Mit der "Kleinen Anna" von Warnemünde in die Freiheit - Die Flucht von Carl Schurz und Gottfried Kinkel 1852: Unterschied zwischen den Versionen

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"...In Neubrandenburg sowie in Teterow wechselten wir die Pferde, und kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen, dem 8.November ''(1852)'', erreichten wir das Gasthaus "Zum Weißen Kreuz" an der Neubrandenburger Chaussee bei Rostock. Petermann holte sofortr Moritz Wiggers herbei, der nun die ganze Sorge für uns übernahm. Ohne Verzug schickte er uns in Begleitung des Kaufmanns Blume in einer Droschke nach dem zwei Meilen entfernten Hafen- und Badeort Warnemünde, wo wir in dem Wöhlertschen Gasthause abstiegen. Petermann, überglücklich, wewndete sich nach Strelitz zurück. Auf der Reise hatten wir uns angewöhnt, Kinkel mit dem Namen Kaiser und mich mit dem Namen Hensel anzureden, und unter diesen Namen wurden wir in der Herberge einquartiert.
 
"...In Neubrandenburg sowie in Teterow wechselten wir die Pferde, und kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen, dem 8.November ''(1852)'', erreichten wir das Gasthaus "Zum Weißen Kreuz" an der Neubrandenburger Chaussee bei Rostock. Petermann holte sofortr Moritz Wiggers herbei, der nun die ganze Sorge für uns übernahm. Ohne Verzug schickte er uns in Begleitung des Kaufmanns Blume in einer Droschke nach dem zwei Meilen entfernten Hafen- und Badeort Warnemünde, wo wir in dem Wöhlertschen Gasthause abstiegen. Petermann, überglücklich, wewndete sich nach Strelitz zurück. Auf der Reise hatten wir uns angewöhnt, Kinkel mit dem Namen Kaiser und mich mit dem Namen Hensel anzureden, und unter diesen Namen wurden wir in der Herberge einquartiert.
  
