Helmuth Schröder

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Helmuth Schröder, sein Leben und seine Werke Von Richard Suhr
Außer dem Grabe Wossidlos finden wir auf dem stillen „Slüsenbarg“ noch die Ruhestätte eines weiteren bedeutenden Mecklenburgers, des­sen wir Ribnitzer in Ehren gedenken, es ist die letzte „Hüsung“ unseres Heimatdichters Helmuth Schröder, geboren den 2. April 1842, gestorben den 11. Dezember 1909.
„Min Heimatort — wo is en Wort,
Dat so de Seel bewegt?
Mi dücht, up wiede Herrgottseer
Gift so en Placken Land nich mehr,
As di, min Dörp, in Abendgold,
ümrahmt van Feld un Wisch un Wohld.
So singt der schon alternde Dichter von seiner Wiegenstätte Spornitz, dem damaligen zweit­größ­ten Bauerndorf Mecklenburgs am Ostrande der „Griesen Gegend“. Sein Vater Friedrich Schröder, dessen Familie zu Anfang des 18. Jahr­­­hunderts aus dem Lüneburgischen ein­wanderte, war Lehrer, wie seine Vorfahren bis zum Jahre 1735 zurück es waren. Er weckte in dem Jungen eine unerschütterliche Heimatliebe, die von der geistig sehr regen und hochent­wickelten Mutter, einer Bauerntochter, noch vertieft wurde. Vor allen Dingen waren es die Wanderungen durch die sagenumwobene Umgegend seines Heimatortes, die einen unaus­löschlichen Eindruck auf das Gemüt des Knaben machten. In dem Gedenkblatt „Sporns“ erinnert sich später der Dichter der all­abendlich durch­geführten Lehrgänge in wehmüti­ger Weise. Er schreibt in der ihm eigenen nieder­deutschen Worttreue unter anderem:
„Sporns, o du min Weigensted un Jungs­paradies, wo hüpig in Drom un Waken fleigen na di hen min Gedanken, sörre de Johren kamen sünd, wo sei leiwer trügg‑ as vörwarts trachten!“
Weckte sein Vater in ihm den Sinn für das prak­tische Leben, für Sage und Geschichte, so öffnete ihm die Mutter vornehmlich Herz und Ohr für alles Gute und Schöne in Märchen und Volkslied und ‑sprache. Daß sie damit die inner­sten Saiten des Jungen in Schwingung brachte, zeigte der Dich­ter in einem Liede, das er dem Andenken an seine Mutter widmete:
„Ick weit ein Leid, wat säuter klingt
As Vigelin un Fläuten.
Wenn't Modermund ehr Lütting singt,
Ward hell min Og, min Hart, dat springt
Un fäuhlt sick liesen gräuten.
Bei dem kärglichen Gehalt, das der Vater be­zog, waren bittere Not und graue Sorge ständige Gäste in der Familie. Um die :zahlreichen Fami­lien­mitglieder überhaupt durchbringen zu können, war der kränkliche Vater gezwungen, durch Weberei und Imkerei :das für den Lebens­unterhalt nötige Geld zu verdienen. Trotz dieser übergroßen wirtschaftlichen Notlage bemühten sich die :Eltern, die Schatten der Sorge nach Möglichkeit von den Kindern fernzuhalten. Unser Helmuth aber lernte erkennen, „dat vör :allen Dingen in de flietig Arbeit — liekväl ­watförein — dei riekst Segen steckt“, und als Richtschnur für sein späteres Leben :diente ihm sein Spruch:
„Holl di Kopp un Nacken stief!
Flenn nich as en hülplos Wief,
Liggt de Pott in Schören!
