"Das Wustrower Königsschießen" Wustrow im Spiegel des Literaten und Satirikers Johannes Trojan 1894

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Auszug aus: Johannes Trojan: „Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken“ (1894) Kapitel 2

Das Wustrower Königsschiessen.


So viele Orte, die kleiner sind als Wustrow, haben einen Schützenverein und halten ein Königsschiessen ab, warum soll Wustrow das nicht auch haben?
Platz genug zum Schiessen ist da, wenn auch das Fischland nur schmal ist, und an Männern, die eine sichere Hand und scharfe Augen haben, kann es doch an einem Ort, wo fast jeder einmal die See befahren hat, auch nicht fehlen.
Vor vielen Jahren hat auch schon einmal, wie die alten Leute erzählen, in Wustrow ein Schützenfest stattgefunden, auf der Viehtrift unter der Düne, sagen sie, ist damals der Schiessstand gewesen.
Wenn dies das einzige Mal geblieben ist, so muss es wohl daran liegen, dass man die Sache nicht richtig angegriffen hat.
Stellt man jetzt einen neuen Versuch an, so wird man sich natürlich alle Erfahrungen, die man anderwärts in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiet gewonnen hat, zu nutze machen.
So etwa sprachen im Frühling eines der letzten Jahre die Wustrower zu einander, und nachdem eine Zeitlang auf der Bank am Landungsplatz und beim Abendbier bei Voss darüber hin und her gesprochen war, trat ein Ausschuss, aus den Altermännern bestehend, zusammen und nahm die Sache ernsthaft in die Hand.
Die obrigkeitliche Genehmigung wurde nachgesucht und gern ertheilt, handelte es sich doch um ein verdienstliches patriotisches Werk, das für sich selbst sprach und einer besonderen Empfehlung nicht bedurfte.
Darauf setzte man in vielen langen Berathungen die Statuten fest, denn man wollte gründlich vorgehen und etwas schaffen, das sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben und durch die kommenden Jahrhunderte hindurch von Bestand sein sollte.
Noch hatten die sauren Kirschen nicht ausgeblüht, als der Verein schon begründet und zugleich beschlossen war, in der ersten Augustwoche das Königsschiessen abzuhalten.
Nun wurde die Fahne bestellt und angefertigt, die in schöner Stickerei die Inschrift trug:
»Schützenverein von Wustrow«.
Ein kunstreicher Goldschmied in Ribnitz lieferte die silberne Kette mit dem grossen Orden für den Schützenkönig und die Schützenabzeichen, die auf der Brust zu tragen waren.
Es handelte sich dann zunächst darum, einen vorläufigen König und einen Böller zu beschaffen.
Einen König brauchte man, weil es Sitte ist, dass derjenige, der sich die Königswürde erschiesst, dieselbe nebst der Kette von seinem Vorgänger empfängt.
Wo nun kein Vorgänger vorhanden ist, muss ein solcher gewählt werden.
Das geschah denn auch, und die Wahl fiel auf einen angesehenen Einwohner des Ortes, der sich zugleich dadurch empfahl, dass er eine Materialwarenhandlung und einen Bierausschank besass.
Mit bescheidenem Stolz nahm er die Wahl an und empfing das Kleinod, das er als Zeichen seiner ohne Pulver und Blei erlangten Würde tragen sollte.
Ebenso unentbehrlich wie der König war aber auch der Böller, denn ein Schützenfest ohne Böllerschüsse ist nur etwas halbes und eigentlich gar nicht denkbar.
Nach einigem Suchen fand sich denn auch ein geeignetes Geschütz.
Es war ein kleiner Mörser, den man früher auf der Rettungsstation gebraucht hatte, als noch das Tau mit einer Kugel und nicht, wie es jetzt geschieht, mit einer Rakete abgeschossen wurde.