Wiggers hatte uns Warnemünde als einen Platz von patriarchalischen Einrichtungen und Sitten geschildert, wo es eine Polizei nur dem Namen nach gebe und wo die Ortsobrigkeit, wenn man uns entdecken und die preußische Regierung unsere Verhaftung verlangen sollte, zuerst darauf bedacht sein würde, uns aus der Gefahr zu helfen. Dort, meinte er, würden wir sicher sein, bis eine gute Fahrgelegenheit oder ein besseres Asyl bereit sein würde. Von Warnemünde sah ich zum erstenmal in meinem Leben dasa Meer. Ich hatte mich lange danach gesehnt, aber der erste Anblick war mir eine Enttäuschung. Der Horizont erschien mir viel enger und die Wellen, die vom Nordostwind gepeitscht, weißköpfig heranstürzten, viel kleiner, als ich sie mir in meiner Phantasie vorgemalt hatte. Ichsolle die See noich besser kennen und mit größerer Achtung und höherem Genuß betrachten lernen. ..."  
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Wiggers hatte uns Warnemünde als einen Platz von patriarchalischen Einrichtungen und Sitten geschildert, wo es eine Polizei nur dem Namen nach gebe und wo die Ortsobrigkeit, wenn man uns entdecken und die preußische Regierung unsere Verhaftung verlangen sollte, zuerst darauf bedacht sein würde, uns aus der Gefahr zu helfen. Dort, meinte er, würden wir sicher sein, bis eine gute Fahrgelegenheit oder ein besseres Asyl bereit sein würde. Von Warnemünde sah ich zum erstenmal in meinem Leben dasa Meer. Ich hatte mich lange danach gesehnt, aber der erste Anblick war mir eine Enttäuschung. Der Horizont erschien mir viel enger und die Wellen, die vom Nordostwind gepeitscht, weißköpfig heranstürzten, viel kleiner, als ich sie mir in meiner Phantasie vorgemalt hatte. Ichsolle die See noich besser kennen und mit größerer Achtung und höherem Genuß betrachten lernen. Übrigens waren wir auch damals wenig zum Naturgenuß gestimmt. Kinkel hatte zwei, ich drei Nächte im Wagen auf der Landstraße zugebracht. Wir fühlten uns bis aufs äußerste erschöpft, suchten bald unser Zimmer auf und sanken fast willenlos dem Schlaf in die Arme. Ich hatte noch Bewußtsein unserer Lage genug, um meine Pistolen unters Kopfkissen zu legen, und Herr Blume erezählte nachher, ich habe, als er sich während unseres sechsstündigen Schlafes leise in mein Zimmer geschlichen, sofort die Augen geöffnet, "Wer da ?" gerufen und meine Schießgewehre ergriffen, worauf er schleunigst davongegangen sei. Es war wohl so, aber ich erinnere mich dessen nicht.
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Am nächsten Tage traf Wiggers wieder bei uns ein. Er verkündete uns , es liege nur eine Brigg auf der Reede - wir sahen sie vor uns auf den Wellen tanzen -, die aber  noch nicht segelfertig sei. Sein Freund der Kaufmann und Fabrikherr Ernst Brockelmann, halte es auch für besser, uns auf einem seiner eigenen Schiffe über See zu schaffen, und bis dieses zur Abfahrt bereit sein werde, uns in seinem eigenen Haus zu beherbergen. So verließen wir denn das Gasthaus, bestiegen die Jolle eines Warnemünder Lotsen und, den scharfen Nordost im Segel, flogen wir über die breiteBucht den Warnowfluß hinauf. An einem Gehölze landeten wir, und bei einem nahen Dorfe fanden wir Brokelmann mit seinem Wagen.
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Wir sahen einen hochgewachsenen, kräftigen Fünfziger vor uns, mit grauem Haupthaar und Backenbart, aber frischer Gesichtsfarbe und jugendlich lebhaft in Ausdruck und Bewegung. Er begrüßte uns mit freudiger Harzlichkeit , und nach den ersten Minuten waren wir alte Freunde. In Ihm erkannten wir das wahre Bild des "selbstgemachten" Mannes im besten Sinne des Wortes - eines Mannes, der seines eigenen Glückes Schmied gewesen, der mit Selbstgefühl auf daas blicken kann, was er geleistet hat, und in seinen Erfolgen die Inspiration weiteren Strebens und eines unternehmenden und opferwilligen Gemeingeistes findet. Seine natürliche Menschenfreundlichkeit, die das Recht eines jeden auf die Anerkennung seines wahren Wertes und auf eine entsprechende Chance des Fortkommens würdigte, hatte ihn von Jugend auf zu einem Liberalen und auch der achtundvierziger Revolution zu einem Demokraten gemacht. Seine Grundsätze und Theorien hatte er, so weit sich ihm die Möglichkeit bot, praktisch bestätigt, und er war daher weit und breit als ein Freund und Führsprecher der Armenund Bedrückten bekannt, besonders aber von seinen Arbeitern, die eer in großer Zahl als Fabrikherr beschäftigte, wie ein Vater verehrt und geliebt. Er konnte als er uns sein Haus als Zufluchtsort anbot, wohl sagen, daß er Arbeiter genug habe, die sich auf seinen Wunsch im Notfalle für uns schlagen und unser Asyl lange genug halten würden, um uns Zeit zum Entwischen zu geben. Indes würde es dazu nicht kommen, da die Beherbergung der Herren Kaiser und Hensel als Gäste eines vielbesuchten Hauses kein Aufsehen mache und da, selbst wenn unser Geheimnis von seinen Leuten geahnt würde, es unter diesen keine Verräter gäbe. Kurz er könne für  alles einstehen.
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so fuhren wir denn in Brockelmanns Wagen nach seinem in der Mühlentorvorstadt gelegenen Hause. Nun begannen für uns einige Tage der Ruhe und des eigentlichen Schlaraffenlebens. Brockelmann, seine würdige Gattin, die älteste Tochter, deren vortrefflicher Bräutigam, der Kaufmann Schwarz und der kleine Freundeskreis, der ins Vertrauen gezogen war, überschütteten uns mit den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten.
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Wie könnte ich die Sorge beschreiben, mit der die Hausfrau Kinkels verwundete Hände wusch, verband und pflegte! Und nun die nach den mecklenburgischen Begriffen von Gastfreundschaft unentvehrlichen ersten Frühstücke und zweiten Frühstücke und Mittagessen und Nachmittagskaffees mit Kuchen und Soupers und "Bissen vorm Schlafengehen" und Nachtmützen, die von morgens früh bis zu später Nacht in unglaublich kurzer Zeit..."  
  
