Graal-Müritz im Spiegel bekannter Literaten

Aus Ortschroniken
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Graal-Müritz könnte man getrost als "Seebad der Literaten" bezeichnen. Namhafte Schriftsteller, wie Franz Kafka, Erich Kästner, Robert Musil, Herbert Nachbar und viele Andere kamen oft und gern Nach Graal-Müritz und in die Rostocker Heide. Nicht wenige fanden hier Inspirationen während ihrer ausgedehnten Aufenthalte.

Hier nachfolgend sammeln wir dazu einige besonders bemerkenswerte in Auszügen:


Johannes Trojan

Geboren am 14.8.1837 in Danzig; gestorben am 23.11.1915 in Rostock.

Der Sohn eines wohlhabenden Danziger Kaufmanns und zeitweiligen Reichstagsabgeordneten studierte seit 1856 in Göttingen Medizin, später Germanistik in Bonn und Berlin. Der Tod des Vaters erzwang den Abbruch des Studiums; nach erfolglosen Versuchen als freier Schriftsteller vermittelte ihm Adolf Glaßbrenner eine Stelle als Hilfsredakteur bei der »Berliner Morgenzeitung«, ab 1866 war er Redakteur, ab 1886 bis 1903 Chefredakteur beim Wochenblatt »Kladderadatsch«.

=== * [[Auszug aus: Johannes Trojan: „Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken „ (1896) Kapitel 6 ]]===

Johannes Trojan: „Das Wustrower Königsschiessen und andere Humoresken „ (1896) Kapitel 6