Er war noch so gut wie neu und von solider Arbeit, so dass man nicht vor einem Unfall in Sorge zu sein brauchte, wie er einige Wochen vorher auf dem Königsschuss in Althagen sich ereignet hatte.
Da war bei einem der Freudenschüsse der Böller zersprungen, und ein paar grosse Metallstücke waren durch die Wände des Tanzsaales geflogen über den Köpfen der dort versammelten Menschen hinweg, und es konnte als ein grosses Glück angesehen werden, dass niemand dabei zu Schaden kam.
Zuletzt wurde die Platzfrage gelöst.
Man entschied sich nach einigem Überlegen für den Turnplatz, der vor dem Ort in geringer Entfernung von demselben zwischen dem Kirchhof und den »Tannen« gelegen ist.
Was man aber die »Tannen« nennt, ist eine etwa fünfzehnjährige Kieferschonung, die sich nach dem Binnenwasser zu erstreckt.
In der unmittelbaren Nachbarschaft des Kirchhofs sah man nichts arges, und dass die dort schlummernden Bradherings, Vossens, Niemanns, Langhinrichs, Zeplins und Permins sich durch das Schiessen und die Musik in ihrer Ruhe würden stören lassen, war nicht anzunehmen.
Im übrigen war der Platz hübsch gelegen und bot Raum genug dar zur Aufstellung des Karoussels, der Bierzelte, der Kuchen- und Glücksbuden. :Die Schiessbahn war angelegt längs des Randes der dichten Schonung, auf der anderen Seite begrenzt durch Erbsen- und Roggenfelder.
So schien jede Gefahr ausgeschlossen, dass ein Einheimischer oder einer der Badegäste durch eine abirrende Kugel ums Leben gebracht werden könnte.
Selbst wenn ein Schütze sehr weit an der Scheibe vorbeizielte, konnte höchstens ein unvorsichtiges Häschen, das im Kieferndickicht sich geborgen wähnte, erschossen werden.
Am Mittwochnachmittag kamen über den Bodden her die Stadtmusikanten von Ribnitz an, dreizehn an der Zahl, alle in schwarzen Anzügen mit Zylinderhüten.
Das erste, was sie taten, nachdem sie die Kehlen angefeuchtet hatten, war dies, dass sie jedem der vierzig Wustrower Schützen ein Ständchen brachten.
Das stellte schon eine recht respektable Leistung dar, war aber doch nur der Anfang.
Dann folgte um neun Uhr abends ein Zapfenstreich, der unter den Eingeborenen des Ortes und den Badegästen mit Einschluss der 103 Ferienkolonialjungen eine lebhafte und freudige Bewegung hervorrief.
Am andern Morgen prangte ganz Wustrow vom Binnenwasser bis zum Meer im Festschmuck.
Wohl ein Dutzend Flaggen wehte über den Stroh- und Ziegeldächern der Häuser, über die Strasse hin zogen sich an mehreren Stellen grüne Gewinde, von denen Schilder mit sinnigen Sprüchen herabhingen.
Auf dem einen las man: »Seid willkommen, ihr Schützen und Gäste zu dem heutigen Schützenfeste!«, auf dem zweiten: »Willkommen am heutigen Tage!«, auf dem dritten – diese Inschrift rührte entschieden von einem wirklichen Dichter her: »Lasst in der Freundschaft treuem Walten auch ferner uns zusammenhalten!«
Als der Landbriefträger draussen, wo die Windmühlen stehen, einen Augenblick anhielt und nach dem festlich geschmückten Ort zurücksah, nahm sein Gesicht einen wehmütigen Ausdruck an. Lieber wohl wäre er dort geblieben, statt die Wanderung über den einsamen Darss nach Born hin anzutreten.
Die Musikanten waren sehr früh auf. Um fünf Uhr morgens, noch ehe der Kuhhirt geblasen hatte, erklang es schon von der Mitte des Ortes her: »Freut euch des Lebens!« Wahrlich, kein anderes Lied konnte besser zur Eröffnung dieses Freudentages passen.
