Sagen um Vineta: Unterschied zwischen den Versionen

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An der nordöstlichen Küste der Insel Usedom sieht man häufig bei stillem Wetter in der See die Trümmer einer alten, großen Stadt. Es hat dort die einst weltberühmte Stadt Wineta gelegen, die schon vor tausend und mehr Jahren wegen ihrer Laster und Wollust ein schreckliches Ende genommen hat. Diese Stadt ist größer gewesen, als irgend eine andere Stadt in Europa, selbst als die große und schöne Stadt Constantinopel, und es haben darin allerlei Völker gewohnt, Griechen, Slaven, Wenden, Sachsen und noch vielerlei andere Stämme. Die hatten allda jedes ihre besondere Religion; aber die Sachsen, welche Christen waren, durften ihr Christenthum nicht öffentlich bekennen, denn nur die heidnischen Götzen genossen eine öffentliche Verehrung. Ungeachtet solcher Abgölterei waren die Bewohner Winetas aber ehrbar und züchtig von Sitten, und in Gastfreundschaft und Höflichkeit gegen Fremde hatten sie ihres Gleichen nicht.
 
An der nordöstlichen Küste der Insel Usedom sieht man häufig bei stillem Wetter in der See die Trümmer einer alten, großen Stadt. Es hat dort die einst weltberühmte Stadt Wineta gelegen, die schon vor tausend und mehr Jahren wegen ihrer Laster und Wollust ein schreckliches Ende genommen hat. Diese Stadt ist größer gewesen, als irgend eine andere Stadt in Europa, selbst als die große und schöne Stadt Constantinopel, und es haben darin allerlei Völker gewohnt, Griechen, Slaven, Wenden, Sachsen und noch vielerlei andere Stämme. Die hatten allda jedes ihre besondere Religion; aber die Sachsen, welche Christen waren, durften ihr Christenthum nicht öffentlich bekennen, denn nur die heidnischen Götzen genossen eine öffentliche Verehrung. Ungeachtet solcher Abgölterei waren die Bewohner Winetas aber ehrbar und züchtig von Sitten, und in Gastfreundschaft und Höflichkeit gegen Fremde hatten sie ihres Gleichen nicht.
 
Die Einwohner trieben einen überaus großen Handel; ihre Läden waren angefüllt mit den seltensten und kostbarsten Waaren, und es kamen Jahr ein und Jahr aus Schiffe und Kaufleute aus allen Gegenden und aus den entferntesten und entlegensten Enden der Welt dahin. Deshalb war denn auch in der Stadt ein über die Maßen großer Reichthum, und das seltsamste und lustigste Leben, das man sich nur denken kann. Die Bewohner Winetas waren so reich, daß die Stadtthore aus Erz und Glockengut, die Glocken aber aus Silber gemacht waren; und das Silber war überhaupt so gemein in der Stadt, daß man es zu den gewöhnlichsten Dingen gebrauchte, und daß die Kinder auf den Straßen mit harten Thalern sollen gespielt haben. Solcher Reichtum und das abgöttische Wesen der I leiden brachten aber am Ende die schöne und große Stadt ins Verderben. Denn nachdem sie den höchsten Gipfel ihres Glanzes und ihres Reichthums erreicht hatte, geriethen ihre Einwohner in große bürgerliche Uneinigkeit. Jedes von den verschiedenen Völkern wollte vor dem anderen den Vorzug haben, worüber heftige Kämpfe entstanden. Zu diesen riefen die Einen die Schweden, die Ändern die Dänen zu Hülfe, die auf solchen Aufruf, um gute Beute zu machen, schleunig aufbrachen, und die mächtige Stadt Wineta bis auf den Grund zerstörten, und ihre Reichthümer mit.
 
Die Einwohner trieben einen überaus großen Handel; ihre Läden waren angefüllt mit den seltensten und kostbarsten Waaren, und es kamen Jahr ein und Jahr aus Schiffe und Kaufleute aus allen Gegenden und aus den entferntesten und entlegensten Enden der Welt dahin. Deshalb war denn auch in der Stadt ein über die Maßen großer Reichthum, und das seltsamste und lustigste Leben, das man sich nur denken kann. Die Bewohner Winetas waren so reich, daß die Stadtthore aus Erz und Glockengut, die Glocken aber aus Silber gemacht waren; und das Silber war überhaupt so gemein in der Stadt, daß man es zu den gewöhnlichsten Dingen gebrauchte, und daß die Kinder auf den Straßen mit harten Thalern sollen gespielt haben. Solcher Reichtum und das abgöttische Wesen der I leiden brachten aber am Ende die schöne und große Stadt ins Verderben. Denn nachdem sie den höchsten Gipfel ihres Glanzes und ihres Reichthums erreicht hatte, geriethen ihre Einwohner in große bürgerliche Uneinigkeit. Jedes von den verschiedenen Völkern wollte vor dem anderen den Vorzug haben, worüber heftige Kämpfe entstanden. Zu diesen riefen die Einen die Schweden, die Ändern die Dänen zu Hülfe, die auf solchen Aufruf, um gute Beute zu machen, schleunig aufbrachen, und die mächtige Stadt Wineta bis auf den Grund zerstörten, und ihre Reichthümer mit.
  