Das neue Seebad. Maler hatten es ausgespürt, das Bad Spickaalsdorf, als dort nur Fischer wohnten, die nebenbei ein wenig Feldbau trieben. Die Hütten der Fischer und ein Krug, mit einem Kaufmannsladen verbunden, machten den ganzen Ort aus. Spickaalsdorf war für das Publikum noch »unentdeckt«, denn als eigentliche Badegäste konnten die Maler nicht gelten. Wenig zu essen gab es dort, aber zu malen genug auch ausser der See. Auf den Dünen wuchs ein malerisches Durcheinander von wilden Rosen und Hollunder, und im Walde gab es knorrige, halbverdorrte Eichen, wie sie der Forstmann nicht gern sieht, der Künstler aber sehr hoch schätzt. Dann waren im Dorf selbst bezaubernde verfallene Häuschen mit moosbewachsenen Strohdächern zu finden, auf die niemand eine Hypothek gegeben hätte, die aber im höchsten Grade dazu geeignet waren, wie sie dastanden, auf die Leinwand geworfen zu werden. Endlich gab es unter den Fischern wunderbare Gestalten und köstlich verwitterte Gesichter, mit einem Wort: Pracht-Modelle. Zwar wollten sie zuerst nicht daran, sich malen zu lassen, als aber der erste herausbekommen hatte, dass es nicht weh that und dass es etwas einbrachte, folgten die andern nach, wenn auch ihnen die Sache sehr lächerlich vorkam. Die Maler waren in Bezug auf Verpflegung mit dem zufrieden, was des Ortes Brauch war. Ihre Mahlzeiten bestanden in der Hauptsache aus Kartoffeln und aus einem Getränk, das Kaffee genannt wurde, zum Glück aber in nichts an Kaffee erinnerte. Man konnte es nicht »schlechten Kaffee« nennen, sondern es war ein Getränk für sich, das der eine mochte und der andere nicht. Die See warf natürlich manches ab für den Mittagstisch, und besonders gross war der Jubel, wenn einmal Heringe gefangen wurden. Dann kam Fülle und Abwechselung in das Menu, denn der Hering lässt sich nicht nur frisch auf verschiedene Art zubereiten, sondern es giebt auch noch mehrere Arten ihn zu conserviren und ein schmackhaftes kaltes Zugericht aus ihm herzustellen. An Getränken gab es im Kruge ein Bier, das angenehm säuerlich und nicht zu kalt war, und einen Cognac ausserdem, dem man noch eine halbe Stunde, nachdem man ihn genossen, nachschauderte, und der einem im Traum vorkam. So war für des Leibes Nahrung und Nothdurft genügend gesorgt. Auch machten die Künstler in Bezug auf Beherbergung und Verpflegung keine grossen Ansprüche. Sie gehörten nicht zu den »grossen Thieren«, die in der Residenz ihre Villen mit Agaven und Rhododendren haben, bei denen Equipagen vorfahren, in denen mindestens ein Commerzienrath sitzt; nein, es waren junge Leute, die noch etwas lernen wollten, die ausgegangen waren, um mit der Natur Fühlung zu gewinnen, was ihnen denn auch in Spickaalsdorf ohne Mühe gelang. Es war ihnen gleichgiltig, wie sie wohnten und wo sie schliefen, denn sie schliefen auf einem Baumast ebenso vortrefflich wie im Daunenbett. An einer Stelle des Strandes hatten sie sich selbst eine kleine Hütte aus Fichtenzweigen erbaut; das war damals die ganze Badeanstalt, und dass für die Bäder nichts bezahlt wurde, verstand sich von selbst. Man lebte damals noch rasend billig in Spickaalsdorf. Es kam den Eingeborenen nicht in den Sinn, aus dem Aufenthalt der Künstler an ihrem Ort einen besonderen Vortheil zu ziehen. Sie waren überzeugt davon, dass diese lustigen jungen Menschen sehr wenig Geld besassen, und hatten sie gern, auch wenn sie dieselben für eine Sorte von harmlosen Verrückten hielten. Die dort übersommernden Maler aber führten ihrer Meinung nach ein köstliches Leben an diesem Ort. Sie badeten in der See, fuhren mit den Fischern auf den Flunderfang, durchstreiften den Wald, lagen im weissen Sande oder rollten sich die Dünen hinunter und arbeiteten dabei auch fleissig und mit Erfolg. Wenn der Herbst kam und im Dorngesträuch die rothen Beeren schimmerten, zogen sie heim in die Hauptstadt mit vielen Entwürfen in ihren Mappen, an Leib und Seele erfrischt und