Um acht Uhr versammelten die Schützen sich vor Wittes Gasthof.
Man zählte ihrer vierundfünfzig, denn zu denen von Wustrow war noch eine Anzahl auswärtiger Vereinsmitglieder aus Ribnitz, die zum Theil Verkaufsstände auf dem Schützenplatz hatten, und eines aus Damgarten gekommen.
In vollständiger Schützentracht waren nur wenige, dem grössten Theil war es nicht möglich gewesen, in so kurzer Zeit sich zu equipiren. Schützenhüte sah man bei mehreren, die Chargirten aber waren geschmückt mit prächtigen Schärpen und trugen einen Säbel oder einen Degen an der Seite.
Einer von ihnen, der wohl von besonders hohem Range war, zeichnete sich aus durch goldstrotzende Epaulettes.
Alle hatten Büchsen, auf deren Läufe kleine Blumensträusse gesteckt waren.
Unter den Büchsen war manch schönes Stück, das ein Seefahrer aus fremdem Lande mitgebracht hatte, und manch altes Gewaffen aus der Napoleonischen Zeit.
Um halb neun Uhr marschierte man in festlichem Zuge, die Musik voran, nach dem Hause des Schützenkönigs, um denselben abzuholen.
Im Hause verschwanden alle mit Einschluss der Musikanten und waren längere Zeit hindurch nicht zu sehen, zu hören aber war von ihnen ab und zu etwas.
Wie sich von selbst versteht, wurden sie festlich bewirthet, und dass sie etwas zu trinken hatten, merkte man daran, dass sie eine ausserordentlich lange Reihe von Lebehochs ausbrachten, zu deren jedem die Musik Tusch blies.
Zwölf bis fünfzehn Mal, glaube ich, wiederholte sich dieser Hergang.
Endlich konnte man wahrnehmen, dass drinnen eine starke Bewegung stattfand; gleich darauf traten die Schützenbrüder, rötlich von Festfreude strahlend, aus dem Hause, und nun ging es mit dem Wahlkönig, dem Banner und der Zielscheibe in militärischer Ordnung und unter den Klängen der Musik dem Festplatz zu.
Als man dort angekommen war, hielt zunächst der Ortsälteste eine Ansprache, die ihm, wie man erzählte, ein redegewandter Mann aus der Zahl der Badegäste ausgearbeitet hatte.
Anfangs ging es recht gut, der Redner befand sich noch im richtigen Fahrwasser, als er die tüchtige ehrliche Arbeit pries und von dieser auf das Vergnügen und den erziehlichen Werth einer fröhlichen Waffenübung überging.
Als er dann aber auf die Gründung des Schützenvereins und das erste Festschiessen, das nun beginnen sollte, zu sprechen kam, gerieth er in einen falschen Kurs hinein, und viele bedauerten, dass er nicht einen Lootsen mitgenommen hatte, denn es schien unvermeidlich, dass er auf den Sand liefe.
Er half sich aber durch eine plötzliche Drehung, und mit den Worten: »Nun bitte ich mir aus, dass wir Se. Majestät unsern Kaiser und Se. königliche Hoheit den Grossherzog, unsern Landesherrn, hochleben lassen!« lief er glücklich mit voller Fahrt in den Hafen ein.
Nachdem die beiden offiziellen Lebehochs und noch sieben oder acht nichtoffizielle, die sich ihnen anschlossen, verklungen waren und wieder Ruhe eingetreten war, begann das Königsschiessen.
Jeder Schütze hatte acht Schüsse frei, und König sollte derjenige werden, der die meisten Ringe schösse.
Da die Scheibe in vierundzwanzig Ringe getheilt war, so konnte einer im günstigsten Fall die Zahl von einhundertzweiundneunzig Ringen erreichen.
Dazu aber kam es nicht.