 
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Dieses soll geschehen sein zu den Zeiten des großen Kaisers Karl.
 
Dieses soll geschehen sein zu den Zeiten des großen Kaisers Karl.
 
Andere sagen, die Stadt sei nicht von den Feinden erobert und zerstört, sondern auf andere Weise untergegangen. Denn nachdem die Einwohner so überaus reich geworden waren, da verfielen sie in die Laster der größten Wollust und Üppigkeit, also daß die Eltern aus reiner Wollust die Kinder mit Semmeln wischten. Dafür traf sie denn der gerechte Zorn Gottes und die üppige Stadt wurde urplötzlich von dem Ungestüm des Meeres zu Grunde gerichtet, und von den Wellen verschlungen. Daraufkamen die Schweden von Gothland her mit vielen Schiffen, und holten fort, was sie von den Reichthümern der Stadt aus dem Meere fischen konnten; sie bargen eine Unmasse von Gold, Silber, Erz und Zinn und von dem herrlichsten Marmor. Auch die ehernen Stadtthore fanden sie ganz; die nahmen sie mit nach Wisbi auf Gothland, wohin sich auch von nun an der Handel Winetas zog.
 
Andere sagen, die Stadt sei nicht von den Feinden erobert und zerstört, sondern auf andere Weise untergegangen. Denn nachdem die Einwohner so überaus reich geworden waren, da verfielen sie in die Laster der größten Wollust und Üppigkeit, also daß die Eltern aus reiner Wollust die Kinder mit Semmeln wischten. Dafür traf sie denn der gerechte Zorn Gottes und die üppige Stadt wurde urplötzlich von dem Ungestüm des Meeres zu Grunde gerichtet, und von den Wellen verschlungen. Daraufkamen die Schweden von Gothland her mit vielen Schiffen, und holten fort, was sie von den Reichthümern der Stadt aus dem Meere fischen konnten; sie bargen eine Unmasse von Gold, Silber, Erz und Zinn und von dem herrlichsten Marmor. Auch die ehernen Stadtthore fanden sie ganz; die nahmen sie mit nach Wisbi auf Gothland, wohin sich auch von nun an der Handel Winetas zog.
 
Die Stelle, wo die Stadt gestanden, kann man noch heutigen Tages sehen. Wenn man nämlich von Wolgast über die Peene in das Land zu Usedom ziehen will, und gegen das Dorf Damerow, zwei Meilen von Wolgast, gelangt, so erblickt man bei stiller See bis tief wohl eine Viertelmeile in das Wasser hinein eine Menge großer Steine, marmorner Säulen und Fundamente. Das sind die Trümmer der versunkenen Stadt Wineta. Sie liegen in der Länge, von Morgen nach Abend. Die ehemaligen Straßen und Gassen sind mit kleinen Kieselsteinen ausgelegt; größere Steine zeigen an, wo die Ecken der Straßen gewesen, und die Fundamente der Häuser gestanden haben. Einige davon sind so groß und hoch, daß sie Ellenhoch aus dem Wasser hervorragen; allda haben die Tempel und Rathhäuser gestanden. Andere liegen noch ganz in der Ordnung, wie man Grundsleine zu Gebäuden zu legen pflegt, so daß noch neue Häuser haben erbaut werden sollen, als die Stadt vom Wasser verschlungen ist.
 
Die Stelle, wo die Stadt gestanden, kann man noch heutigen Tages sehen. Wenn man nämlich von Wolgast über die Peene in das Land zu Usedom ziehen will, und gegen das Dorf Damerow, zwei Meilen von Wolgast, gelangt, so erblickt man bei stiller See bis tief wohl eine Viertelmeile in das Wasser hinein eine Menge großer Steine, marmorner Säulen und Fundamente. Das sind die Trümmer der versunkenen Stadt Wineta. Sie liegen in der Länge, von Morgen nach Abend. Die ehemaligen Straßen und Gassen sind mit kleinen Kieselsteinen ausgelegt; größere Steine zeigen an, wo die Ecken der Straßen gewesen, und die Fundamente der Häuser gestanden haben. Einige davon sind so groß und hoch, daß sie Ellenhoch aus dem Wasser hervorragen; allda haben die Tempel und Rathhäuser gestanden. Andere liegen noch ganz in der Ordnung, wie man Grundsleine zu Gebäuden zu legen pflegt, so daß noch neue Häuser haben erbaut werden sollen, als die Stadt vom Wasser verschlungen ist.

