein herrliches Sinnbild", so notierte er in der Chronik, daß „jede Unterrichtsstunde mit Heil Hitler begonnen und geschlossen wird." Und er wertete Rituale wie „Deutscher Gruß" und „Feierliche Fahnenehrung" als „eine Mahnung an Lehrer und Schüler, daß alle Erziehung, aller Unterricht, alle Arbeit in der Schule geleistet werden muß im Dienste des Führers aus nationalsozialistischem Denken zum Wohl von Volk und Vaterland."
  • Die materielle Situation an den Schulen war nicht spürbar besser geworden. Auf den Dörfern besuchten die Schülerinnen und Schüler zumeist eine ein- oder zweiklassige, in Satow eine fünfklassige Schule. In Bad Doberan platzte die Volksschule aus den Nähten. Der Ankauf der alten Superintendentur im Jahre 1936 zum Unterbringen der Mädchenklassen erwies sich nur als Notlösung. Ähnliche Probleme hatte das Gymnasium Friderico-Francisceum. Seit Jahren mußten Unterklassen in das Prinzenpalais umgesiedelt werden. Daneben gab es für Mädchen die private höhere „Elise-Albrecht"-Schule. Volksschulabgänger konnten die Gewerbe- und Kaufmannsschule besuchen.
  • Unterdessen kam die „Gleichschaltung" in Schwung. Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 wurden wiederholt Schulbeamte und Lehrer als Angestellte des öffentlichen Dienstes überprüft. Ins Visier gerieten diejenigen, die nach dem 9. November 1918 ihre Tätigkeit aufgenommen hatten, und die sogenannten „Nichtarier". Am 13 Juli versicherte der Rektor de Doberaner Stadtschule seiner vorgesetzten Behörde, daß die Mitglieder seines Kollegiums „durchaus die Gewähr" bieten, „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat" einzutreten. Ab August hatten die Lehrkräfte eine schriftliche Erklärung nach folgendem Muster abzugeben:
  • „Erklärung - Ich erkläre hiermit an Eidesstatt, daß ich der SPD nicht vom ... bis ... als Mitglied angehöre oder angehört habe."
  • Manche fügten übereifrig, wie der Lehrer der Schule von Detershagen, hinzu, daß man „bereits mehrmals nationalsozialistisch gewählt habe" und sich „ seit Jahr und Tag nach bestem Wissen und Können bemühe, nationalsozialistisches Gedankengut zu verstehen und der deutschen Jugend zu vermitteln. " Bald waren auch die Mitglieder ehemaliger Freimaurerlogen dran. Der am Doberaner Gymnasium amtierende Oberstudienrat Helmuth Gaedt wurde aus diesem Grunde am 1. Oktober 1937 entlassen.
  • Richtungweisend für das, was im Unterricht zwischen dem Austausch des Hitlergrußes inhaltlich ablief, war Hitlers Erziehungsauftrag. Er wollte nur „Kerle statt Köpfe". Dementsprechend stand bald auf den Stundentafeln die „Leibeserziehung" oben an. An zweiter Stelle rangierten die „deutschkundlichen Fächer" (Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Naturkunde bzw. Biologie, Zeichnen bzw. Kunsterziehung und Musik). Sie hatten zur „Entwicklung des Charakters" beizutragen. Die „wissenschaftliche Schulung" in den übrigen Fächern kam zuletzt, wobei auch hier NS-„Gedankengut" einfloß. Neue Lehrbücher erschienen, z. B.: 1934 die Fibel „Pimpf und Küken", 1935 in einer Neubearbeitung das erste Lesebuch für Mecklenburger Kinder „Heini und Lene". Ranzenträger eigneten sich hier u. a. zu einem Bild mit Hakenkreuzfahnen, marschierender SA und stramm grüßenden Passanten die Schreibweise des Hitlergrußes an. Sie buchstabierten Texte über raufendes Jungvolk, kantige Hitlerjungen und lasen Auszüge aus Führerreden. Und sie lernten Gedichte wie „Aus Jungen werden Soldaten". Eine Strophe lautete: „Ein scheckiges Pferd, ein blankes Gewehr und ein hölzernes Schwert, was braucht man denn mehr?" Besonders einschneidende Veränderungen erfuhren Naturkunde und Biologie. Nach einem Schweriner Erlaß vom 12. Dezember 1933 waren in den Abschlußklassen „Vererbungslehre und Rassenkunde" zu behandeln. Hier wurde die Lehre vom „deutschen Herrenmenschen" propagiert.
  • Während aus der Kreislehrerbücherei Rostock Werke von Heinrich und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Kurt Tucholsky aussortiert wurden, schaffte die Ausgabestelle Satow Hitlers „Mein Kampf" und die „Einführung in die Rassenkunde" von Meil und Miehlke an. Der braune Ungeist gewann an Boden.(DR. HERMANN LANGER)

Alltag unterm Hakenkreuz(Teil 6) OZ,23.1.1993

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  • „Hitlerjunge Quex“ in Aktion
  • 27. Oktober 1933. - In den Lichtspielen erleben Doberaner Gymnasiasten den „nationalen" Film „Hitlerjunge Quex". Der Hauptheld, Sohn eines arbeitslosen KPD-Proleten, wechselt die Fronten. Finstere Meuchelmörder stechen ihn deshalb nieder. Mit glücklichem Lächeln haucht er in den Armen neuer HJ-Kameraden seine Seele aus. Die letzten mühsam hervorgebrachten Worte: „Unsere Fahne flattert uns voran! “ Aus dem Körper des Sterbenden tritt ein Heer aus Braunhemden und Fahnen ins Blickfeld. Sie verschmelzen mit der Musik zu einer wirksamen Szenerie. „Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!", so das Leitmotiv. Nationaler Kitsch - gekonnt inszeniert. Viele der jungen Zuschauer sind bewegt. Sie wollen dem Hitlerjungen nacheifern.
  • „Hitlerjugend im Angriff!", lautete die Werbeparole der örtlichen HJ im Februar und März 1933. Regelmäßig brachte der „Niederdeutsche Beobachter" Anzeigen wie „Jungarbeiter der Stirn und der Faust - Eure Organisation ist die Hitlerjugend" oder „Hitlerjugend heißt - Deutschland soll leben". Junge Eltern meldeten neuerdings die „glückliche Geburt eines gesunden Hitlerjungen" an. Auch das Deutsche Jungvolk (DJ) und der Jungmädelbund (JM) starteten Werbefeldzüge. Das Doberaner Fähnlein 2/III 1/90 gestaltete z. B. mit dem Kröpeliner Spielmannszug am3. Februar 1934 im „Lindenhof" einen Abend. Auf dem Programm u. a.: Fahneneinmarsch, Lieder wie „Unsere Fahne flattert uns voran" und „Als wir nach Frankreich zogen", als Höhepunkt das Schattenspiel „Hitlerjunge Klecks".
  • Viele gingen freiwillig zur HJ, weil es Mode war, wie die neue Frisur - Haare auf Streichholzlänge. Darüber hinaus lockten die Geborgenheit einer Gemeinschaft ohne soziale Unterschiede sowie Abenteuer, Erlebnisse, Aufstiegs- und Bewährungsmöglichkeiten.
  • Die HJ meldete auch an den Schulen ihre Forderungen an. Am Doberaner Gymnasium mußte der Direktor ab Oktober 1933 zwei aufgabenfreie Nachmittage für Angehörige der HJ, SA und SS einräumen. Auf eine zentrale Anweisung hin wurde hier am 14. August 1934 der „Staatsjugendtag" eingeführt. Während künftig am schulfreien Sonnabend Jungvolk-Mitglieder unter dem Kommando älterer Schüler, die als HJ-Führer eingesetzt werden, exerzierten, marschierten, schossen und im Gelände Krieg spielten, mußten an der Lehranstalt sieben nicht organisierte „Restanten" den „nationalpolitischen Unterricht" über sich ergehen lassen. Auf dem Plan standen Themen wie „Grenz- und Auslandsdeutschtum", „Geschichte der NS-Bewegung" und „Winterhilfswerk". An der Privaten höheren Knaben- und Mädchenschule der Ostseebäder Brunshaupten und Arendsee nahmen alle am „Staatsjugendtag" teil. Ihr Leiter räumte in der Chronik zwar ein, daß dadurch „eine gewisse Beschränkung der Menge des Wissensstoffs unvermeidlich sein" würde. Doch stünde dem „ein erheblicher Gewinn an wertvoller körperlicher und charakterlicher Ertüchtigung" gegenüber.
  • Schulen, an denen 90 % der Schülerschaft von der Jugendorganisation „erfaßt" waren, durften die Fahne der HJ hissen, so z. B. die höheren Schulen. Anders sah es an den Volksschulen aus. Am 1. März 1936 gehörten z. B. in Bad Doberan von 584 Schülerinnen und Schülern nur 270, in Kröpelin von 442 nur 145, in Neubukow von 128 immerhin 91 dem DJ bzw. JM an. Der Zulauf im „Jahr des Deutschen Jungvolkes" stagnierte. „Hitlerjunge Quex" allein zog nicht mehr. Der HJ-Dienstbetrieb erstarrte oft zur Routine. Die ständigen Sammlungen fürs „Winterhilfswerk“, die vielen Ernteeinsätze und andere Aktionen ermüdeten. Auch der „nationalpolitische Unterricht" rechnete sich nicht mehr. Ab September 1936 wurde der „Staatsjugendtag" aufgehoben. Das „Gesetz über die Hitlerjugend" vom 1. Dezember 1936 erklärte die HJ zum eigenständigen Erziehungsfaktor für die gesamte Jugend. Der Darmstädter Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Jochen Gamm, 1925 in Jömstorf geboren und aufgewachsen, erinnert sich:
  • „Seit dem 'Reichsjugendgesetz' vom 1. 12. 1936 gehörten wir Kinder beiderlei Geschlechts der Hitlerjugend an, wo wir nachdrücklich auf Befehl und Gehorsam eingestimmt, uns das 'Leben des Führers' samt der einschlägigen braunen Ideologie eingeprägt wurde. Ich beneidete die Träger von Litzen, Schnüren und Sternen sehr und wäre mit solchen Attributen auch gern ausgestattet worden, da sie einigen meiner Mitschüler erhebliches Ansehen beim anderen Geschlecht verschafften; doch wurden mir dergleichen Auszeichnungen zu meinem damaligen Bedauern nicht zuteil; ich rückte über den Standard-Dienstgrad eines 'Hitlerjungen' nicht hinaus."
  • Und er berichtete an anderer Stelle weiter von den Wirkungen der HJ- „ Erziehung":
  • „Antisemitische Lieder und Texte waren uns durch die Hitlerjugend eingehämmert worden, und wir gröhlten als Dreizehn-/Vierzehnjährige wirklich das Lied vom 'Sturmsoldaten' mit dem Refrain 'Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, ei, da geht's nochmal so gut', ohne das wir begriffen, welches mörderische Kauderwelsch uns eingetrichtert worden war."
  • Am 25. März 1939 erfolgten zwei Durchführungsverordnungen zum HJ- J-Gesetz vom 1. Dezember 1936. Die zweite, auch Jugenddienstverordnung genannt, leitete daraus eine alle Jungen und Mädchen «wischen zehn und 18 Jahren betreffende Jugenddienstpflicht ab. Damit war das Zwangssystem perfekt, das auch die Jugend der Region in die Einbahnstraße „HJ - Reichsarbeitsdienst - Wehrmacht" führte.(DR. HERMANN LANGER)
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1934
Heimatmuseum im Möckelhaus
1935
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  • Seit 1935 fand regelmäßig der Doberaner Dichtertag statt. An ihm nahmen Schriftsteller aus dem niederdeutschen Raum teil. Unser Foto stammt von der Eröffnung des 2. Doberaner Dichtertages im Jahre 1937


