Über das alte Geläut und die Turmuhr

Aus Ortschroniken
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Studie über das alte Geläut und die Turmuhr von Güstrows Pfarrkirche Sankt Marien Vorwort Mecklenburg wurde nach dem Fall der innerdeutschen Grenze unteranderem als das Land der Backsteingotik bekannt. Große berühmte Stadtkirchen ebenso wie zahllose Dorfkirchen prägen das Bild des Landes nachhaltig. Auch unselige Zeiten haben diese Stätten des Gebets und der Verkündigung und ihre Stimme, die Glocken, nicht auslöschen können. Was nämlich nur wenigen bekannt ist: Die meisten der Kirchen bewahren noch heute wertvolle alte Glocken – nicht sehr viele, denn zwei Weltkriege taten das Ihre; doch präsentieren sich die erhalten gebliebenen in einer beeindruckenden Vielfalt, und nicht wenige unter ihnen sind Instrumente von erlesener Schönheit in Form und Klang. Bis heute gibt es keine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme der mecklenburgischen Glocken und eine Aufarbeitung der Geschichte dieser wertvollen Denkmäler. Letzteres galt auch für die Güstrower Glocken im Dom und in der Pfarrkirche der bürgerlichen Stadt, St. Marien. Gerade sie haben eine besonders wechselvolle Glockengeschichte zu verzeichnen. So freut es mich besonders, dass die Glockengeschichte dieser beiden Kirchen in wesentlichen Zügen nun dargestellt werden kann, und ich wünsche der vorliegenden Broschüre große Verbreitung und interessierte Leser.

Claus Peter Glockensachverständiger des Westf. Amtes für Denkmalpflege und der ev. Kirche von Westfalen.

Hamm/NRW, Dezember 2007

(Dasselbe Vorwort wurde auch der Studie über die Glocken des Domes voran gestellt.)

Das Geläut der Pfarrkirche zu Güstrow Beim Aufstieg zur Turmlaterne müssen 198 Stufen überwunden werden. Der Aufstieg ist auf bequemen eichenen Stufen möglich. Hinter den von Norden und Süden sichtbaren schmalen Öffnungen im viereckigen Teil des Turmes liegt die Glockenstube mit dem Geläut aus vier Glocken. Die Inventur von 1811 weist vier Glocken im Turm aus. Die älteste der vier Turmglocken erhielt noch vor der Reformation 1425 die Weihe. Sie ist die einzige Glocke, die aus dem Geläut von 1811 (von Friedrich Schlie erwähnt) noch vorhanden ist. Da in ihrem Felde eine 24 cm Flachrelief-Figur des Heiligen Georg als Hauptschmuck erscheint, kam man auf die Vermutung (siehe Schlie), sie könne ehemals der abgebrochenen katholischen Kapelle des St.-Jürgens-Stiftes gedient haben. Ihre, von kleinen Wappenschilden mit Bildern (Harpyie oder Jungfrauen-Adler viermal, Hirsch viermal, gotische Nische mit Marienbild einmal) begleitete Inschrift lautet:

                                           o rex glorie veni cum pavce MCCCCXXV  
                                        O König der Ehren komm mit Frieden 1425

Diese Glocke trägt heute die Bezeichnung Glocke IV, Taufglocke, Bronze (78% Kupfer und 22% Zinn), Durchmesser 104 cm, Tonlage „as“.

Das volle wohlklingende Geläut der Pfarrkirche zu Güstrow wird von drei Eisenhartgussglocken aus der Apoldaer Glockengießerei Schilling & Lattermann (1950 gegossen, 1951 geweiht) und einer bronzenen Glocke aus einer Werkstatt des Glockengießers Rinkert de Monkehagen (gegossen im Jahre 1425) erzeugt.