Gnaegeln is tau nicks nich nütt;
Nimm, wat di de Herrgott bütt,
Lachend as de Gören!“
Mitten in seine Kinderzeit fiel der frühe Tod sei­nes Vaters, der für die Familie ein schwerer Schlag war. Es war nun für die Schulmeister­witwe nicht leicht, sich mit acht Kindern durchs Leben zu schlagen, aber trotz der jetzt so trost­losen Lage, des eigenen Schmerzes und der bitteren Brotsorge versuchte sie, durch verstärkte Liebe den Vater zu ersetzen und das empfind­liche Gemüt des Jungen nach Möglich­keit vor den rauhen Stürmen der eingetretenen Notzeit zu schützen. Wie oft erzählte noch der Ergraute, wie glücklich er gewesen sei, wenn er im Schrank noch einige Brotkrusten gefunden habe, und wie reich er sich gedünkt, wenn er an Sonn- ­und Feiertagen ein Butterbrot sein eigen nennen konnte. Doch das freundliche Antlitz seiner Mutter galt dem Knaben mehr als seine Leibes­sorgen, er lernte körperlich entbehren und geistig mitleiden. Nach Beendigung der Schulzeit hieß es für Helmuth: „Wat nu?“ Der Junge, der gerne Kaufmann oder Bauer werden wollte, wurde gegen seine Neigung gezwungen, den Beruf seiner Vorfahren aufzunehmen. In einem Brief an seinen Dichterfreund Cammin zeigte er später seinen Le­bensplan und ‑gang auf: „Heil unnod bün ick Schaulmeister worden, harr tau Buer orrer Kop­mann väl mehr Lust. Aewer Vör­münner, Mud­der un Bräuder smeten sick dull dorgegen up, un ick föfteihnjöhrig Bengel süll mi woll gäben. Wat mi dat Amt verledt hett, weer nich Unlust tau dei Lütten un de Wies, ehr wat bitaubringen, dei Kunst weer mi angeburen un weer in alle Tügnisse anerkannt, ne, dat leg an den Lohn. In de Schaul sinen Strang trecken, buten Schaultied düller as ‘n Daglöhner arbeiten, un dorbi kein Brot hollen un lewlang nich ut de miserabel Sorg rutkamen, dat verledt mi den Kram. Dat harr ick int Öllernhus beläwt un müßt dat as Husvadder beläwen, dat wer bitter. So bün ick denn nach Schicksals‑ un Ministerratswill man up jämmerlich Städen wäst un heff soeben Kinner satt tau maken, ümmer einen Schäpelsack Sorgen tau släpen hatt bet up hüt un dissen Dag.“
Nach kurzer Vorbereitungszeit auf den Lehrer­­beruf machte er im Jahre 1860 sein Hilfs­lehrerexamen und wurde in Neustadt mit einer Klasse an der Privatknabenschule betraut. Im Herbst 1866 fand er nach bestandener Lehrer­prüfung An­stellung in Parchim. Die Stadt war ihm aber zu eng, vornehmlich zog ihn wohl das Bauernblut ge­waltig aufs Land:
„Uppen Dörpen bün ick buren,
Uppen Dörpen bün ick tagen
Un wenn mi de Stadt wull hollen,
Wedder hen tau Dörpen flagen.
Wischen müßt ick seihn un Holt,
Morgenrot un Abendgold!“
So sang er einmal, und dieser seiner Verbun­den­heit mit dem Dorf blieb er Zeit seines Lebens treu. Im Jahre 1886 zog Schröder nach Völks­hagen bei Ribnitz, seinem letzten Wirkungskreis.
Wie traulich und wohl fühlte er sich hier in dem strohgedeckten geräumigen Schulhaus, von dessen Fenstern aus er die Morgensonne und das Abend­rot sah, den Frühling erlebte und im Win­ter sich an der herrlichen Schneelandschaft erfreute. Von allen Seiten her aber grüßte ihn der Wald, an dem sein Herz mit so besonderer Innig­keit hing. Für die Dorfbewohner wurde er zu einem Quell des Se­gens durch seine beispielhafte Hilfsbereitschaft und sein vorbildliches Fami­li­en­leben. Solch eine Innig­keit des Verhältnisses, wie sie zwischen den ein­zelnen Familien­mit­glie­dern im Völkshäger Schul­hause bestand, wird man oft vergeblich suchen. In seiner Frau hatte Schröder eine herzensgute und ihn innig liebende und verstehende Lebenskamera­din gefunden. In dem Umgang mit seinen Kolle­gen war er sehr zurückhaltend, desto lebhafter war jedoch der schriftliche Gedankenaustausch mit sei­nen Dich­ter­freunden, vor allen Dingen mit Dr. Ernst Hamann und Friedrich Cammin, im übrigen genügte ihm sein Familienkreis, in dem er vollstes Verständnis für sein dichterisches Schaf­fen fand. Viel Zeit nahmen auch die