Auch der Herzog auf Werbetour(Aus der Bädergeschichte(1) OZ, 1.7.1995)

  • Der Frühling 1935, im zweiten Jahr unter Hitler, war laut Pressemeldungen „nicht Halbes und nichts Ganzes". Anfang März hatte sogar ein heftiger Nordoststurm das Ostseebad Arendsee (heute Kühlungsborn-West) heimgesucht und die Promenade, die zeitgemäß den Namen des Reichsstatthalters Friedrich Hildebrandt trug, in einer Länge von etwa 50 Metern fortgerissen.
  • In Brunshaupten (Kühlungsborn-Ost) hatte der Strand gleichfalls gelitten. Am 30. März kündete hier der NS-Bürgermeister auf einer Gemeindeversammlung an, eine Ortssatzung einzubringen, die mittelalterlich anmutete. Alle Einwohner von 18 bis 60 Jahren sollten jährlich zwei volle Tage „ Hand- und Spanndienste" vor allem am Strande leisten, weil sich keine Freiwilligen mehr fanden. So mußte einiges getan werden, um zu halten, was die Werbung versprach: „Brunshaupten - ein Silberstreifen an der deutschen Ostsee".
  • Auch Bad Doberan bereitete sich auf die Sommersaison vor. Die vom Rat der Stadt herausgegebene Werbebroschüre knüpfte an die herkömmliche Reklame an. Sie pries den Ort als eine „Perle der Gotik und des Klassizismus", als „klimatischen Kurort und Sommerfrische", als „beliebten Ruhesitz, Ausflugsund Tagungsort" und verwies natürlich auf Heiligendamm als „Nestor der deutschen Badeorte". Es fehlte nicht an Hinweisen, wie Bad Doberan, „die Eingangspforte zu den mecklenburgischen Ostseebädern", zu erreichen sei, z. B. per D-Zug von Leipzig aus in sechs, von Berlin aus in vier und von Hamburg aus in dreieinhalb Stunden.
  • Zur Zerstreuung wurden empfohlen: Kurkonzerte auf dem Kamp (Stadtpark), Lesetempel mit Tageszeitungen, Bundeskegelbahnen im Hotel „Erbgroßherzog" und „Brandts Höh"', Leihbibliotheken in den Buchhandlungen Bitter und Rosenfeld u. a. m. Die Kurtaxe betrug damals pro Nacht des Aufenthaltes 0,50 RM, für eine zweite Person der Familie 0,40, für eine dritte 0,20 und für jede weitere der Familie 0,10 RM. Die Preise im Doberaner Kurhaus, das 60 Betten aufwies, lagen damals bei einer Vollpension zwischen 5,50 und 7,50 RM, im Kurhaus Heiligendamm mit 49 Betten sogar zwischen 6,50 bis 15 RM pro Tag. Kein Wunder, daß diese angesichts der für die damalige Zeit stattlichen Preise überwiegend von NS-Größen, wie Joseph Goebbels, Starregisseuren, wie Leni Riefenstahl, und Sportlern, wie Max Schmeling, frequentiert wurden.
  • 1936, im Jahr der Olympischen Spiele, legte der Doberaner Verkehrsverein in der Werbung zu. „Bad Doberan rüstet", unter dieser Schlagzeile im militanten Stil jener Zeit berichtete der „Rostocker Anzeiger" am 25. April über eine Tagung des Vereins. Der neue NSBürgermeister Karl Heinz Albrecht referierte über eingeleitete Maßnahmen. Jetzt sollte auf sämtlichen Untergrundbahnhöfen in Berlin und Hamburg geworben und alle Mappen der Lesezirkel größere Städte Sachsens, Thüringens und anderer „deutscher Gaue" mit Werbeprospekten bestückt werden. Der Rostocker Hinstorff-Verlag wollte in Zusammenarbeit mit dem Doberaner Schriftsteller Dr. Gerhard Ringeling ein Bilderheft über Bad Doberan und Heiligendamm und einen Novellenband mit Bezug auf die Stadt herausgeben.
  • Selbst Herzog Adolf Friedrich hatte sich bereiterklärt, auf einer Olympia-Werbetour durch Südamerika propagandistisch für beide Orte zu werben. Albrecht sprach auch über Varianten zum Ausbau der Bahnlinie: Neubukow - Alt-Gaarz - Wustrow oder Kröpelin - Alt-Gaarz - Wustrow. Die Reichsbahndirektion brütete bereits über die Variante: Ausbau der Kleinbahn Bad Doberan - Arendsee zur Vollspurbahn mit Weiterführung der Bahnlinie über Alt-Gaarz nach Neubukow.
  • Als Clou des Ganzen kündigte der ehrgeizige Bürgermeister an, daß die Tobis-Filmgesellschaft beabsichtige, „einen Kulturfilm über die Kulturstätte Bad Doberan - Heiligendamm zu drehen". In der Tat hatte Albrecht am 7. Februar 1936 dieser vorgeschlagen, einen solchen zu drehen, zumal Heiligendamm, so spekulierte er, „Sommersitz des Führers" werden würde. Doch die Tobis-Melofilm GmbH verlangte von ihm eine Beteiligung an den Produktionskosten.
  • Am 14. Februar teilte Albrecht in einem weiteren Schreiben mit, daß er diese nicht mittragen könne. Diesmal wies er auf Propagandaminister Joseph Goebbels hin, der ständig in Heiligendamm zu Gast sei. „Er ist begeistert von Doberan-Heiligendamm, und ich glaube, es würde ein Anstoß genügen, um ihn zu veranlassen, einen Kulturfilm drehen zu lassen." Ob Goebbels je diesen „Anstoß" bekam, ist nicht bekannt.(HERMANN LANGER)


1936
Eingemeindung von Heiligendamm
Bad Doberan hat 7000 EW
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1937
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  • Gauleiter Friedrich Hildebrandt zu Besuch im Arbeitslager Stülower Weg