Man zählte nicht weniger als drei Bierzelte, einen Schiessstand für Bolzenschützen und ein Karoussel. Es war das Strand- oder Küstenkaroussel, das, immer mit Jubel begrüsst, in Wustrow, Alt-, Nie- und Dierhagen, Dändorf, Ribnitz, Müritz und Gral erscheint, wenn an diesen Orten etwas los ist.
Zwei Ribnitzer Konditoren und ein Wustrower hatten Kuchenbuden aufgestellt und ausgestattet mit allem, was süss heisst.
Für diejenigen, die ihr Glück versuchen wollten, gab es drei Roulettes, von denen das eine immer günstigere Chancen darbot als das andere, und einen Würfelstand. Bei dem einen Roulette befand sich in der Mitte der Drehscheibe ein grosser, sehr naturgetreu geschnitzter und bemalter hölzerner Storch, der auf einem Bein stand. War auf alle Felder gesetzt und sollte es losgehen, so setzte der Roulettebesitzer den Glücksvogel, indem er ihn am Schwanz zu packen bekam, in Schwung, worauf das arme Thier sich, wie von plötzlichem Wahnsinn erfasst, mehrere Male mit schrecklicher Schnelligkeit um sich selbst herumdrehte.
Vom blossen Zusehen konnte einem schwindlich werden. Stand der Adebar endlich still, so hatte diejenige Zahl, auf die er mit dem aufgehobenen linken Fusse hinzeigte, gewonnen.
Man setzte zehn Pfennig, die galten für zwei Zahlenreihen oder zehn Zahlen unter den vorhandenen fünfzig, die Chancen waren also für den Spieler um ein gut Theil günstiger als auf Monte Carlo in Monaco.
Gewann man, so erhielt man zwei Bons zu je 25 Pf.
Dafür konnte man sich unter zahllosen, theils nützlichen, theils zur Zier dienenden Dingen aus Glas, Porzellan, Holz und Metall aussuchen, was den Augen gefiel und was das Herz begehrte.
Nicht alle diese kosteten nur 50 Pf. das Stück, es gab viele, die theurer waren. Um solche in Besitz zu bekommen, musste man mehr als zwei Bons haben oder an baarem Gelde zulegen, was noch fehlte.
Eines der Roulettes aber stand mit einer Kuchenbude in Verbindung, da betrug der Einsatz nur 5 Pf., und wer gewann, durfte für 25 Pf. Kuchen essen, von welchen er wollte, so dass also ein Glückskind oder Sonntagskind die beste Gelegenheit hatte, sich für weniges Geld auf lange Zeit hinaus den Magen zu verderben.
Es standen ein Mann und eine Frau da, die waren mit drei Wundern zugleich auf dem Platz erschienen.
Das erste Wunder war ein »ärztlich empfohlener Lungenprüfer«. Der so genannte Apparat bestand im wesentlichen aus einem Cylinder, in den ein anderer Cylinder hineingestülpt war nach Art der alten Stobwasserschen Lampen aus der Zeit, da man noch Rüböl brannte. An dem äusseren Cylinder war ein Gummischlauch befestigt mit einem Mundstück aus Glas, das nach jedesmaligem Gebrauch in eine Schale mit Wasser getaucht wurde.
In das Mundstück hauchte man, nachdem man möglichst tief Luft geschöpft hatte, seinen Athem hinein, alsdann hob sich der innere Cylinder mehr oder weniger hoch, und von einer an dem Apparat angebrachten Skala konnte man ablesen, wie viel Kubikcentimeter Luft man ausgeathmet hatte.
Je nachdem die Luftmenge geringer oder grösser gewesen war, erhielt man alsdann eine silberne oder goldene Medaille mit dem Bildnis »des berühmten Professors Koch in Berlin«, und für die Lungenprüfung und die Medaille, die man nachher stolz auf der Brust trug, zahlte man zusammen nur 10 Pfennig.