ohne von den Eingeborenen geplündert zu sein. Das war, wie diese ersten Besucher von Spickaalsdorf behaupten, die goldene Zeit für den Ort. Sie sollte nicht lange währen. Die Lehrer, welche bei der Aufsuchung von Sommerfrischen den Spuren der Künstler folgen, hatten bald heraus gefunden, dass Spickaalsdorf ein Ort war, wo man billig lebte und wo noch primitive Verhältnisse herrschten. Nicht lange dauerte es, so begannen sie, sich dort hineinzulegen. Da sie aber mit Kind und Kegel kamen und denn doch schon etwas grössere Ansprüche in Bezug auf Quartier und Verpflegung machten als die halbwilden Künstler, so wurde durch sie der Charakter des Ortes bald nicht unwesentlich verändert. Für den stärkeren Zuspruch von Sommergästen wurden die Häuser zu enge, obgleich die Fischer mit den Ihrigen sich in die unscheinbarsten und unbequemsten Hinterbaulichkeiten zurückzogen. Dann wurde hier und da etwas aufgesetzt und zugebaut, und am Ende wurde sogar der Grund zu neuen Häusern gelegt, bei denen man an die Aufnahme von Badefremden dachte. Die Preise zeigten ein leises Anschwellen, das in Künstlerkreisen nicht unbemerkt blieb. Der Krugwirth erhob sich selbst zum Gasthofsbesitzer und richtete einen ordentlichen Mittagstisch ein. Er erweiterte seine Bierverbindungen und schaffte einen leichten Moselwein an für Liebhaber dieses Getränkes. Woher besagter Wein stammte, konnte nicht ausgemacht werden, es hatte aber die meiste Wahrscheinlichkeit für sich, dass er von einer nördlich gelegenen Insel kam, auf der weisse Blaubeeren wuchsen. Zugleich wurden am Strande mehrere Bretterbuden erbaut, welche die Anfänge einer wirklichen Badeanstalt bildeten. Schon musste für die Bäder etwas bezahlt werden, aber der Preis dafür war noch ein sehr mässiger, es bestand noch keine Badeverwaltung, es wurde noch keine Kurtaxe erhoben. Auch musikfrei blieb der Ort noch längere Zeit. Man hörte noch kein Pianino erklingen und noch keinen Leierkasten, aber gesungen wurde schon ziemlich viel. Von der besonnten Düne erscholl es »Im kühlen Keller sitz' ich hier«, und von der See her, auf der man in Fischerbooten spazieren fuhr, ertönte am Abend nicht selten die schöne Weise: »Die Nacht ist kühl und es dunkelt, und ruhig fliesset der Rhein«. Ueberall spielt sich der Kampf ums Dasein ab. Eines vertreibt das andere von der Stelle, wo es sich angesiedelt hat und zu bleiben gedachte. Die Wanderratte verdrängt die altheimische Hausratte, und dem Sperling müssen in den Gärten und der Umgebung unserer Städte die Singvögel Platz machen. Die Kräuter der Wildniss weichen der Pflugschar, und an ihre Stellen treten nützliche Culturgewächse. An diese wieder drängen sich dreiste oder listige Unkräuter heran und nehmen mit ihnen den Kampf auf. Etwas Aehnliches vollzog sich in Spickaalsdorf. Als die Lehrer in immer grösserer Zahl einrückten, konnten sich die Maler nicht mehr halten; der Ort wurde für sie zu civilisirt und zu theuer, einer nach dem andern verschwanden sie und suchten entlegenere Küsten auf. Aber auch die Herrschaft der Lehrer dauerte nicht gar lange Zeit. Ja, wenn sie reinen Mund gehalten und geschwiegen hätten, wie sie es sich vorgesetzt hatten, so würde ihr Sommerparadies ihnen wohl lange Zeit noch erhalten geblieben sein. Aber in winterlichen Abendgesellschaften, im gemüthlichen Zusammensein bei Bier und Wein plauderten sie doch so manches aus, und so gewann die übrige Welt, die im Sommer Seebäder zu besuchen gewohnt ist, von Spickaalsdorf Kunde, fiel begierig über den Ort her und bemächtigte sich seiner. In kurzer Zeit wurde die bescheidene Malercolonie zu einem emporblühenden beliebten Badeort, wie es in den Zeitungen hiess. Die Eingeborenen merkten bald, dass aus ihrem Ort etwas zu machen sei. Häuser wuchsen aus dem Boden, und in den Wohnungen für Badegäste machte sich ein gewisser Comfort bemerkbar, von dem in der Malerzeit noch nichts vorhanden gewesen war und in der