 
Auszug in Bearbeitung wird fortgesetzt !
 
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Version vom 18. Juni 2019, 23:05 Uhr

Auszug aus: "Sturmjahre - Lebenserinnerungen 1829 - 1852 " von Carl Schurz

"...In Neubrandenburg sowie in Teterow wechselten wir die Pferde, und kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen, dem 8.November (1852), erreichten wir das Gasthaus "Zum Weißen Kreuz" an der Neubrandenburger Chaussee bei Rostock. Petermann holte sofortr Moritz Wiggers herbei, der nun die ganze Sorge für uns übernahm. Ohne Verzug schickte er uns in Begleitung des Kaufmanns Blume in einer Droschke nach dem zwei Meilen entfernten Hafen- und Badeort Warnemünde, wo wir in dem Wöhlertschen Gasthause abstiegen. Petermann, überglücklich, wewndete sich nach Strelitz zurück. Auf der Reise hatten wir uns angewöhnt, Kinkel mit dem Namen Kaiser und mich mit dem Namen Hensel anzureden, und unter diesen Namen wurden wir in der Herberge einquartiert.

Wiggers hatte uns Warnemünde als einen Platz von patriarchalischen Einrichtungen und Sitten geschildert, wo es eine Polizei nur dem Namen nach gebe und wo die Ortsobrigkeit, wenn man uns entdecken und die preußische Regierung unsere Verhaftung verlangen sollte, zuerst darauf bedacht sein würde, uns aus der Gefahr zu helfen. Dort, meinte er, würden wir sicher sein, bis eine gute Fahrgelegenheit oder ein besseres Asyl bereit sein würde. Von Warnemünde sah ich zum erstenmal in meinem Leben dasa Meer. Ich hatte mich lange danach gesehnt, aber der erste Anblick war mir eine Enttäuschung. Der Horizont erschien mir viel enger und die Wellen, die vom Nordostwind gepeitscht, weißköpfig heranstürzten, viel kleiner, als ich sie mir in meiner Phantasie vorgemalt hatte. Ichsolle die See noich besser kennen und mit größerer Achtung und höherem Genuß betrachten lernen. Übrigens waren wir auch damals wenig zum Naturgenuß gestimmt. Kinkel hatte zwei, ich drei Nächte im Wagen auf der Landstraße zugebracht. Wir fühlten uns bis aufs äußerste erschöpft, suchten bald unser Zimmer auf und sanken fast willenlos dem Schlaf in die Arme. Ich hatte noch Bewußtsein unserer Lage genug, um meine Pistolen unters Kopfkissen zu legen, und Herr Blume erezählte nachher, ich habe, als er sich während unseres sechsstündigen Schlafes leise in mein Zimmer geschlichen, sofort die Augen geöffnet, "Wer da ?" gerufen und meine Schießgewehre ergriffen, worauf er schleunigst davongegangen sei. Es war wohl so, aber ich erinnere mich dessen nicht.