Das zweite Wunder war eine Elektrisirmaschine. Mittelst derselben konnte man sich elektrisiren lassen, was nicht nur sehr interessant, sondern auch überaus gesund war.
Alle Kopfschmerzen, sie mochten nun von heftigem Nachdenken oder vom Rum oder von einem organischen Leiden herstammen, wurden dadurch, so versicherte der Wundermann, in wenigen Minuten beseitigt.
Aber das grösste Wunder war das dritte, durch das alle noch »Unbegebenen« ihre zukünftigen Schätze in effigie zu sehen bekommen konnten. Vermittelt wurde der Zauber durch ein sogenanntes Cartesianisches Teufelchen, das durch lebhaftes Auf- und Abfahren in einem mit Wasser gefüllten Glascylinder jedem, der mit Hilfe der schwarzen Magie seinen Schatz kennen lernen wollte und dafür einen Nickel opferte, seine Dienstbereitschaft anzeigte. War dies geschehen, so war auch der Schatz sofort zur Stelle und zwar in verschlossenem Briefcouvert, auf dem in einer grammatikalisch und orthographisch nicht immer ganz einwandfreien Form irgend eine angenehme Mitteilung zu lesen war, z. B.: »Ich liebe dir« oder »Du hast ein aedles Herz«, oder »Morgen gehst du mit mir spatzieren«.
In dem Couvert befand sich die Photographie des Schatzes.
Viele solcher Schätze habe ich gesehen, weibliche und männliche.
Die ersteren waren meist recht ansehnliche und kräftige Mädchen, anscheinend dem dienenden Stande und dem kleinen Bürgerthum angehörend. Von Schönheit und Liebreiz war wenig zu finden, einige aber blickten ungemein wacker und selbstbewusst drein, während andere scheinbar in eine ungeheure Leere hineinstarrten. Unter den männlichen Schätzen überwog der unverkennbare Ladenjüngling, doch gab es auch stramme Soldaten und für Schatzsuchende der höheren Gesellschaftsklassen ein paar Studenten mit reichlichen Schmissen im Gesicht und keck aufgesetzter Cerevismütze.
Woher stammen diese Photographien? fragte ich mich.
Wahrscheinlich doch aus der Nachlassmasse eines kleinen Photographen weit hinten in der Provinz.
Mancher und manche von denen, über deren Schicksal auf diese etwas ungewöhnliche Weise entschieden wurde, dürften nicht wenig erstaunt sein, wenn sie etwas davon erführen. Das Furchtbarste dabei ist, dass einige von ihnen mehrere Male hintereinander vergeben wurden.
Natürlich fehlte auf der Schützenwiese der Spickaal nicht.
Zwei Männer boten diesen leckeren Räucherfisch feil, und zu ihnen gesellte sich eine Spickflunderfrau.
Alle drei fanden schlanken Absatz ihrer Ware, für die sie massige Preise verlangten.
Ein Spickaal von 34 cm. Länge, der allerdings nur dünn war, kostete 10 Pf., eine freilich nur kleine Flunder war schon für 5 Pf. zu haben.
Hier nun lernte ich zum ersten Mal kennen, wie der Spickaal am besten gegessen wird. Man nimmt ihn in die eine Hand, in die andere aber einen Crêmekuchen und beisst nun abwechselnd von dem einen und dem andern so lange ab, bis beide zu Ende sind. Der erste Biss beim Aal aber zählt nicht mit, da er nur das Abbeissen des Kopfes, der nicht hinuntergeschluckt wird bezweckt.
Wer den nordischen geräucherten Fischen getrocknete Südfrüchte vorzog, konnte solche bei einer Frau erhalten, die mit Datteln und Feigen auf dem Festplatze sass und zugleich Himbeerwasser ausschenkte.
Eine andere Frau verkaufte unreife Birnen und daneben allerlei Kinderspielzeug, darunter schreckliche Gummiballon-Pfeifen, die sich zum grossen Glück nicht sehr lange Zeit brauchbar erhielten.