Lehrerzeit erst sehr wenig. Schon war man nicht mehr zufrieden damit, wenn in einem Zimmer ein Tisch mit zwei Stühlen stand, man verlangte auch noch ein Kanapee, eine Kommode und einen Spiegel. Man schüttelte den Kopf, wenn nicht die Wand mit einem kostbaren Neuruppiner Kupferstich geziert war. Vor dem Hause musste auch eine Laube sein. Eine solche liess sich allerdings leicht herstellen mit Hilfe weniger Stangen, an die man Bohnen pflanzte. Der Gastwirth bekam einen Concurrenten, der ausser einem blumigen Mosel auch noch einen sehr preiswürdigen Bordeaux führte. Woraus derselbe gemacht war, wollte er nicht sagen, wusste es vielleicht auch selbst nicht. Der Geschmack dieses Weines erinnerte an eine leichte Tinte, der ein gut Theil Essig zugesetzt ist. Es ist merkwürdig, wie schnell die wilden Männer, die uns in Europa besuchen, mögen es nun Zulukaffern oder Nubier, Indianer aus Nordamerika oder Feuerländer sein, den Werth des Geldes kennen lernen und mit unserm Münzsystem sich vertraut machen. Auch die Eingeborenen unserer Seeküsten, die allerdings schon von Hause aus etwas civilisirter sind als jene ausländischen Wilden, erweisen sich in dieser Hinsicht als sehr bildsam, und davon machten die Urbewohner von Spickaalsdorf keine Ausnahme. Wie verstanden sie es bald, mit der steigenden Saison die Flunderpreise zu steigern, nachdem sie gemerkt hatten, dass die Badegäste sich um diese köstlichen, nur von ihnen selbst, den Fischern, als Speise nicht allzusehr geschätzten Plattfische förmlich rissen. Nun wurde immer nur wenig gefangen, wie sie behaupteten, und wenn sie den Fremden auf deren Bitten für theueres Geld etwas abliessen, so geschah es anscheinend mehr aus angeborener Gutmüthigkeit, als um ein Geschäft damit zu machen. Aehnlich war es mit anderen Dingen. Die Preise, die zuerst nur ein leichtes Anschwellen gezeigt hatten, schnellten nach einiger Zeit auf überraschende Weise in die Höhe, so dass die Lehrer bis auf wenige besonders günstig Situirte genöthigt waren, den Platz zu räumen. Es wurde aber auch für das Geld etwas geboten. Die Eingeborenen hatten aus sich heraus eine Badeverwaltung und einen Verschönerungsverein gebildet. Zwei ordentliche Badeanstalten waren errichtet, ein Bademeister war berufen, Badefrauen waren eingesetzt worden. Das Trinkgeld, das um die Zeit der Maler noch eine ziemlich unbekannte Grösse gewesen war, fing an, eine wichtige Rolle zu spielen. Der Verschönerungsverein, der von jedem Badegast einen kleinen Tribut erhob, legte im Walde einen Promenadenweg an und stellte hie und da Bänke auf sowie auch eine Mooshütte. Hervorragenden Badegästen zu Ehren wurde vom Verschönerungsverein ein Platz »Meyers Ruhe«, ein kleiner Berg die »Elsenhöhe« und ein besonders schöner Punkt »Schultzes Blick« getauft. Mit der Zeit siedelten sich zwei Kaufleute im Ort an. Sie wohnten einander gegenüber, standen gewöhnlich vor der Thür und beschossen einander mit giftigen Blicken. Jeder von ihnen gab genau darauf Acht, wer bei dem andern aus und ein ging und verzehrte sich in Neid wegen jeder Schachtel Streichhölzer, die der Concurrent verkaufte. Jeder von beiden suchte den andern zu überbieten in Delikatessen, die er für die Badegäste feilhielt. Der eine von ihnen ging darin so weit, dass er vom Frühjahr ab in seinem Laden ein Fässchen Caviar stehen hatte. Merkwürdig! So mancher sah beim Vorübergehen in das Fässchen hinein, keiner aber wollte von dem Caviar kaufen. Indessen stand doch das Fässchen da, imponirte sehr und berechtigte den Kaufmann dazu, in sein Schaufenster eine Tafel zu stellen mit der stolzen Inschrift: »Echter Astrachaner Caviar!