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 7) OZ, 30.1.1993

  • Der scheinbare Aufschwung
  • Bad Doberan. 1937 erhält Bad Doberan ein neues Wappen. Der silberne Abtstab ist herausmontiert. Ihn ersetzt die Treuerune, die fortan Hirsch und Schwan trennt. „Doberan-Heiligendamm, eine Perle am deutschen Ostseestrand, zugleich aber auch eine rege pulsierende und reizende Zelle im Großdeutschland unseres geliebten Führers", heißt es in einem Nachtrag von 1939 zu einem Doberaner Heimatbuch.
  • In der Tat schien es in der „ Zelle" zu pulsieren. Die Stadt machte sich. Der „Niederdeutsche Beobachter" brachte im Olympischen Jahr am 25. Juli 1936 einen Report über eine Besucherin namens Eulalia Zuckermus. „Sie ist entzückt über das Neue, was sie zu sehen bekam.“ Die Person war für den Propagandazweck erfunden, die Fakten stimmten zumeist.
  • Der Straßenbau fand seine Fortsetzung. Haushaltungen wurden ans Gasnetz angeschlossen. Der private Wohnungsbau ging voran. Im Herbst 1936 bildete sich sogar eine Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft e.G.m.b.H. Bis Ende 1937 entstanden 79 Wohnhäuser mit 131 Wohnungen, sechs „Volkswohnungen" für kinderreiche Familien und acht Stadtrandsiedlungen.
  • Prof. Heinkel, Chef der Rostocker Flugzeugwerke, erwarb für 50 bei ihm arbeitende „Volksgenossinnen" in der Adolf-Hitler-Straße ein Villengrundstück und richtete hier ein Heim ein. Seit 1936 gab es auch ein Arbeitsdienstlager, dessen Insassen u. a. bei den Meliorationsarbeiten in der Conventer Niederung eingesetzt wurden. Das Handwerk hatte wieder „goldenen Boden". Bad Doberan wurde zur „Gaustadt des Handwerks" erkoren.
  • Der „Backenzahn", die Heldengedenkstätte am Buchenberg, erhielt neuen Glanz.
  • Reichsstatthalter Friedrich Hildebrandt spendierte der Stadt das Möckelsche Haus am Klostergarten. Hier fand das Heimatmuseum seinen Platz. Die NSDAP ließ auch eine „Ahnenhalle" für "würdige Feierstunden " im Haus errichten. Dort waren Ahnentafeln aufgestellt. An der Stirnwand prangte ein großes Hakenkreuz, garniert mit einem Spruch des Heimatdichters Friedrich Griese: „. .. wohr Din Blaud, stark sall dat bliewen und frie!"
  • Die englische Zeitung „Sidney Morning Herald" vom 3. April 1938 beurteilte das Ganze allerdings als „blutigen Heidenkult".
  • Die Zahl der Geburten stieg von 60 im Jahre 1933 auf 128 im Jahre 1937 an. Kindersegen war im Dritten Reich willkommen. Ab 1938 erhielten Frauen mit vier oder fünf Kindern das „Mutterkreuz" in Bronze, mit sechs und sieben in Silber, mit acht und mehr in Gold. Schließlich hatte nach Hitler das „Schlachtfeld der Frau das Wochenbett" zu sein.
  • Und die SS-Zeitung „Das schwarze Korps" meldete, daß der Standesbeamte Bad Doberans als erster in Deutschland eine besondere Uniform mit dem Reichsadler sichtbar auf der Brust trage.
  • Die Stadt wuchs an. Die Eingliederungen der Gemeinde Heilgendamm am 1. April 1936 und Althofs am 1. April 1939 trugen dazu wesentlich bei.
  • Bad Doberan gewann auch über die Grenzen hinaus Ansehen. In seinen Mauern fanden 1933 und 1935 Tagungen des vom Reichsgesundheitsamt protegierten „Bundes Kinderland" statt. Dieser trat ebenfalls für Kinderreichtum ein und forderte die „Auffordnung der Rasse“ („gegen schwarz geringelte Kurzhälse, für blonde Lockenköpfe! ").
  • Seit 1935 fand regelmäßig der „Doberaner Dichtertag statt. An ihm nahmen Schriftsteller aus dem niederdeutschen Raum teil, z. B. Hans Friedrich Blunck, Präsident der Reichsschrifttumskammer, Friedrich Griese und Rudolf Kinau. Unter ihnen waren manche „Blut- und Boden"-Dichter.
  • Unterm Hakenkreuz pulsierte ebenfalls das Bäderleben. Für Minderheiten war allerdings kein Platz. „Arendsee wird judenrein", verhieß drohend im Juli 1935 die Regionalpresse.
  • Werbeprospekte lockten andere Besucher an. In einem hieß es 1936: „Bad Doberan mit seinem Ostseebad Heiligendamm im Reuterland Mecklenburg erwartet Sie!"
  • „Kraft-durch-Freude" -Züge brachten sonnenhungrige „Volksgenossen". Auch die neue Prominenz stellte sich ein, u. a. Generaloberst Hermann Göring. Der neue Bürgermeister Albrecht, ein ehemaliger Polizeioffizier, spekulierte darauf, daß Heiligendamm „Sommersitz des Führers" werden würde. Er richtete am 7. Februar 1936 an den Syndikus der Tobis-Klangfilmgesellschaft die Bitte, darüber einen Kulturfilm zu drehen. Da er einen Teil der Kosten nicht übernehmen wollte, starb das Projekt.(DR. HERMANN LANGER)

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 9) OZ, 13.2.1993

  • Opposition und Widerstand
  • 1957 erscheint in der BRD von Alfred Andersch der Roman „Sansibar oder der letzte Grund". Er schildert, wie in Rerik 1937 zufällig Menschen zusammentreffen, die Hitlerdeutschland verlassen möchten. Zu ihnen gehört ein Junge, der sich nach dem ganz anderen sehnt (für das der Name der Insel Sansibar steht); Gregor, ein KPD-Funktionär, der einen letzten Auftrag erfüllen und dann aussteigen will; Fischer Knudsen, der sich von der Partei allein gelassen fühlt; Judith, eine Hamburger Jüdin, die auf der Flucht ist. Sie alle müssen sich neu entscheiden, als der Ortspfarrer Helander bittet, die Holzplastik des „Lesenden Klosterschülers" - eine Schöpfung Ernst Barlachs - vor den Fängen der Gestapo zu retten, weil sie als „entartete Kunst" beschlagnahmt werden soll. Gregor leitet eine Aktion ein, in deren Ergebnis nur Judith und die Holzfigur nach Schweden gerettet werden können.
  • Rerik ist im Roman ein fiktiver Ort, der eher an Wismar erinnert - eine Stadt mit mehreren Kirchen und einem großen Hafen. Doch ähnliche Entscheidungen, ohne Auftrag das Richtige zu tun, mußten in jener Zeit auch Bürger in dieser Region treffen.
  • Davon zeugte der Bericht von Ludwig Brüsehaber, Rostock, der vor 1933 Lehrer in Rothspalk, Kreis Waren, und zugleich Vorsitzender der Ortsgruppe Rothspalk-Carlsdorf der SPD war. Nachdem er Anfang 1933 aus dem Schuldienst entlassen war, kam er im Dezember des Jahres nach Bad Doberan. Er erinnerte sich: „Der Ort hatte eine gut organisierte Arbeiterschaft. Auch im Bürgertum und in religiösen Kreisen gab es beachtliche Abteilungen des Nazismus."
  • Im Folgenden gab er eine differenzierte Einschätzung des Widerstandes und der Opposition gegen das NS-Regime. „Die KPD setzte illegal ihre Arbeit fort. Es wurden Treffen und Schulungen durchgeführt. Vertrauensmann war der Tischler Otto Klöcking (KPD). Dieser wurde verhaftet, wegen Hochverrat zu Zuchthaus verurteilt." Ludwig Brüsehaber schloß sich mit seiner Familie dem Widerstandszirkel des Zeichenlehrers Willi Henning-Hennings und dessen Ehefrau Margarete an. Der Kunsterzieher gehörte einst selbst der SPD an und hatte enge Kontakte zum Künstler Ernst Barlach in Güstrow.
  • Schwerpunkte der illegalen Arbeit waren das Beschaffen von Informationen über die wirkliche Situation, Hilfe für politisch Verfolgte und Aufnahme von Verbindungen zu anderen oppositionellen Gruppen. Darüber hinaus gab es auch einen Rundfunkabhörzirkel um den parteilosen Uhrmacher Bobzin und einen als „Skatklub" getarnten Aussprache- und Informationszirkel, der sich beim Zimmerer Friedrich Rieck, einem alten Mitbegründer der Arbeiterbewegung am Ort (SPD, Gewerkschaft, Konsum) regelmäßig traf. Als Ende September 1937 ein Sonderzug mit Hitler und Mussolini Bad Doberan passierte, wartet Rieck am Bahnübergang demonstrativ in Arbeitskleidung, mit Ziehwagen, Gartengeräten und einer Jauchetonne (!) auf.
  • Zur christlichen Opposition gehörten die SPD-Sympathisantin Etta v. Oertzen und die Schwestern v. Thadden, die über Verbindungen nach Berlin verfügten, sowie die dem ehemaligen Zentrum nahestehende Frau v. Knebel-Döberitz. Nach dem antisemitischen Pogrom in der „Reichskristallnacht" des 9./10. November 1938 war für alle „der letzte Grund" da, sich zu entscheiden und aktiv zu werden.
  • Ludwig Brüsehaber schätzte, daß mindestens zehn jüdische Mitbürger, unter ihnen eine Diakonissin jüdischer Herkunft, sich illegal in Bad Doberan vor dem Zugriff der Nazis verbergen konnten.
  • Das Ehepaar Henning-Hennings, Frau Etta v. Oertzen und Frau v. Kebel-Döberitz hatten daran einen entscheidenden Anteil.
  • Brüsehaber berichtete aber auch darüber, daß das Training des aufrechten Ganges Opfer mit sich brachte. So kam der Gartenarchitekt Martin Tessenow (SPD) aus Retschow, der sich in einer Gaststätte herabsetzend über den Hitlergruß geäußert hatte, in Haft und starb sechs Monate nach seiner Entlassung offensichtlich an den Folgen. So wurde der Buchhändler Rosenberg, der einst der Deutschen Volkspartei angehört hatte, 1934 für ein halbes Jahr verhaftet, weil er u. a. Waren von einer „nicht rein arischen Firma" aus Hamburg bezogen hatte. Er verstarb ebenfalls bald nach der Haftentlassung. Lange in Haft waren auch Bibelforscher, wie der Zimmerer Bobzin. Sein Schwiegersohn kam im KZ Sachsenhausen um.
  • Die Beispiele zeigen, daß es in der Region Menschen gab, die sich von dem Regime nicht blenden ließen und ein anständiges, besseres Deutschland der aktiven Humanität und Toleranz verkörperten.(DR. HERMANN LANGER)


1939
Heiligendamm wird für Heereszwecke beschlagnahmt
1939
Eingemeindung von Althof
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Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 12) OZ, 6.3.1993