Der Festplatz war, wie schon erwähnt worden, am Nachmittage stark besucht.
Ein freundliches Aussehen gaben ihm besonders die hellen Kleider der vielen jungen Mädchen, unter denen die Wustrowerinnen sich auffällig durch einen zarten Teint auszeichneten.
Denn ebenso wie die fremden jungen Damen aus den Familien der Badegäste es darauf anlegen, sich von der Sonne bräunen zu lassen, ist die eingeborene weibliche Jugend aufs eifrigste besorgt, durch Schattenhüte und durch Vermeidung der Sonnenstrahlen vor dem Einbrennen sich zu schützen, und das gelingt ihr sehr wohl.
Vor den Kuchenbuden gab es manchmal ein ordentliches Gedränge, so gross war der Begehr nach süssen Sachen, besonders bei den Kindern und den jungen Mädchen.
Gelang es mir aber einmal an einen dieser Verkaufsstände näher heranzukommen, so gewahrte ich Dinge, die mir in hohem Grade anziehend erschienen.
Nie in meinem Leben habe ich so viele Wespen auf einem Haufen beisammen gesehen. Zu Hunderten sassen sie auf den Kuchen und knabberten den Zucker herunter. Es half nichts, sie zu verscheuchen, im Umsehn waren sie scharenweise wieder da.
Auch die ehrsameren Bienen, die draussen ausser einigem Heidekraut nicht mehr viel Nahrung fanden, waren zahlreich erschienen und benutzten gern die ihnen ganz unerwartet gekommene Gelegenheit zum Naschen.
Mit ihnen kamen grosse schwarzblaue Fliegen, die mich sehr interessirten. Sie zeigten eine grosse Vorliebe für Schlagsahne. Mit Gier tauchten sie ihre Schnauzen in den süssen Schnee und arbeiteten sich allmählich so tief in denselben hinein, dass sie nicht durch eigene Kraft wieder herauskommen konnten, sondern mittelst eines Theelöffels gerettet werden mussten.
Es ging sehr lustig zu auf der Schützenwiese.
Die Schüsse knallten, die Musikanten spielten, das Karoussel, das seine eigene Musik in Gestalt eines Leierkastens hatte, stand beinahe keinen Augenblick still, und fast unaufhörlich drehte der Storch sich auf seinem rechten Bein herum.
Nun, ich habe nicht umsonst diesem Vogel, der mir auch sonst im Leben viel Glück gebracht hat, mein Vertrauen geschenkt. Ich gewann und gewann, so oft ich setzte.
Während man aber auf dem Festplatz in aller Art von Genüssen schwelgte, wurde unter dem alten Segel, mit dem die Schiesshütte gedeckt war, mit heiterem Ernst und gemässigter Aufregung um die Königswürde gekämpft.
Einer nach dem anderen trat vor, legte seine Büchse auf eines der Querhölzer des Stützpfahls, zielte bedächtig und gab seinen Schuss ab. :Dabei fehlte es nicht an launigen Bemerkungen und eingehender Kritik eines jeden Schützen und seines Schusses.
Übrigens schossen die Wustrower für das erste Mal nicht übel: die meisten von ihnen trafen die Scheibe.
Als es dunkel wurde und man die Ringe nicht genau mehr erkennen konnte, wurde der Wettkampf bis zum folgenden Morgen vertagt.
Dann folgte ein Konzert, das bis Mitternacht währte, und es soll auch auf dem Rasen getanzt worden sein.
Um zwölf Uhr konnten die braven Musikanten, die neunzehn Stunden hindurch fast ohne Unterbrechung geblasen hatten, sich endlich zur Ruhe begeben.