« Als die Saison vorüber war, verkaufte er den Inhalt des Fässchens für ein weniges an einen Fischer, der damit seine grossen Wasserstiefel geschmeidig machte. Wann der erste Geheime Rath in Spickaalsdorf angekommen ist, lässt sich mit Sicherheit nicht mehr feststellen. Es wird ungefähr um die Zeit gewesen sein als das erste Clavier auf grundlosen Sandwegen mühsam aus der nächsten kleinen Stadt nach Spickaalsdorf geschafft wurde. Es war bestimmt für den Saal in dem neuen Gasthof »Zur schönen Aussicht«, wo es seitdem von »talentirten« Badegästen weidlich gemartert worden ist. Um dieselbe Zeit tauchten auch in dem genannten Gasthof die ersten Speisekarten mit Beefsteak und Cotelette auf. Und auf einmal war ein Kellner da. Wie sehr aber hat sich seitdem Spickaalsdorf noch entwickelt, wie grossartig ist es seit dieser immerhin noch einfach zu nennenden Zeit geworden! O Spickaalsdorf, wie sehr hast du dich verwandelt! So rufe ich aus, indem ich an Ort und Stelle diesen Bericht, der eine kurzgefasste Geschichte des Ortes ist, niederschreibe. Jetzt haben wir auch schon eine Strandhalle hier, wie die andern Bäder, und in dieser sitze ich eben und höre, wie zwei Badegäste über dem Zeitungslesen in heftigen Streit mit einander gerathen sind. Natürlich gehören sie entgegengesetzten politischen Richtungen an, wie die beiden Blätter, die sie sich hierher nachschicken lassen. So etwas konnte früher hier nicht vorkommen. Die Maler hielten sich überhaupt keine Zeitung, und wenn sie sich bei Regenwetter einmal in das »Amts- und Verordnungs-Blatt für den Kreis Flundershausen«, das beim Krüger zu finden war, vertieften, so machte sie das doch nicht aufgeregt oder erbittert. Die Lehrer hielten sich einige milde und parteilose Organe. In diesen lasen sie, ohne dadurch aus der beschaulichen Stimmung gebracht zu werden, welche die Hauptbedingung für eine erfolgreiche Seebadekur ist, oder sie unterhielten sich über Präpositionen und andere friedliche Gegenstände. Jetzt aber sind hier politische Blätter aller Art vorhanden, und damit ist der ganze Parteihader aus der argen Welt nach Spickaalsdorf übertragen. Ich glaube, die Eingeborenen sind auch schon davon angesteckt. Das kommt mit davon, dass wir jetzt im Sommer hier eine Postexpedition haben und sogar eine telegraphische Verbindung mit der Aussenwelt. Und was haben wir ausserdem noch alles in den letzten Jahren hier bekommen! Jetzt giebt es schon nicht weniger als fünf Buden, in denen allerhand Schnurrpfeifereien und »Andenken an Spickaalsdorf« verkauft werden: bunte Muscheln, Serviettenringe, Kästchen, Kaffeetassen und anderes solcher Art. Wir haben zwei Leihbibliotheken hier, einen Photographen und sogar einen Badearzt. Es ist ein Doctor, der aus einer benachbarten Stadt hierher kommt und die Saison mitnimmt. Früher hätte ein Arzt hier nicht existiren können. Den Malern fehlte nie etwas und den Fischern erst recht nicht. So lange diese lebten, waren sie gesund, und wenn sie dann endlich sterben mussten, konnten sie das auch ohne Arzt zu Stande bringen. Jetzt findet ein solcher hier schon eher Beschäftigung. Es fällt doch einmal eine Dame in Ohnmacht oder ein Kind klemmt sich oder ein anderes überisst sich an unreifen Stachelbeeren. Viel wirft das nicht ab, aber der Doctor hat doch das Mitleben dabei und den freien Genuss des Seebades. Auf der »Strandpromenade« wird schon etwas auf Toiletten gegeben, man merkt es, dass Spickaalsdorf sich mehr und mehr zum Weltbad entwickelt. Auch Kunstgenüsse fangen an sich einzubürgern. Ein Taschenspieler war schon hier, desgleichen ein Bärenführer und ein Leierkastenmann. Künstlerisch und poetisch veranlagte Badegäste haben schon einmal eine musikalisch-declamatorische Reunion veranstaltet. In dieser Woche aber wird ein reisender Virtuose hier erwartet, der im Hotel »zur schönen Aussicht« ein wirkliches Concert geben will. Vielleicht bin ich, ehe es dazu kommt, schon von hier aufgebrochen. Ich möchte nämlich gern ausfindig machen, wo die Lehrer geblieben sind. Habe ich den Anschluss an diese erreicht, so komme ich vielleicht auch dahinter, wohin sich die Maler verzogen haben. Ich gäbe etwas darum, zu wissen, was von ihnen wieder aufgespürt ist.