  • „Standbild deutscher Kraft und Größe“
  • 1.September 1939. - Das in Danzig eingelaufene Linienschiff „Schleswig-Holstein" eröffnet aus 28-cm-Türmen das Feuer auf die polnische Westerplatte.
  • Der Zweite Weltkrieg ist da. Als Grund dafür erfahren Leser des „Niederdeutschen Beobachters": „Im Bewußtsein, daß die Friedensliebe des Führers ... getäuscht ist, ergreift das Volk die Waffen."
  • Der Jubel, der sich einst vor 25 Jahren bei Kriegsausbruch 1914 abgezeichnet hatte, blieb bei der Mehrheit der Bevölkerung aus. Zu sehr waren der älteren Generation noch die Folgen gegenwärtig. Mehr Begeisterung zeigten Kinder und Jugendliche. Sie verfolgten den Krieg als sportlichen Siegeslauf. Mit Spannung sahen sie die erste Kriegswochenschau. Sie stellte dar, wie die „polnische Mörderbande" niedergerungen wird.
  • Am 27. Mai 1940 konnten Doberaner Oberschüler noch einmal im Wehrmachtsfilm „Feldzug in Polen" die Präzisionsarbeit deutscher Generalstäbler nacherleben. Auch der Film „Feuertaufe" gefiel. Die Kamera schwelgte in schönen todbringenden technischen Details: Maschinengewehr, Steuerknüppel, Radnarbe und Sturzflug. Das schmissige Filmlied ging als Ohrwurm ein: „.. . die Losung ist bekannt ... Ran an den Feind! Ran an den Feind! Bomben auf Polenland! “
  • Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Dänemark und Norwegen besetzt. Gegen Frankreich hatte der „Westfeldzug" begonnen, der gleichfalls mit einem „Blitzsieg" enden sollte.
  • Hochstimmung im Kino nebenan verbreiteten gleichfalls Spielfilme wie „Wunschkonzert", in dem die Operettendiva Marika Röck und der Schmalzbariton Wilhelm Strienz Front und Heimat bei Laune hielten. Das von Heinz Rühmann, Hans Brausewetter und Josef Sieber gesungene Lied „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern" wurde von alt und jung als Hit aufgegriffen.
  • Es folgten Schlachtengemälde wie „ Kampfgeschwader Lützow", „Stukas" und „U-Boote westwärts". Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 lief auch in dem im April neu übergebenen Doberaner Filmtheater der Spielfilm des Regisseurs Arthur Maria Rabenalt „... reitet für Deutschland" an. Kernszenen dazu waren auf dem Gut Hohen Luckow gedreht worden.
  • Schließlich war der von Willy Birgel gespielte Hauptheld kein anderer als Karl-Friedrich Freiherr v. Langen, der Olympiasieger im Dressurreiten 1928. Die Haupthandlung: Rittmeister v. Brenken, im ersten Weltkrieg bei einem militärischen Bravourstück an der Wirbelsäule verletzt, genas nach großem medizinischem Aufwand. Er hat in der Weimarer Republik Probleme, sein Gut wieder zu sanieren. Aber ihn interessiert es ebenfalls nur als Stätte der Pferdezucht für ein neues Heer. Es geht ihm mehr um die „Ehre des Reiches", die durch einen Sieg bei einem internationalen Reitturnier wieder hergestellt werden müsse. In einer Schlüsselszene machen ihm Nahestehende deswegen Vorhaltungen. Kolrep: Und Du! Du nimmst endlich Vernunft an und wirst Landwirt statt...
  • Brenken: Was verstehst Du schon davon - was versteht Ihr davon! Es muß geritten werden! Es muß! Und wenn der Himmel einstürzt: Es muß geritten werden! Kolrep: Wozu - Wozu?! Mann! Brenken: Für Deutschland! Der Rittmeister gehorcht nur dem „inneren Befehl". Natürlich gewinnt er auf seinem Pferd Harro das Turnier.
  • Ausländische Militärs - Gegner von einst - das internationale dekadente und „verjudete" Publikum, voller Spott für das geschlagene Deutschland und seinen einsamen Reiter, sind nun gezwungen, ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Die „Schmach von Versailles" ist hier getilgt. Regungslos nimmt v. Brenken zu den Klängen des „Deutschland-Liedes", für das erst die Noten herbeigeschafft werden müssen, die Huldigung entgegen. „Unbeweglich, wie ein ehernes Standbild deutscher Kraft und Größe, stehen Roß und Reiter vor diesem internationalen Forum", hieß es in einer Pressekritik.
  • Der Sieger geriet so zu einem aufdringlichen Symbol für Deutschlands Niedergang nach 1918 und das Wunder seines Auferstehens unter Hitler. In der Publikumsgunst bei Jugendlichen rangierte der Film weit vorn. Er trug bei vielen zur Haltung bei, „...stolz, ein Deutscher zu sein". Auch ich war als Kind von dem Film beeindruckt und sah ihn mehrmals.
  • Willy „Gebirge", so hatte sich bei mir der Name des Hauptdarstellers eingeprägt, ritt auch für mich. Der Film erhielt die Prädikate „Staatspolitisch wertvoll" und „jugendwert". Sein Einspielergebnis: Fünf Millionen Reichsmark.
  • Kein Wunder, daß nach dem Zusammenbruch 1945 der Film auf die Verbotsliste geriet. Der Regisseur und seine Schauspieler erhielten von den Amerikanern fast zwei Jahre Berufsverbot, während die Russen das Pferd Harro deportierten.
  • Dann doch ein neues Wunder: Der Film wurde in der Bundesrepublik Deutschland als politisch harmlos wieder freigegeben. Geringfügig gekürzt waren einige antisemitische und nationalistische Szenen. Es wurde wieder geritten. „Wozu - Wozu?!(DR. HERMANN LANGER)


1939 bis 1941
Kamp-Lichtspiele von L. Elbrecht gebaut
1940
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1941
GmbH-Besitz von Heiligendamm für 1,7 Mio an die Reichsmarine
1942
Heiligendamm erhält schwarzen Tarnanstrich
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Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 13) OZ, 19.3.1993

  • Kriegsflugzeuge im Naturlehrunterricht
  • 1942 - die Blitzsiegeseuphorie war verflogen. Der Krieg hatte in fast jeder Familie erste Narben hinterlassen. Väter und erwachsene Söhne waren zur großdeutschen Wehrmacht einberufen worden. Briefträger hatten in manches Haus die Nachricht vom „Heldentod" eines Angehörigen gebracht. Schwarz umränderte Traueranzeigen mit dem Eisernen Kreuz nahmen die Rückseite der Lokalpresse ein. „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland", hieß es. Viele blieben vermißt, zumeist für immer.
  • Auch Mädchen mußten dienen, zunächst beim Reichsarbeits-, dann im Kriegshilfsdienst. So waren nach einer Meldung aus Bad Doberan vom 24. Februar allein 1700 als Kriegshilfsdienst-Mädel bis zum 31. März verpflichtet, davon zehn im Reservelazarett der Stadt.
  • An den Schulen wurde weiter gesiegt. „Je schwerer die Aufgaben einem Volk gestellt sind, desto höher steigt das Volk", so lautete Ende Februar ein Prüfungsthema an der Doberaner Oberschule nach einem Wort von Paul de Legarde. Ein Abiturient schrieb: „Die Deutschen aber sind ein Volk, das erst dann richtig zur Besinnung kommt und sich seiner Kraft erinnert, wenn es ihm schlecht geht. Es bedarf erst eines nicht unerheblichen Stoßes und Ermunterns, bis es sich seiner selbst bewußt wird und zur Wehr setzt."
  • Die NS-Propaganda sorgte dafür. „Wir können siegen, wir müssen siegen, und wir werden siegen", dieses Goebbels-Zitat war ein weiteres Aufsatzthema. Auch die Lehrer der Volksschule Kühlungsborn befolgten es. Nach einem Bericht des Schulleiters vom 16. März an den Rostocker Schulrat stand im Naturlehrunterricht die „Pflege der Luftfahrt" oben an. Schüler bastelten Modelle von Kriegsflugzeugen und wurden über Luftschutzmaßnahmen unterrichtet. Im Fach Erdkunde „waren die stolzen Siege der deutschen, japanischen und italienischen Luftwaffe immer wieder Anlaß, die Überlegenheit der Achsenluftwaffe, den Draufgängergeist, das Heldentum unserer Flieger ins rechte Licht zu rücken."
  • An die Schüler der Klassen 7 und 8 wurde die Luftwaffenillustrierte „Der Adler" verteilt. Der Berichterstatter vermerkte befriedigend: „Wenn der Lehrer damit in die Klasse kommt, wollen alle Jungen Flieger werden".
  • Die Schuljugend sammelte Ansichtskarten der Serien „Wüstenkrieg in Nordafrika" und „Panzer machen Weltgeschichte". Darüber hinaus waren sie angehalten, ständig Altstoffe für die Rüstungsindustrie zu erfassen. „Lumpen, Knochen, Silberpapier, ausgeschlagene Zähne sammeln wir", sangen manche nach der Melodie eines alten Volksliedes.
  • Der „Niederdeutsche Beobachter" stellte wiederholt Erfolge an der „Heimatfront" heraus, um die übrige Bevölkerung aufzumuntern. Danach wurde in Bad Doberan das „große Volkswohnungsbauvorhaben" in der Althöfer Siedlng weitergeführt.
  • Das im Frühjahr 1941 gegründete „ Sozialgewerk Doberaner Handwerker" hatte zur Schaffung eines eigenen Domizils ein Grundstück am „Horst-Wessel-Platz", die „Burg", käuflich erworben.
  • Der „Doberaner Dichtertag" war als „reichswichtig" anerkannt worden.
  • Auch in der Ackerstadt Kröpelin schien es voranzugehen. 18 „Erbhöfe" bzw. größere Landwirte behaupteten sich. Die Stadt erwarb das frühere Gut „Duggenkoppel", um es selbst zu bewirtschaften.
  • Doch für manchen wurden solche Erfolgsmeldungen fragwürdig, als englische Bomber vom 24. bis 27. April erstmals die Rostocker Innenstadt in ein Trümmerfeld verwandelten. In den Nächten war für lange Zeit der Feuerschein der brennenden Stadt zu sehen. Auch Doberaner Hitlerjungen wurden zu Löscharbeiten herangezogen.
  • An der Kriegsmoral nagten seit April gleichfalls die neuen drastischen Kürzungen der Lebensmittelrationen. Bereits bei Kriegsbeginn hatten sie für Otto Normalverbraucher wöchentlich nur 500 g Fleisch oder Fleischwaren, 2400 g Brot und 270 g Fett betragen. Jetzt gab es 200 g Fleisch, 400 g Brot und 64 g Fett weniger. Das bedeutete, den Gürtel noch enger zu schnallen.
  • In den Berichten des Oberkommandos der Wehrmacht wurden die Sondermeldungen mit den sie begleitenden Siegesfanfaren immer spärlicher.
  • Spätestens am Ende des Jahres stellte sich heraus, daß weder die „Sowjets" noch England besiegt waren. Bald machte insgeheim ein geflügeltes Wort die Runde: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. “(DR. HERMANN LANGER)
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1943
Seekadettenschule in Heiligendamm