Am nächsten Tage traf Wiggers wieder bei uns ein. Er verkündete uns , es liege nur eine Brigg auf der Reede - wir sahen sie vor uns auf den Wellen tanzen -, die aber noch nicht segelfertig sei. Sein Freund der Kaufmann und Fabrikherr Ernst Brockelmann, halte es auch für besser, uns auf einem seiner eigenen Schiffe über See zu schaffen, und bis dieses zur Abfahrt bereit sein werde, uns in seinem eigenen Haus zu beherbergen. So verließen wir denn das Gasthaus, bestiegen die Jolle eines Warnemünder Lotsen und, den scharfen Nordost im Segel, flogen wir über die breiteBucht den Warnowfluß hinauf. An einem Gehölze landeten wir, und bei einem nahen Dorfe fanden wir Brokelmann mit seinem Wagen. Wir sahen einen hochgewachsenen, kräftigen Fünfziger vor uns, mit grauem Haupthaar und Backenbart, aber frischer Gesichtsfarbe und jugendlich lebhaft in Ausdruck und Bewegung. Er begrüßte uns mit freudiger Harzlichkeit , und nach den ersten Minuten waren wir alte Freunde. In Ihm erkannten wir das wahre Bild des "selbstgemachten" Mannes im besten Sinne des Wortes - eines Mannes, der seines eigenen Glückes Schmied gewesen, der mit Selbstgefühl auf daas blicken kann, was er geleistet hat, und in seinen Erfolgen die Inspiration weiteren Strebens und eines unternehmenden und opferwilligen Gemeingeistes findet. Seine natürliche Menschenfreundlichkeit, die das Recht eines jeden auf die Anerkennung seines wahren Wertes und auf eine entsprechende Chance des Fortkommens würdigte, hatte ihn von Jugend auf zu einem Liberalen und auch der achtundvierziger Revolution zu einem Demokraten gemacht. Seine Grundsätze und Theorien hatte er, so weit sich ihm die Möglichkeit bot, praktisch bestätigt, und er war daher weit und breit als ein Freund und Führsprecher der Armenund Bedrückten bekannt, besonders aber von seinen Arbeitern, die eer in großer Zahl als Fabrikherr beschäftigte, wie ein Vater verehrt und geliebt. Er konnte als er uns sein Haus als Zufluchtsort anbot, wohl sagen, daß er Arbeiter genug habe, die sich auf seinen Wunsch im Notfalle für uns schlagen und unser Asyl lange genug halten würden, um uns Zeit zum Entwischen zu geben. Indes würde es dazu nicht kommen, da die Beherbergung der Herren Kaiser und Hensel als Gäste eines vielbesuchten Hauses kein Aufsehen mache und da, selbst wenn unser Geheimnis von seinen Leuten geahnt würde, es unter diesen keine Verräter gäbe. Kurz er könne für alles einstehen. so fuhren wir denn in Brockelmanns Wagen nach seinem in der Mühlentorvorstadt gelegenen Hause. Nun begannen für uns einige Tage der Ruhe und des eigentlichen Schlaraffenlebens. Brockelmann, seine würdige Gattin, die älteste Tochter, deren vortrefflicher Bräutigam, der Kaufmann Schwarz und der kleine Freundeskreis, der ins Vertrauen gezogen war, überschütteten uns mit den liebenswürdigsten Aufmerksamkeiten. Wie könnte ich die Sorge beschreiben, mit der die Hausfrau Kinkels verwundete Hände wusch, verband und pflegte! Und nun die nach den mecklenburgischen Begriffen von Gastfreundschaft unentvehrlichen ersten Frühstücke und zweiten Frühstücke und Mittagessen und Nachmittagskaffees mit Kuchen und Soupers und "Bissen vorm Schlafengehen" und Nachtmützen, die von morgens früh bis zu später Nacht in unglaublich kurzer Zeit..."

Auszug in Bearbeitung wird fortgesetzt !