Franz Kafka

Geboren am 3.7.1883 in Prag, gestorben am 3.6.1924 in Kierling bei Wien. Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns. 1901-1906 studierte er Germanistik und Jura in Prag; 1906 promovierte er zum Dr. jur. Dann kurze Praktikantenzeit am Landesgericht Prag. 1908-1917 Angestellter einer Versicherungsgesellschaft, später einer Arbeiter-Unfall-Versicherung. 1917 erkrankte er an Tbc, was ihn 1922 zur Aufgabe des Berufes zwang.

Kafka fühlte sich als einsamer und unverstandener Einzelgänger, nur mit Max Brod und Franz Werfel verband ihn Freundschaft; bekannt war er auch mit Martin Buber und Johannes Urzidil. In den Sommermonaten der Jahre 1910 bis 1912 führten ihn Reisen und Kuraufenthalte nach Italien, Frankreich, Deutschland, Ungarn und in die Schweiz. Sein Verhältnis zu Frauen war schwierig und problematisch: zweimal hat er sich 1914 verlobt und das Verlöbnis wieder gelöst; 1920-1922 quälte ihn eine unerfüllte Liebe zu Milena Jesenska, was zahlreiche erhaltene Briefe dokumentieren; seit 1923 lebte er mit Dora Dymant zusammen als freier Schriftsteller in Berlin und Wien, zuletzt im Sanatorium Kierling bei Wien, wo er an Kehlkopftuberkulose starb. Sein literarischer Nachlass, den er testamentarisch zur Verbrennung bestimmt hatte, wurde posthum gegen seinen Willen von Max Brod veröffentlicht.


(Emil) Erich Kästner

(* 23. Februar 1899 in Dresden; † 29. Juli 1974 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Verfasser von Texten für das Kabarett.

Seine publizistische Karriere begann während der Weimarer Republik mit gesellschaftskritischen und antimilitaristischen Gedichten, Glossen und Essays in verschiedenen renommierten Periodika dieser Zeit. Nach Beginn der NS-Diktatur war er einer der wenigen intellektuellen und zugleich prominenten Gegner des Nationalsozialismus, die in Deutschland blieben, obwohl seine Werke zur Liste der im Mai 1933 als „undeutsch“ diffamierten „verbrannten Bücher“ zählten und im Herrschaftsbereich des NS-Regimes verboten wurden. Trotz verschiedener Repressalien konnte er sich unter Pseudonym beispielsweise mit Drehbucharbeiten für einige komödiantische Unterhaltungsfilme und Einkünften aus der Veröffentlichung seiner Werke im Ausland „über Wasser“ halten. Nach der mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgten Niederschlagung der NS-Herrschaft war Kästner ab 1945 wieder eine freiere Entfaltung möglich. Von 1951 bis 1962 war er Präsident des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. Mit einer pazifistischen Grundhaltung äußerte er sich öffentlichkeitswirksam bei verschiedenen Gelegenheiten auch politisch gegen die westdeutsche Regierungspolitik der Adenauer-Ära in den 1950er und 1960er Jahren (z. B. im Zusammenhang mit der Remilitarisierung, der Spiegel-Affäre und der Anti-Atomwaffenbewegung).

Populär machten ihn vor allem seine Kinderbücher wie beispielsweise Emil und die Detektive (1929), Das fliegende Klassenzimmer (1933) und Das doppelte Lottchen (1949), sowie seine mal nachdenklich, mal humoristisch, oft satirisch formulierten gesellschafts- oder zeitkritischen Gedichte und Aphorismen, deren bekannteste Sammlung unter dem Titel Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke erstmals 1936 im Schweizer Atrium Verlag erschien.

Im Jahre 1957 erscheinen in Zürich Kästners Jugenderinnerungen "Als ich ein kleiner Junge war“, an dessen Textende er ganz folgerichtig auch jene Zäsur schildert, die er selbst als das Ende seiner Jugend bezeichnet. Uns mag erstaunen, das genau diese Lebenszäsur für den damals Fünfzehnjährigen zwischenGraal-Müritz, Rostocker Heide und Warnemünde geschah:

„In den Sommerferien des Jahres 1914 griff Tante Lina tief und energisch in den Geldbeutel. Sie schickte uns beide mit Dora an die Ostsee.“ (seine Mutter und seine Cousine Dora)