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 14)

  • „Totaler Krieg - kürzester Krieg!“
  • Am 18. Februar ruft Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den „totalen Krieg" aus.
  • „Totaler Krieg-kürzester Krieg!", heißt die Parole.
  • „Totaler Krieg: warum und wie?" lautete ein Aufsatzthema an der Doberaner Oberschule. Alle Kräfte und Reserven waren für den „Endsieg" zu mobilisieren. Vor allem sollte die Jugend in die Waagschale der Entscheidung geworfen werden. „Kriegseinsatz der deutschen Jugend", das war die Jahresparole der HJ. Die ideologische Mobilmachung lief auf Hochtouren.
  • Im BDM, z. B. in der Neubukower Mädelgruppe 14 des Bannes 413 Wismar, waren laut „Führerinnendienst des Gebietes Mecklenburg (24)" solche Heimabend-Themen zu behandeln: „Völker können ewig leben, wenn sie nur wollen" (März), „Vier Jahre Krieg - wir bleiben hart" (September), „Und setzet Ihr nicht das Leben ein" (November).
  • An der Doberaner Oberschule hielten wiederholt Offiziere Werbevorträge, so am 30. März Oberst v. Bülow über militärische Führer, am 21. April Oberleutnant zur See Thieme über U-Bootfahrten, am 25. Juni Ritterkreuzträger Major Lemm über die Infanterie. Ab Anfang Dezember erfolgte auch gezielt die Nachwuchswerbung für das Heer an den Landschulen.
  • Abiturienten meldeten sich freiwillig von der Schulbank in den Krieg. Auch die 16- und 17jährigen Jungen mußten ran. Am 24. Oktober wurden auch von der Doberaner Oberschule zehn Marinehelfer zur Flak eingezogen. Sobald sie die militärische Grundausbildung mit ihrem zermürbenden Schliff hinter sich hatten, mußten sie lernen, die 8,8, das Standardgeschütz der schweren Flakbatterie, zu bedienen. Manche wurden an der leichten und mittleren Flak, an den Scheinwerfern oder am Flakumwertegerät „Malsi" eingesetzt. Zwar sollten sie durch Betreuungslehrer wöchentlich 18 Stunden Unterricht erhalten, doch fielen diese aufgrund der zunehmenden Luftangriffe immer häufiger aus.
  • Zurückbleibende Oberschüler der Klasse 7 waren vom 4. April bis Anfang Mai laut Schulchronik „zum größten Teil im Wehrertüchtigungslager" der HJ. Hier wurden sie unter dem Kommando von Ausbildern der Wehrmacht vormilitärisch getrimmt. Andere Jungen folgten.
  • Der „Ostsee-Bote" mit dem Untertitel „Doberaner Nachrichten", „Neubukower Anzeiger" brachte am 1. September den Bericht über einen Tagesablauf:,, 6.30 Wecken. Dusche. Bettenbauen. U.v. D. (Unteroffizier vom Dienst, H.L.) pfeift zum Frühstück.-Flaggenappell, -kerniger Fahnenspruch ". Auf dem Tagesplan: Geländedienst. Sieben Stationen waren in einem 18 km langen „Geländeschlauch" zu passieren. Hinzu kam der Schießdienst einschließlich der Schießlehre und Waffenkunde.
  • Militärisch ging es auch bei der Ausbildung der Lehrlinge in den Heinkel-Flugzeugwerken Rostock zu. Bereits vor Kriegsausbruch waren sie auf einem eigenen Schießstand in Bad Doberan am Kleinkaliber-Gewehr ausgebildet worden. Jetzt wurde auch hier die paramilitärische Ausbildung forciert. Ein Bürger aus Kühlungsborn, der damals dazugehörte, erinnert sich, daß etwa 400 uniformierte Lehrlinge beim Anmarsch zu den Werkhallen folgendes von einem HJ-Bannführer verfaßtes Lied sangen:
  • „Wir Schüler bei Heinkel tun treu unsere Pflicht. Wir dienen treu dem Führer, bis uns das Herze bricht."
  • Die Hauptaußenstelle des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS Schwerin war mit der „Stimmung und Haltung" der Jugendlichen sehr zufrieden.
  • Doch am 29. Juni 1943 mußte ein SS-Hauptsturmführer Bayerl seiner vorgesetzten Behörde einen Bericht über den „Lustmord" an einer in Bad Doberan wohnhaft gewesenen Schülerin geben. Das Mädchen war am Pfingstmontag erwürgt und grauenhaft zugerichtet worden. Der Verdacht fiel sofort auf polnische und russische Zwangsarbeiter. Schließlich konnte aber der wirkliche Täter, ein 16 l/2jähriger Hitlerjunge und Pferdepfleger aus Glashagen, gestellt werden. Er wurde vom Sondergericht Rostock am 13. September zum Tode verurteilt.
  • Auch die übrige Bevölkerung wurde für den „totalen Krieg" mobilisiert. Gauleiter Hildebrandt rief z. B. am 6. März alle früheren Gutsbeamten, -inspektoren und Verwalter auf, sich zum Einsatz in der Landwirtschaft zu melden.
  • Am gleichen Tag wurde erneut zum Sammeln für das WHW in Bad Doberan aufgerufen. Viele spendeten immer unwilliger. „Totaler Krieg - kürzester Krieg!", hatte Goebbels gesagt. Doch ein Ende war nicht in Sicht.(DR. HERMANN LANGER)


1943
einziger Bombenangriff auf Heiligendamm (1 Toter, einige Verletzte)
1944
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  • Dieser männliche Schatten mit Hut und hochgestelltem Kragen tauchte im Januar 1944 in Bad Doberan und anderen Orten schlagartig an Schaufenstern und Häuserwänden auf.