landwirt­schaftlichen Arbeiten in Anspruch, bezogen die Lehrer der damaligen Zeit doch aus dem Acker ihre Hauptbesoldung. Kehrte er vom Felde heim, saß er die halben Nächte lang bei seinen Büchern. Durch jahrelanges Selbststudium hatte er sich auf allen Gebieten ein umfangreiches Wis­sen angeeig­net, so daß man ihm riet, den Doktorgrad zu er­werben, zumal er im Griechi­schen, Lateinischen und Französischen vorzüg­liche Kenntnisse besaß. Seine Belesenheit in Ver­bindung mit seinem ausgezeichneten Ge­dächt­nis verliehen ihm das Ansehen eines Gelehrten. Wie tief er sich mit seinem Dörfchen verbunden fühlte, erkennen wir aus dem Gedicht, das er ihm widmete:
„Ünnern hogen Himmelsbagen,
Ünnere warme Herrgottssünn
Liggt min leiw lütt Dörp Völkshagen,
Wo ick bor‘n un tagen bün;
Wo min Vadders Hand mi strakt hett,
Wo ick seet up Moderschot
Di, min Weigenstäd Völkshagen,
Blief ick tru in Not un Dot.“
Anläßlich eines Heimatfestes im Jahre 1930, das seinem Andenken gewidmet war, wurde an dem Schulhause eine Gedächtnistafel angebracht mit folgender Inschrift:
„Unsen Heimatdichter Helmuth Schröder, dei hier läwt un warkt hett, tau‘n Andenken. Hei was uns Fründ un Vörbild. Plattdütsch Verein för Rostock un Umgegend.“
42 Jahre hat Schröder sein Amt in größter Pflicht­erfüllung verwaltet. Am 23. September 1908 be­schloß er seine Lehrerlaufbahn. und im Oktober desselben Jahres siedelte er nach Ribnitz über. Große Ehrungen wurden ihm zuteil. An seinen Freund Cammin schrieb er: „Dei leiwen Völks­häger hebben mi dat Scheiden swerer makt, as ick mi denken ded. Sei keemen tau ne Abschiedsfier in de Schaulstuw un verihrten mi einen prächtigen Lehnstaul, un dei Erbpächters hebben mi frie her­liwert.“ Als dann der Dichter in Ribnitz eintraf, fand er zwischen Blumen einen Brief vom Mini­sterium und eine Schachtel mit der Silbermedaille für Kunst und Wissenschaft.
Doch auch in Ribnitz kam er nicht zur Ruhe. Wenn auch seine Absicht, noch einen drei­bändigen Roman zu schreiben, sich nicht mehr erfüllen sollte, so wa­ren doch seine letzten Tage angefüllt mit der Über­arbeitung seiner Gedichte und der Herausgabe sei­nes letzten Werkes „Ut minen lütten Gorden“
Schröders Dichtungsgebiet im eigentlichen Sinn war die Lyrik. Eine besondere Anregung zum dichte­rischen Schaffen gaben ihm Reuters „Läuschen un Riemels“, die ihn so begeisterten, daß er sie alle auswendig lernte. Sie verführten ihn denn auch zur eigenen Produktion solcher oft faden Witze­leien. Wenn Reuter auch mit seinen Erstlingen in der Dichtkunst einen großen Leser­erfolg erzielte, so hielten sie doch einer ernsten Kritik nicht stand, dem Reim ist Gewalt angetan, vor allen Dingen aber bringen sie unsere ehrbare Muttersprache in Mißkredit, indem sie dies wun­derbare Instrument, das alle Gefühlsemp­fin­dun­gen vom tiefsten Schmerz bis zur höchsten Freu­de zum Ausdruck zu bringen vermag, herab­wür­digen und den Eindruck erwecken, als eigne sich unser Plattdeutsch nur zur Possenreißerei. Vor den Augen eines Klaus Groth fanden die „Läu­schen und Riemels“ denn auch keine Gnade.
Trotz anfänglicher heftiger Gegenwehr hat Reuter sich denn doch von diesen mehr oder weniger faden Witzeleien abgewandt und uns in seinen spä­teren Werken Schöpfungen von geni­aler Kraft und klassischer Schönheit geschaffen, so daß sein einsti­ger Gegner, Klaus Groth, ihm höchstes Lob spen­dete.
Als nun Helmuth Schröder sein erstes Lyrik­heft, in dem er den Spuren Reuters folgte, diesem zur Begutachtung einsandte, war er über dessen ab­lehnende Kritik bestürzt. Reuter, den seine Werke „Kein Hüsung“ und „Ut de Franzosentid“ bereits auf die Höhe seines Schaffens getragen hatten, in dem der Plan der „Stromtid“ heran­reifte, der über sein umstrittenes Erstlingswerk turmhoch hinaus­gewachsen war, konnte wegen seiner jetzt so ern­sten und hohen Auffassung von der Dichtkunst die Herausgabe solcher Mach­werke nicht mehr befür­worten.