„Das war meine erste große Reise, und statt des Rucksacks trug ich zum erstenmal zwei Koffer. Ich kann nicht sagen, daß mir der Tausch sonderlich gefallen hätte. Ich kann Koffertragen nicht ausstehen. Ich habe dabei das fatale Gefühl, daß die Arme immer länger werden, und wozu brauche ich längere Arme ?“…. Hinterlassen seine ersten Blicke, noch aus dem Zugfenster, auf mecklenburgische Landschaft erstaunlich wenig positive Eindrücke, so freundet er sich erst unmittelbar in Rostock mit diesem Küstenlandstrich an: „Und zum ersten Male sah ich, auf der Fahrt durch Mecklenburg Kornfelder und Kleewiesen, ein Land ohne Hügel und Berge. Der Horizont war wie mit dem Lineal gezogen. Die Welt war flach wie ein Brett, mit Kühen drauf. Hier hätte ich nicht wandern mögen. Besser gefiel mir schon Rostock mit seinem Hafen, den Dampfern, Booten, Masten, Docks und Kränen. Und als wir gar von einer Bahnstation aus, die Rövershagen hieß, durch einen dunkelgrünen Forst laufen mussten, wo Hirsche und Rehe über den Weg wechselten und einmal sogar ein Wildschweinehepaar mit flinken gesprenkelten Frischlingen, da war ich mit der Norddeutschen Tiefebene ausgesöhnt. Zum ersten Mal sah ich Wacholder im Wald, und an meinen Händen hingen keine Koffer. Ein Fuhrmann hatte sie übernommen“ … Der Naturfreund genießt die Ruhe und Weltabgeschiedenheit der Rostocker Heide als Urlaubsdomizil in vollen Zügen. Ausflüge zu Fuß und per Rad durch die Ruhe der Küstenwaldlandschaft empfindet er als genussvolle Abwechslung zur Lebendigkeit seiner Heimatstadt Dresden: „Die Küste entlang nach Graal und Arendsee. In die Wälder, an schweelenden Kohlenmeilern vorbei, zu einsamen Forsthäusern, wo es frische Milch und Blaubeeren gab. Wir borgten uns Räder und fuhren durch die Rostocker Heide nach Warnemünde, wo die Menschenherde auf der Ferienweide noch viel, viel größer war als in Müritz. Sie schmorten zu Tausenden in der Sonne, als sei die Herde schon geschlachtet und läge in einer riesigen Bratpfanne. Manchmal drehten sie sich um. Wie freiwillige Koteletts. Es roch, zwei Kilometer lang, nach Menschenbraten. Da wendeten wir die Räder und fuhren in die einsame Heide zurück.“ Noch während ihres Weges zur Fähre und damit zur Flucht vor der Hektik dieses Badeortes, erreichte die Ausflügler die erschreckende Nachricht das der Krieg in ihre Urlaubsidylle eingebrochen war: „Am 1. August 1914, mitten in diesem Ferienglück, befahl der deutsche Kaiser die Mobilmachung. Der Tod setzte den Helm auf. Der Krieg griff zur Fackel. Die apokalyptischen Reiter holten ihre Pferde aus dem Stall. Und das Schicksal trat mit dem Stiefel in den Ameisenhaufen Europa. Jetzt gab es keine Mondscheinfahren mehr, und niemand blieb in seinem Strandkorb sitzen.“ … Von einer Minute auf die Andere hatte sich Alles im Leben verändert. Selbst die Waldidylle der Rostocker Heide geriet in den Sog des Krieges: „Diesmal wechselten keine Rehe und keine Wildschweine über die sandigen Wege. Mit Sack und Pack und Kind und Kegel wälzte sich ein Menschenstrom dahin. Wir flohen als habe hinter uns ein Erdbeben stattgefunden. Und der Wald sah aus wie ein grüner Bahnsteig, auf dem sich Tausende stießen und drängten. Nur fort !“ „Die ersten Reservisten marschierten, mit Blumen und Pappkartons, in die Kasernen. Sie winkten und sie sangen: `Siegreich woll´n wir Frankreich schlagen, sterben als ein tapfrer Held ! Der Weltkrieg hatte begonnen, und meine Kindheit war zu Ende.“

Drei Jahre darauf musste auch Kästner in den Krieg ziehen, ohne Euphorie. Ein Jahr darauf kehrte er zurück, krank am Herzen und Pazifist.