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 15)OZ, 2.4.1993

  • Durchhalten heißt die Parole
  • Januar 1944. In Bad Doberan und in anderen Orten tauchen über Nacht im Ergebnis einer NS-Propagandaaktion schlagartig an Ladenschaufenstern und Häuserwänden aufgemalte schwarze, männliche Schatten mit Hut und hochgestelltem Kragen auf. Dazu die Warnung: „Vorsicht - Feind hört mit!" Einschüchterung und Drohung scheinen von dieser Gestalt auszugehen. Doch die meisten Passanten gehen gleichgültig vorbei. In einem Hit des Jahres aus dem Film „Die Frau meiner Träume", gesungen von Marika Röck, heißt es: „Schau' nicht hin! Schau' nicht her! Schau nur g'rade aus! Und was sonst noch kommt, mach' dir nichts daraus!" Viele befolgen den Appell zum Wegsehen, und das in jeder Hinsicht.
  • Reichsjugendführer Arthur Axmann hatte 1944 zum „Jahr der Kriegsfreiwilligen" erklärt. Verstärkt mobilisierte das NS-Regime die Jugend, um den unvermeidlichen Untergang hinauszuschieben.
  • Am 1. März wurden aus Bad Doberan weitere 24 Oberschüler der Jahrgänge 1927 und 1928 als künftige Luftwaffenhelfer nach Kiel-Friedrichsort in Marsch gesetzt. Ein Betreuungslehrer begleitete sie.
  • Doch die Luftwaffe der westlichen Alliierten war nicht mehr aufzuhalten. Am 21. Mai beschoß auch eines ihrer Flugzeuge mit MG-Feuer die Südseite des Oberschulgebäudes und des Direktorwohnhauses. Am Eingang der Schule wurde ein Soldat leicht verwundet.
  • Besonderen Druck übten die Parteikrieger auf den Jahrgang 1928 aus, der sich geschlossen kriegsfreiwillig melden sollte. Am 3. September fand auf Trümmern der Rostocker Altstadt ein Appell dieses Jahrgangs vom HJ-Bann 90 statt, zu dem auch Hitlerjungen aus Bad Doberan und Umgebung gehörten.
  • Angehörige der jüngeren Jahrgänge hatten im Sommer erneut in der Landwirtschaft Erntehilfe zu leisten. BDM und HJ stellten auch Führungskräfte für die Lager der Kinderlandverschickung (KLV) in Buschmühlen, Rakow und Roggow bei Neubukow. Hier waren Kinder aus unmittelbar kriegsgefährdeten Gebieten untergebracht.
  • Da seit Juni mit der Eröffnung der zweiten Front durch die westlichen Alliierten und der sowjetischen Großoffensive die Lage für Hitlerdeutschland immer kritischer geworden war, riefen höhere Parteifunktionäre - im Volksmund auch „Goldfasane" genannt (braun uniformiert, viel Gold auf den Dienstrangabzeichen) - verstärkt zum Durchhalten auf. So erklärte der „Reichsredner" Kreysen am 7. Juli auf einer Kundgebung der NSDAP-Ortsgruppe Doberan-Althof im Rathaussaal:
  • „Für uns gibt es nur eins: Am Ende steht der Sieg!" In diesem Krieg ginge es „um die Neuordnung der ganzen Welt mit dem Ziel, das Judentum und den Bolschewismus auszurotten". Und der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Walter Kittmann, fügte zum Abschluß des Appells mit „Treuegelöbnis zum Führer" die Gewißheit hinzu, „daß wir siegen wollen, siegen müssen und siegen werden".
  • Am 20. Juli 1944 scheiterte der Anschlag des Obersten Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler.
  • Auf dem Gut Roggow erhielt die Familie von Oertzen, deren ursprüngliche Sympathie für den „Führer" in Ablehnung umgeschlagen war, eine furchtbare Nachricht. Sie erfuhr, daß noch am gleichen Abend ein Verwandter, Major Hans-Ulrich von Oertzen, mit einer Handgranate sein Leben beendet hatte. Er war zuvor wegen seiner aktiven Beteiligung am Attentat in Berlin verhaftet worden und wollte sich nicht den Henkern ausliefern.
  • Der Terror eskalierte auch in Bad Doberan. So verhaftete die Gastapo sowohl erneut den Kommunisten Otto Klöcking als auch den konservativen Hauptmann a. D. von Besser. Letzterer hatte einst dem Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten, angehört und wußte vermutlich mehr um die Verschwörung.
  • Opfer des wütenden Terrors wurden am 25. August auch zwei amerikanische Flieger, die sich nach dem Abschuß ihrer Maschinen über Rostock noch mit dem Fallschirm gerettet hatten und im Bereich Steffenshagen gelandet waren. Auf Veranlassung des Ortsgruppenleiters der NSDAP hin erschoß sie ein Sonderkommando in den Wittenbecker Tannen. Die Leichen wurden zunächst in einer Sandkuhle verscharrt. Ein Bürger aus Bad Doberan, der damals als Jugendlicher kurz vor der Einberufung stand, hatte soviel Mut, einen weiteren abgeschossenen US-Flieger zu retten.
  • Die Durchhalte-Propaganda schürte Hoffnungen auf den Einsatz neuer „Wunderwaffen", die wie die „VI" und „V 2" die Vergeltung bringen sollten. Da ihre Wirkungen in Wahrheit unbeträchtlich blieben, ließ Hitler das letzte Aufgebot mobilisieren.
  • Am 19. Oktober brachte der „Ostsee-Bote“ den „Erlaß des Führers über die Bildung des Deutschen Volkssturmes“ vom 25. September. Hitler rief alle waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren auf, „den Heimatboden mit allen Waffen und Mitteln" zu „verteidigen".
  • „Den Opa ziehn' sie auch noch ein, das soll wohl die Vergeltung sein", diesen Spottversflüsterten sich manche heimlich zu.
  • Ab 21. Oktober erfaßten die Meldestellen in den Rathäusern Bad Doberans und Kröpelins die männlichen Personen der Geburtsjahrgänge 1884 bis 1928. Dann folgten die ersten Appelle des Volkssturms, so in Kröpelin am 5. November um 9 Uhr auf dem Schulhof. Die Ausbildung wurde an alten Infanteriewaffen und an der neuen Panzerfaust vorgenommen. Zur Bedienung der letzteren Waffe brachte die Regionalpresse Anweisungen. „Sei mutig und unerschrocken", hieß es, „wenn Feindpanzer nahen, auch der stärkste Panzer ist durch die Panzerfaust mit dem ersten Schuß zu erledigen".(DR. HERMANN LANGER)


1945
Doberan wird am 2. Mai kampflos der Roten Armee übergeben

Alltag unterm Hakenkreuz (Teil 16) OZ, 16.4.1993

  • Kampf bis fünf nach zwölf!
  • Januar 1945. - „Fronthilfe und Kriegseinsatz so lautet die Jahresparole der Hitlerjugend. Am 12. Januar beginnt im Osten die russische Großoffensive. Der „Anzeiger für das Ostseebad Kühlungsbom und Umgebung" vom 18. Januar meldet: „Jede Stunde werfen die Sowjets neue Kräfte in die Schlacht." Noch immer verströmt das Blatt Siegeszuversicht. Der Leitartikel verweist auf die Leistungen des deutschen Grenadiers. Er würde „letztlich den Feind im Nahkampf mit der blanken Waffe in der Hand ... bezwingen". Ein anderer Beitrag preist den „Volkssturmgeist", an dem sich, "um mit Friedrich dem Großen zu sprechen, der .verfluchte Feind' trotz seiner Massen die Zähne ausbrechen" würde. Doch die Sowjetarmee stößt noch im Laufe des Monats bis zur Oder vor.
  • Fortan überstürzten sich die Ereignisse. Oberstudiendirektor Dr. Brandt notierte in der Schulchronik: „Ende Februar wird der Zustrom der verwundeten aus der Ostschlacht so stark, daß trotz einer wenige Tage vorher geschlossenen Vereinbarung das Lazarett... sämtliche Räume des Hauptgebäudes beansprucht." Als am 24. April das Prinzenpalais gleichfalls zum Lazarett umfunktioniert wurde, fiel der Schulunterricht endgültig aus. Lehrer und Schüler der Oberschule waren ohnehin seit Januar permanent im Einsatz. Sie hatten vor allem für die Unterbringung der zunehmenden Anzahl an Flüchtlingen zu sorgen.
  • Ab 17. Februar wurden Jungen für eine „Kuriergefolgschaft der HJ" eingezogen, die Aufgaben im Dienste der Rüstungsindustrie, z. B. der Heinkel-Flugzeugwerke, auszuführen hatte.
  • Noch am 26. März führte die HJ in den Standorten Bad Doberan, Kröpelin und Kühlungsbom „Aufnahme- und Erfassungsappelle" für zehnjährige durch, um sie als Jungmädel oder Pimpfe zu übernehmen. Sie hatten zu geloben: „Ich verspreche, alle Zeit meine Pflicht zu tun in Liebe und Treue zum Führer und zu unserer Fahne. “
  • In den Lichtspielen lief der UFA-Unterhaltungsfilm „Gefährlicher Frühling" mit Olga Tschechowa, für Jugendliche ab 14 zugelassen. Der Titel mußte - wenn auch vom Hersteller nicht so beabsichtigt - doppelsinnig wirken.
  • Anfang März war die Sowjetarmee nach Pommern vorgestoßen. Sie ließ ein Flugblatt verteilen, das an den „Mecklenburger Landsmann" adressiert war. Darin baten 75 kriegsgefangene Offiziere und Soldaten, unauffällig ihren Angehörigen mitzuteilen: „Die deutsche Regierung verbreitet: Die deutschen kriegsgefangenen Soldaten und Offiziere würden in der Sowjetunion getötet. Dies ist falsch! Wir leben!" Darunter stand auch die Adresse eines Oberzahlmeisters aus Bad Doberan.
  • Um die hohen Verluste auch nur annähernd auszugleichen, sollte jetzt der Jahrgang 1929 in den „Endkampf" geworfen werden.; Am 5. April erfolgte in Bad Doberan auf dem Tempelberg seine Musterung für den Reichsarbeitsdienst und die Wehrmacht. „Unsere Jungend zum Kampf bis zum letzten entschlossen!", so tönte Gauleiter Friedrich Hildebrandt vor den Bannführern der HJ. Der „Ostsee-Bote" stellte nun täglich die „beispielhaften Waffentaten" von Hitlerjungen als Einzelkämpfer, als Angehörige von Panzervernichtungstrupps oder als „Werwolf-Kämpfer"
  • in den bereits von den Amerikanern und Engländern besetzten Gebieten heraus. „Die Deutschen verteidigen sich wie die Löwen", hieß es in der Ausgabe vom 10. April. In der Ausgabe vom 24/25. April erschien ein Artikel unter der Schlagzeile „Moskau rüstet zum dritten Weltkrieg". Er sollte Hoffnungen auf ein Auseinanderbrechen der Antihitlerkoalition wecken.
  • Die letzte Nummer des „Niederdeutschen Beobachters" vom 27. April hob noch einmal die militärisch sinnlose Tat eines 14jährigen an der Oderfront als „Vorbild und Ansporn für viele Tausende Hitlerjungen" hervor. Und die Schlußbotschaft lautete: „Schopf-- gemüse auf den Speisezettel!" Jetzt sollten angesichts der verordneten Hungerrationen die bisher' weggeworfenen „ Schöpfe" der Zuckerrüben als zusätzliche Ersatznahrung dienen.
  • In jenen Tagen flogen noch von Rerik aus Flugzeuge des Typs He 111 in pausenlosen Einsätzen Versorgungsbomben in die seit dem 25. April eingeschlossene Reichshauptstadt Berlin. Viele Maschinen kehrten nicht mehr zurück.(DR. HERMANN LANGER)

Vor 50 Jahren (1), OZ, 11.3.1995:

  • Volksopfer für den „Endsieg"
  • Die Schriftstellerin Etta v. Oertzen, 1972 in Wiesbaden verstorben, schildert in ihrem 1968 erschienenen Roman „ . . . und wollten das Richtige tun" aus eigener Erinnerung die Situation in Bad Doberan vor 50 Jahren so, ohne den Namen der Stadt zu nennen: „Der Winter ist da, der Kriegswinter 1944 auf 45. Schnee liegt über dem Cubanzer Land, über der kleinen Stadt, die in Stille versunken scheint, während es in Wahrheit kocht und brodelt .. . Kaum einer glaubt mehr an die verheißenen Erfolge der V-Bombe. Feldpost kommt kaum mehr durch. Von Todesfällen erfährt man nur auf Umwegen. Wer solche Nachricht erhält, redet nicht mehr, geht stumm und verbissen durch die dunklen Tage."
  • Trauer um Gefallene und Ermordete
  • Fast jede Familie hatte an der Front gefallene, vermißte oder verwundete Angehörige zu beklagen. Vereinzelt trauerten in Bad Doberan auch Menschen aus anderen Gründen, so z. B. die frühere Pröpstin vom Stift Altenburg, Hildegard v. Thadden, und die Johanniterschwester Miez um die Erzieherin Elisabeth v. Thadden. Diese war wegen ihrer Kontakte zu Berliner Widerstandskreisen und zu Mitarbeitern der Weltfriedensbewegung in der Schweiz von Roland Freisler, dem berüchtigten Vorsitzenden des „Volksgerichtshofes", zum Tode verurteilt und im September 1944 hingerichtet worden.
  • Die NS-Führung setzte auf den „Volkskrieg", um politischen Zeitgewinn herauszuholen und die Galgenfrist zu verlängern. Der „Ostsee-Bote", das Amtsblatt der Städte Bad Doberan, Kröpelin, Neubukow, Rerik und des Kreises Rostock, brachte am 2. Januar Hitlers Tagesbefehl an die Wehrmacht. Hierin erklärte er, daß das Jahr 1945 „das Äußerste an Mut und Tatkraft" abverlange, „allein, es wird auch zugleich das Jahr einer geschichtlichen Wende sein". Mit dieser Prognose sollte er Recht behalten, allerdings anders als von ihm erhofft.
  • Die Bevölkerung wurde für die Zeit vom 7. bis zum 28. Januar zum „Volksopfer" aufgerufen. Regenmäntel, Schuhe, warme Wintersachen und Wolldecken sollten abgeliefert werden, um damit die neuen Volksgrenadier- und Volkssturmbataillone auszustatten. Am 9. Januar brachte der „Niederdeutsche Beobachter", das Blatt der NSDAP und des Mecklenburgischen Staatsministers (im Volksmund auch „Niederträchtiger Beobachter" genannt), dazu eine animierende Karikatur. Sie zeigte ein Kind, das im Kleiderschrank die alte Kürassier Uniform des Onkels aus dem ersten Weltkrieg entdeckt hatte. Diese wurde auch jetzt gebraucht. „Ab in die Annahmestelle des Volksopfers", hieß es. Da die Ablieferungsergebnisse nicht den Erwartungen entsprachen, sollte für den 11. Februar ein neuer „Volksopfertag" angekündigt werden.
  • Indessen erfolgte am 12. Januar im Osten die Großoffensive der Sowjetarmee. Die Weichselfront brach zusammen. Das deutsche Ostheer flutete teilweise panikartig zurück. Am 18. Januar meldete der „Anzeiger für das Ostseebad Kühlungsborn und Umgebung": „Jede Stunde werfen die Sowjets neue Kräfte in die Schlacht." Trotzdem verströmte die Zeitung Siegeszuversicht.
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  • Das Weiße im Auge des Feindes schauen
  • Sie wertete den Volkssturm als eine „neue, durchaus soldatische Gemeinschaft, in der alle Schichten und Stände des Volkes . . . Schulter an Schulter in einer einzigartigen Kameradschaft zusammenstehen". Und der deutsche Grenadier fechte, „wenn es gilt, das Weiße im Auge des Feindes schauend, mit letzter Kraft des Körpers und der Seele bis zur letzten Konsequenz". Die Regionalpresse stellte neue Ritterkreuzträger als Leitbilder heraus, so am 11. Januar einen Generalleutnant und Führer einer Infanteriedivision im Osten aus Bad Doberan, am 19. Januar einen gleichfalls hier geborenen Feldwebel, der „außerordentlichen Mut, Umsicht, Kaltblütigkeit, schnelle Entschlußkraft und echt mecklenburgische Härte und Standhaftigkeit" bewiesen hätte. Solche Eigenschaften wurden jetzt von allen verlangt, besonders aber von den Jugendlichen. Sie sollten den längst sinnlos gewordenen Krieg verlängern helfen.(Dr. H. LANGER)

Bei unentschuldigtem Fehlen gab es keinen Koks OZ, 11.3.1995

  • Während die Fronten zusammenbrachen und Großdeutschland immer kleiner wurde, zerrieben sich die kleinen Leute in Bad Doberan im Alltagskampf. Etta v. Oertzen berichtet über sie in ihrem Roman:
  • „Wer noch einen Leiterwagen hat, fährt in die Wälder, um Borke, die erlaubt ist, und um Holz, das nicht erlaubt ist, zu sammeln. Wer keinen Garten besitzt, zieht hinaus auf die Dörfer, um sich gegen Geld oder etwas Wäsche Kartoffeln, Möhren und möglichst auch Eier einzutauschen. Man hat gelernt, sich dies und das in den Kaufläden und beim Bäcker zu 'organisieren'. (Das Wort 'klauen' ist nicht mehr Mode)."
  • „Tür zu! Es ist kalt in Deutschland", lautete damals ein geflügeltes Wort. Brennstoffe waren mehr als knapp geworden. Selbst für Doberans „Zentralheizungsbetreuer" fanden Anfang 1945 im kleinen Rathaussaal Kurse zum Thema „ Heize richtig" statt. Auf Geheiß des Landrates sollte unentschuldigtes Fernbleiben mit dem Entzug von Koks geahndet werden. Die Ärmeren waren auf das Sammeln von „Raff- und Leseholz" angewiesen. Doberans Forstmeister verfügte, daß nur montags, mittwochs und sonnabends in der Zeit zwischen 8.00 und 18.00 Uhr gesammelt werden durfte und das auch nur in den von ihm bezeichneten Gebieten.
  • Es wurde nicht nur kälter. Immer häufiger saßen die „Volksgenossen" wie einst ihre Vorfahren abends im Dunkeln bzw. beim Schein der Kerze oder der „Petroleumfunzel" zusammen. Die Zeitungen gaben ständig vor, von wann bis wann wegen der Fliegergefahr die Fenster abzudichten waren. So hieß es am 2. Januar präzise: „Heute Verdunkelung von 16.57 bis 7.41 Uhr". Mit Strom aber mußte gespart werden. Ihn brauchte die Rüstungsindustrie. Die Kriegspropaganda hatte dazu die Finger des „Kohlenklau" erfunden, der einem in Anzeigen, auf Plakaten und Streichholzschachteln überall entgegen grinste. Diesen Kobold mit der Ballonmütze und dem Sack auf dem Rücken, halb Tier, halb Mensch, ein Auge weit aufgerissen, die Füße in einem nahezu amphilischen Zustand, galt es, Propaganda-Figur: Kohlenklau. mit Sparmaßnahmen zu bekämpfen. „Seid auf der Hut und trefft ihn gut!", lautete die Parole.
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  • Oft wurde der Strom ohnehin abgedreht.
  • Ungeachtet der Strafandrohungen hatte sich der Tausch- und Schleichhandel durchgesetzt. Getauscht wurden Raucherkarten gegen Brotmarken, ein Ei bzw. fünf Gramm Fett gegen eine Zigarette. Besonders hoch im Kurs stand der Bohnenkaffee, dessen Preise schwindelnde Höhen annahmen. Um dem illegalen Tauschhandel die Spitze zu nehmen, durfte auch öffentlich einiges feilgeboten werden. Daß nicht mehr alle gewillt waren, das „letzte Hemd" für das große „Volksopfer" herzugeben, belegen Tauschanzeigen aus dem „Ostsee-Boten". Geboten wurden z. B. „ein Paar Schuhe, Gr. 39, gegen sechs Handtücher, ein Braunhemd für 13 bis 14 Jahre gegen Herrensporthemd, Halsweite 38".
  • Die seltener gewordenen Werbeanzeigen verhießen mehr, als sie versprachen, z. B.: „Warmes Mieder für die schaffende Frau", Rotbart-Rasierklingen, die sich auch nach längerem Gebrauch regenerieren würden, für den Mann („Klingenstahl erholt sich!" - „Gut rasiert - gut gelaunt!").
  • Auch Unterhaltungsfilme sollte die „Volksgenossen" bei Laune halten. In den Doberaner Kamp-Lichtspielen wurde Anfang Januar z. B. der Streifen „Drei tolle Mädels" mit Lucie Englisch, Else v. Möllendorf und Grete Weiser gezeigt.
  • Aufmerksam verfolgten die Zuschauer die neue Ausgabe der „Deutschen Wochenschau". Wenn auch der Kommentator sich abmühte, Siegeszuversicht zu verbreiten, so waren doch die beklemmenden Bilder nicht zu übersehen. Sie zeigten die Rückkehr von Schwerverwundeten nach Deutschland und Rückzugskämpfe an der Westfront, in Ostpreußen, im Kurland und in Ungarn. Januar-Ausgaben des „Ostsee-Boten" bilanzierten für 1944 noch mehr Geburten als Sterbefälle, z. B. in Rerik 169 Geburten und 65 Sterbefälle, in Neubukow 70 Geburten und 50 Sterbefälle. Das Verhältnis sollte sich bald ändern. In den Orten wurde es immer enger, weil Wohnraum fehlte.(Dr. H. LANGER)