Am andern Tage wurde das Königsschiessen fortgesetzt und beendet, und um die vierte Nachmittagsstunde fand auf dem Festplatz die Verkündigung des Resultates statt. Ein Klempnermeister aus Ribnitz war mit hundertzweiundvierzig Ringen Schützenkönig geworden, und zwei Ribnitzer waren es, die nach ihm am besten geschossen hatten.
Das wurmte natürlich die Wustrower ein wenig, aber warum hatten sie auch die Ribnitzer, die so gut eingeschossen waren und ihnen natürlich im Schiessen über sein mussten, zugelassen?
Nun, sie nahmen die Sache von der besten Seite, wünschten den Ribnitzern Glück zu ihrem Erfolge und behaupteten, dass sie ihnen gern den Sieg gönnten.
Feierlich übergab der Wahlkönig, der wohl nicht ungern seiner Herrschaft – sie war ja doch nur eine scheinbare gewesen – ledig wurde, die Insignien des Königthums dem überglücklichen Klempnermeister.
Auf diesen wurde darauf in einem der Bierzelte von sämtlichen Schützenbrüdern ein brausendes Lebehoch, das ganz aufrichtig gemeint klang, ausgebracht, und eine fast endlose Reihe anderer Lebehochs schloss sich daran.
Am Abend war bei Voss grosser Schützenball, an dem auch viele der Badefremden sich beteiligten.
Als aber Tanzlustige um acht Uhr, da der Ball anfangen sollte, im Festsaal sich einstellten, fanden sie dort die Musik nicht vor.
Die Schützen waren mit ihr noch einmal nach dem Schiessplatz gezogen und nach neun Uhr erst kehrten sie von dort zurück.
Dann aber hielten sie einen grossartigen Einzug. Mit der Büchse auf der Schulter marschirten sie in den Saal hinein, und der neue Schützenkönig tanzte ihnen voran, wie König David einst vor der Bundeslade getanzt hatte.
Dann wurde das Tanzbein geschwungen mit Eifer und Hingebung bis fünf Uhr morgens. Die Stimmung war recht gehoben, es herrschte aber dabei die ehrbarste Fröhlichkeit, die man sich nur denken kann.
Der folgende Tag war Ruhetag, hie und da aber wurde schon wieder die Arbeit aufgenommen.
Einige fuhren ihren Roggen ein, andere gingen auf die See zum Flunderfang.
Darauf kam der Sonntag, an dem das festliche Treiben und das Schiessen aufs neue begann.
Es wurde zum Schluss noch nach Gewinnen geschossen, und da hatten die Wustrower doch die Genugthuung, dass die meisten der silbernen Löffel im Orte blieben.
Auf dem Schützenplatz wogte und wimmelte es wieder wie an den beiden ersten Festtagen.
Mit dem Karoussel um die Wette drehte sich der Glücksstorch, die Würfel klapperten, und unsägliche Massen von Kuchen und Spickaalen wurden vertilgt.
Aus den Bierzelten aber erscholl ein Lebehoch nach dem andern.
Am Abend fand ein Ball statt, an dem auch Personen des dienenden Standes theilnehmen durften, und wieder wurde getanzt bis in den hellen Tag hinein.
Am Montag früh hörte ich, wie das Schiff, das um dreiviertel auf sieben nach Ribnitz fährt und das sonst nur ein dreimaliges Zeichen zur Abfahrt giebt, ein unaufhörliches Geschrei ausstiess.
Es galt die Musiker, die eben erst zu Bett gegangen waren, zusammen zu rufen.
Und das Schiff schrie und schrie so lange, bis es auch den letzten der verschlafenen Musikanten mit seinem Instrument an Bord hatte.
Seit diesem Tage halten die Wustrower fleissig Schiessübungen ab, denn ihre Absicht ist es, die Scharte auszuwetzen und von den Ribnitzern Revanche zu nehmen, wenn wieder Königsschuss ist.
Das wünsche ich ihnen von Herzen und hoffe im nächsten Jahr berichten zu können, dass es ihnen gelungen ist.