Version vom 18. August 2019, 14:00 Uhr

Sammlung von Sagen um VINETA

VINETA 1

An der nordöstlichen Küste der Insel Usedom sieht man häufig bei stillem Wetter in der See die Trümmer einer alten, großen Stadt. Es hat dort die einst weltberühmte Stadt Wineta gelegen, die schon vor tausend und mehr Jahren wegen ihrer Laster und Wollust ein schreckliches Ende genommen hat. Diese Stadt ist größer gewesen, als irgend eine andere Stadt in Europa, selbst als die große und schöne Stadt Constantinopel, und es haben darin allerlei Völker gewohnt, Griechen, Slaven, Wenden, Sachsen und noch vielerlei andere Stämme. Die hatten allda jedes ihre besondere Religion; aber die Sachsen, welche Christen waren, durften ihr Christenthum nicht öffentlich bekennen, denn nur die heidnischen Götzen genossen eine öffentliche Verehrung. Ungeachtet solcher Abgölterei waren die Bewohner Winetas aber ehrbar und züchtig von Sitten, und in Gastfreundschaft und Höflichkeit gegen Fremde hatten sie ihres Gleichen nicht. Die Einwohner trieben einen überaus großen Handel; ihre Läden waren angefüllt mit den seltensten und kostbarsten Waaren, und es kamen Jahr ein und Jahr aus Schiffe und Kaufleute aus allen Gegenden und aus den entferntesten und entlegensten Enden der Welt dahin. Deshalb war denn auch in der Stadt ein über die Maßen großer Reichthum, und das seltsamste und lustigste Leben, das man sich nur denken kann. Die Bewohner Winetas waren so reich, daß die Stadtthore aus Erz und Glockengut, die Glocken aber aus Silber gemacht waren; und das Silber war überhaupt so gemein in der Stadt, daß man es zu den gewöhnlichsten Dingen gebrauchte, und daß die Kinder auf den Straßen mit harten Thalern sollen gespielt haben. Solcher Reichtum und das abgöttische Wesen der I leiden brachten aber am Ende die schöne und große Stadt ins Verderben. Denn nachdem sie den höchsten Gipfel ihres Glanzes und ihres Reichthums erreicht hatte, geriethen ihre Einwohner in große bürgerliche Uneinigkeit. Jedes von den verschiedenen Völkern wollte vor dem anderen den Vorzug haben, worüber heftige Kämpfe entstanden. Zu diesen riefen die Einen die Schweden, die Ändern die Dänen zu Hülfe, die auf solchen Aufruf, um gute Beute zu machen, schleunig aufbrachen, und die mächtige Stadt Wineta bis auf den Grund zerstörten, und ihre Reichthümer mit.

Vineta 2

Dieses soll geschehen sein zu den Zeiten des großen Kaisers Karl. Andere sagen, die Stadt sei nicht von den Feinden erobert und zerstört, sondern auf andere Weise untergegangen. Denn nachdem die Einwohner so überaus reich geworden waren, da verfielen sie in die Laster der größten Wollust und Üppigkeit, also daß die Eltern aus reiner Wollust die Kinder mit Semmeln wischten. Dafür traf sie denn der gerechte Zorn Gottes und die üppige Stadt wurde urplötzlich von dem Ungestüm des Meeres zu Grunde gerichtet, und von den Wellen verschlungen. Daraufkamen die Schweden von Gothland her mit vielen Schiffen, und holten fort, was sie von den Reichthümern der Stadt aus dem Meere fischen konnten; sie bargen eine Unmasse von Gold, Silber, Erz und Zinn und von dem herrlichsten Marmor. Auch die ehernen Stadtthore fanden sie ganz; die nahmen sie mit nach Wisbi auf Gothland, wohin sich auch von nun an der Handel Winetas zog. Die Stelle, wo die Stadt gestanden, kann man noch heutigen Tages sehen. Wenn man nämlich von Wolgast über die Peene in das Land zu Usedom ziehen will, und gegen das Dorf Damerow, zwei Meilen von Wolgast, gelangt, so erblickt man bei stiller See bis tief wohl eine Viertelmeile in das Wasser hinein eine Menge großer Steine, marmorner Säulen und Fundamente. Das sind die Trümmer der versunkenen Stadt Wineta. Sie liegen in der Länge, von Morgen nach Abend. Die ehemaligen Straßen und Gassen sind mit kleinen Kieselsteinen ausgelegt; größere Steine zeigen an, wo die Ecken der Straßen gewesen, und die Fundamente der Häuser gestanden haben. Einige davon sind so groß und hoch, daß sie Ellenhoch aus dem Wasser hervorragen; allda haben die Tempel und Rathhäuser gestanden. Andere liegen noch ganz in der Ordnung, wie man Grundsleine zu Gebäuden zu legen pflegt, so daß noch neue Häuser haben erbaut werden sollen, als die Stadt vom Wasser verschlungen ist.