Die Ablehnung durch den niederdeutschen Dich­terfürsten war für Schröder von heilsamer Wir­­kung. Er verbrannte sofort die Manuskripte, und nach einer Zeit innerer Klärung und Ent­wicklung wandte er sich dem wahren dichte­rischen Schaffen zu, wenngleich das schädigende Gift, mit dem er sich allzusehr infiziert hatte, auch noch längere Zeit in ihm nachwirkte.
„Wi hebben uns ok de Wohrheit seggen laten müßt“, schreibt Schröder an Cammin, „un bi mi is Fritz Reuter noch so gaut wäst un as alerletzt Korl Eggers. Bi‘n Gedicht kümmt jo allens dorup an, dat dat Kleed den Gedanken as up't Liew gaten sitt.“
Zielbewußt arbeitete Schröder nach diesen Ent­­täuschungen an sich und seinen Liedern. „Dei prächtigen Gedanken maken kein Gedicht, wenn sei nich hübsch utspraken warden“, schrieb er ein andermal an seinen Dichterfreund. So feilte er un­ent­wegt, bis er den höchsten Grad der Voll­kom­­menheit erreichte. Er fand denn auch bei Klaus Groth volle Anerkennung.
Sein letztes Vermächtnis hinterließ er uns in seiner Gedichtssammlung „Ut minen lütten Gorden“, die er noch kurz vor seinem Tode gedruckt in seine Hand bekam. Man kann das Buch aufschlagen, wo man will, immer wieder findet man bestätigt, daß keiner unserer nieder­deutschen Lyriker die Forde­rung Goethes: „Bilde, Künstler, rede nicht, nur ein Hauch sei dein Gedicht“, reiner und schöner erfüllte. Mit welcher tiefen Liebe spricht er von seiner Muttersprache in seinem Gedicht „Hillig Arw“:
„Hillig Arw ut uroll Tieden,
Modersprak, du kostbor Gaut,
För din Daeg un Dihn tau strieden,
Makt dat Hart uns mächtig Maut.
Heldensprak un Modersegen,
Di tau wohrn as uns Juwel,—
Di tau hegen un tau plegen,
Lawt in Leiw di an uns Seel.“
Wie von einem sonst selten erreichten Höhepunkt plattdeutscher Poesie klingen uns die Worte ent­gegen, die der Dichter in das un­sterbliche Gedicht „Dat Volksleed“ gebannt hat:
„Liesen klingt as Abendklocken
Mi dörcht Hart en olles Leed:
Moder süng dat achtern Wocken,
As ick horkend bi ehr seet.
Uppen Hüker ehr tau Sieden,
Minen Kopp an ehren Schood,
Seeg ick hen den Faden glieden,
As min Leben sünner Nod.
Klagend klüngen Scheedelklocken —
Moder güng tor ewig Roh
Sing ehr Leed ick achtern Wocken,
Hört min Lütt mi niepern to.
Wat will‘t duern, un ick wanner
Ok den Gang, den allens geht.
Achtern Wocken sitt en anner,
Sitt min Gör un singt min Leed.“
Den Stoff für seine Prosawerke entnahm der Dich­ter der Wirklichkeit, auch die Personen charak­terisiert er nach dem Leben. Über die Spra­­che ist zu sagen, daß sie sich ganz unge­wöhnlich eng an die Aussprache seiner Heimat hielt, „so as dei Bur üm 1850 in min Heimat snacken ded“, sagt er selbst.
Es erschienen aus Schröders Feder drei Bände Er­zählungen, die unter dem Titel „Ut Meckel­börger Buerhüser“ herauskamen. Durch alle seine Schöpfungen zieht sich wie ein roter Faden die eigene Liebe und Treue zur Hei­mat hindurch, die beispielhaft ist für uns alle.
Sein „Feierabend“ war nur kurz, am 11.Dezember 1909 machte ein Schlaganfall sei­nem arbeits­reichen Leben plötzlich ein Ende.
In einem ehrenden Nachruf gab Karl Gilde­meister den Empfindungen aller Plattdeutschen Ausdruck:
„Büst du ok dod, din Geist doch lewt
In jeden, dei för‘t Plattdütsch strewt.“
Richard Suhr, Helmuth Schröder — Sein Leben und seine Werke. In: Festschrift zur 725/700-Jahr-Feier der Stadt Ribnitz-Damgarten im Jahre 1958. Seite 104 -107.