Aus unserer Serie „Vor 50 Jahren" ( 5) OZ, 1.4.1995

  • Die Schule war im Untergang begriffen
  • Bad Doberan. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Der Deutsche Erzieher" vom Januar/ Februar 1945 wurden die Lehrkräfte beschworen, „alle Kraft zu verdoppeln und in unserer Jugend immer neue Ströme des Glaubens und Wollens zum Fließen zu bringen, bis der Sieg erkämpft."
  • Ich erinnere mich, daß an der Dorfschule Zirchow (Vorpommern), die ich zu diesem Zeitpunkt besuchte, sich der Schulleiter bemühte, diesem Auftrag nachzukommen. Als die sowjetischen Truppen bereits auf die Oder zurückten, übte er mit uns das Pflichtlied „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los, wir treten an zum Gegenstoß". Die Vorhersehung, die Hitler das Attentat „verräterischer Offiziere" am 20. Juli überleben ließ, würde es schon richten, sagte er.
  • Daß für die Kriegsführung die Schule nur ein untergeordneter Faktor war, macht die Chronik der Doberaner Oberschule deutlich. Aus ihr geht hervor, daß ab 24. Januar das Wehrkreiskommando II sämtliche Schulräume beschlagnahmte, um ein Lazarett einzurichten. Am 26. Januar wurden auf Befehl des Reichsverteidigungskommissars sämtliche Schulen vorübergehend geschlossen. Lehrer und Schüler hatten Einsatz für die NSDAP und zur Unterbringung der Flüchtlinge zu leisten. Am 3. Februar übernahm die Wehrmacht auch die Volksschule Neubukow, um hier ein Lazarett zu errichten.Schon wenige Tage später konnte der zuständige Rostocker Schulrat allerdings die Bestimmungen wieder lockern. Es war dem Ermessen der Schulleiter überlassen, den Unterricht wieder aufzunehmen.
  • Dieser wurde immer mehr zur Farce. Ganze Klassen und Schulen mußten zusammengelegt werden, weil Lehrkräfte fehlten.
  • Es mangelte an Lehrbüchern und Heften. Selbst Schiefertafeln für ABC-Schützen waren nur auf Bezugsschein zu erhalten. Am 6. April bat der Volksschuldirektor in Kröpelin um 120 Bezugsscheine, da allein 75 Flüchtlingskinder ohne Schreibgeräte waren.
  • Andererseits wurden an den Schulen noch immer kleine bunte Bildchen zum Thema „Kriegseinsatz der deutschen Frau" und „Kriegseinsatz der Hitlerjugend" verteilt.(Dr.HERMANN LANGER)

Wer konnte, setzte sich nach Westen ab OZ, 8.4.1995

  • Der Krieg kam immer näher. „Sieg oder Bolschewismus!", verkündeten Plakate. Eine Spitzenmeldung in der Lokalzeitung über „Moskaus Ausrottungsplan" schürte Anfang März neue Angst. „Zehn Millionen Deutsche sollen nach Sibirien verschleppt werden", hieß es.
  • Während Höhergestellte sich dank ihrer Privilegien westwärts abzusetzen versuchten, konnten die kleinen Leute nicht mehr davonlaufen. Die Stimmung geriet auf den Nullpunkt. Dem Reichspropagandaministerium lag ein Bericht vom 19. März aus Mecklenburg vor, in dem die Meinung der Arbeiterschaft analysiert wurde. An wörtlichen Äußerungen war z. B. festgehalten: „Wenn's mulmig wird, sind die oberen Zehntausend längst über alle Berge. Der Arbeiter kann seinen Kopf hinhalten"; „Wir sind immer die Dummen. Wir haben keine Beziehungen und müssen alle Kriegslasten und Pflichten tragen."
  • Doch da der Terror eskalierte, wagte keiner, sich offen aufzulehnen. Anfang April bildete Gauleiter Friedrich Hildebrandt als Reichsverteidigungskommissar ein Standgericht für den „Reichsverteidigungsbezirk Mecklenburg". Es verfolgte alle Straftaten, „durch die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit gefährdet wird".
  • Den Bürgermeistern als Chefs der Ortspolizeibehörden gingen Fahndungslisten zu. Eine Berliner Marinedienststelle suchte einen in Neubukow geborenen Fahnenflüchtigen, der sich am 22. März in Kopenhagen gemeinsam mit einem anderen vom Schiff ohne Urlaubsschein entfernt hatte. Eine Liste der Kriminalpolizeistelle Schwerin vom 10. April führte zehn gesuchte Personen an, darunter einen fahnenflüchtigen 24jährigen SS-Unterscharführer, der sich vermutlich nach Hinterbollhagen durchschlagen würde. Die Kripo forderte „energische Fahndung, Festnahme und Nachricht" darüber.
  • Der Gürtel mußte noch enger geschnallt werden. Der „Ostsee-Bote" informierte über Lebensmittelverteilung in der 74. Zuteilungsperiode vom 9. bis 29, April. Otto Normalverbraucher stand auf bestimmten Markenabschnitten der Lebensmittelkarten vom 9. bis 15. April 50 g Fleisch, 50 g Fett und etwa 500 g Brot zu, Für die gesamte Periode sollte er 375 g Zucker oder 750 g Marmelade, 125 g Quark, 62,5 g Käse, 100 g Kaffee-Ersatz und 150 g Nährmittel beziehen, falls das alles noch vorrätig war. Die Regionalpresse hatte Ratschläge parat, z. B. sei „Brei besser als Brot". Auch sollten die bisher mißachteten „Schöpfe" der Zuckerrüben verwertet werden.
  • Im übrigen war sämtliches Brachland zur Gewinnung von Frischgemüse zu nutzen, Die Vorräte gingen zur Neige, denn immer mehr ausgehungerte Flüchtlinge trafen ein, die ihre letzte Habe auf Dörfern gegen Lebensmittel eintauschten.
  • Aus Neubukow ist eine dickleibige Liste erhalten geblieben, die jene erfaßte, die nicht sofort weiterzogen. Sie kamen z. B. aus Tilsit und Rastenburg, Danzig und Zoppot, zuletzt aus Stettin und Swinemünde. Unter dem Buchstaben „A" sind allein über 60 Personen aufgeführt, unter ihnen auffällig viele alte Leute der Jahrgänge ab 1873 aufwärts, Frauen und Kinder. Die Männer standen noch an den Fronten, waren vermißt oder gefallen.
  • In den Doberaner Kamp-Lichtspielen lief am 18. April noch einmal ein Unterhaltungsfilm mit dem in dieser Situation doppelsinnig erscheinenden Titel „Reise in die Vergangenheit" an.
  • Sieben Tage später kam über die Lokalzeitung die Aufforderung, die Abstützung der Luftschutzräume zu überprüfen und diese nebst Rettungswegen neu zu kennzeichnen. Ab Ende April sollte auch die auf dem Felde arbeitende Landbevölkerung der Umgebung mit optischen Alarmzeichen auf drohende Tieffliegernangriffe aufmerksam gemacht werden.
  • Seit dem 25. April war Berlin von der Sowjetarmee eingeschlossen. Flugzeuge des Typs He 111 flogen von Rerik her in pausenlosen Einsätzen Versorgungsbomben in die Stadt. Die letzte Ausgabe des „Ostsee-Boten" vom 28./29. April brachte beklemmende „Kampfbilder aus der Reichshauptstadt". Hitlerjungen und Waffen-SS würden, „Schulter an Schulter kämpfend", die „Bolschewisten" zurückwerfen.
  • Am 30. April behauptete der Wehrmachtbericht, daß sich „zwischen Berlin und der Ostsee ... die Front in der Linie Kremmen - Neustrelitz - Neubrandenburg - Anklam zusammengeschlossen" hätte. Daß diese längst nicht mehr stand, ist dem Bericht des Majors Erich Mende über das Ende der 102. Infanterie-Division zu entnehmen: „Wir hatten in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1945 gerade noch hinter Bad Doberan eine Hauptkampflinie, wenn man das so nennen darf, einen Schleier ostwärts Wismar in einer Tiefe von etwa 20 km nach Süden aufgebaut."
  • Am 1. Mai stieß bereits ein Vorauskommando auf Panzer einer britisch-kanadischen Einheit, während sowjetische Truppen in Rostock einzogen. Die Stunde der Entscheidung war da! Würden die, die „immer die Dummen" waren, noch ihren Kopf hinhalten und die Existenz der Region aufs Spiel setzen?(Dr. HERMANN LANGER)
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SBZ und DDR (1945-1990)

1945
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1948
Beginn Kurbetrieb in Heiligendamm
1949
Sturmflut am 1. März mit schweren Schäden
1949
Jugendherberge auf dem Tempelberg
1955
Eingemeindung von Vorder Bollhagen
1956
Eingemeindung von Stülow
1957
Bauen auf dem Buchenberg beg. (auch AWG gegr.)
1961
Eingemeindung von Glashagen
1968
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1979
Brandstiftung Wirtschaftsgebäude Kloster
1983
Eröffnung Bädermuseum im Möckelhaus

die heutige Zeit

1990
Erstes Zappakonzert in der Klosterruine Althof
1992
Ausschreibung Heiligendamms
1993
Gründung des Zappavereins
1993
Wiedereröffnung der Galopprennbahn
1995
Fundusgr.(Jagdfeld) erwirbt Heiligendamm für 15 Mio DM
1996
Fundusgruppe erhält Zuschlag für Heiligendamm
1996
Eröffnung der Reha-Klinik Moorbad in Bad Doberan
1997
Eröffnung der MEDIAN-Klinik in Heiligendamm
2000
Bad Doberan erhält die Anerkennung als Heilbad
2001
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2002
Einweihung der Zappabüste
2003
Kempinski Grand Hotel eröffnet in Heiligendamm
2005
Bad Doberan erhält ein neues Rathaus
2007
Aufhebung der Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers
2007
G8 Gipfel in Heiligendamm
2014
Heiligend. darf mit dem Titel „Seeheilbad“ werben
2014
Treffen Bundespräsident J. Gauck mit Amtsbrüdern