Die nächstälteste war eine von Ernst und Johann Siebenbaum im Jahre 1701 gegossene Glocke mit 3259 kg Gewicht und 145 cm Durchmesser. Die anderen beiden Glocken, mit 2400 kg bzw. 5500 kg Gewicht und 155 cm bzw.182 cm Durchmesser, sind 1854 von dem Glockengießer Jllies in Waren aus zwei älteren Glocken, die im Jahre 1600 von den Wismarer Meistern Gerd und Klaus Binge hergestellt worden waren, umgegossen worden.

Im ersten Weltkrieg blieb das besonders harmonische Geläut der Pfarrkirche von der Beschlagnahme durch das Kaiserreich verschont. Man gab sich mit der Entfernung der Orgelpfeifen aus Zinn (1917) zufrieden. Die Glocke der seit 1646 zur Pfarrgemeinde gehörenden Kirche in Suckow sollte ebenfalls abgeliefert werden. Ob dies auch tatsächlich geschah, konnte noch nicht geklärt werden.

1950 konnten mit Mitteln der Stiftung der Pfarrkirche und mit finanzieller Unterstützung durch den Oberkirchenrat drei neue Glocken für das Gotteshaus nachgegossen werden. Die drei eisernen Glocken 1 bis 3 wurden 1950 in der Apoldaer Glockengießerei Schilling & Lattermann in Thüringen gegossen und als Ersatz für die zu Kriegszwecken 1942 demontierten Glocken aufgehängt und 1951 geweiht. Nach dem Umbau im Jahre 2008/2009 sind Glockenstuhl, Glockensteuerung und Glocken für die Besucher nun gut sichtbar. Oberhalb der Glockenstube, an der Stelle wo sich der viereckige Turm zur Turmspitze verjüngt, befindet sich in einer Uhrenstube das Uhrwerk. Über ein damit verbundenes Getriebe werden die Zeiger auf den vier Zifferblättern zeitgerecht bewegt. Das Schlagwerk der Uhr betätigt über Seilzüge den Hammer für den viertelstündlichen und stündlichen Glockenschlag an der Glocke 2.

Die Kosten für die Glocken betrugen 20.376 M der DDR. Der Transport von Apolda nach Güstrow kostete davon allein 6000 M der DDR und erfolgte per Bahn. Vom Bahnhof zur Pfarrkirche erfolgte die Einholung der Glocken auf reich geschmückten Transportfahrzeugen. Die Glocken wurden innerhalb der Kirche bis in die Glockenstube hinauf gezogen.

Am 11.03.1951 vormittags zum Beginn des Hauptgottesdienstes wurden die Glocken durch den Landessuperintendenten Sibrand Siegert geweiht. Kirchengemeinderat und Helferschafften zogen feierlich mit den Pfarrpastoren unter dem Geläut der bis dahin einzigen Glocke und unter den Orgelklängen des Chorals „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ in die Pfarrkirche ein. Die Glockenweiherede von der Kanzel bezog sich auf das Gotteswort aus dem Propheten Jeremia(22, 29), das auf der größten der drei Glocken steht: “O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“. Im Anschluss daran sprachen die beiden Pfarrgeistlichen von den Stufen des Altarraumes als Votum die Schriftworte auf der zweiten und dritten Glocke: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und freudig seist“ (Jos. 1, 9) und, „Wachet, stehet im Glauben“ (1. Kor. 16). Vom Altar wurde durch den Superintendenten das Weihegebet gesprochen. Danach läuteten die Glocken 5 Minuten in feierlicher Stille.

Bis 1956 wurden die Glocken von Hand geläutet. 1956 stellte die „PGH Läuteanlagen Gloria“ aus Bad Wilsnack eine elektrische Steuerung der Antriebe über empfindliche Quecksilberschalter her. Diese Schalter fielen jedoch nach und nach aus, so dass ab 1970 nur noch ein eingeschränktes Läuten und ab 1978 nur noch mit einer Glocke elektrisch möglich war. 1978 wurde dann der Pfarrkirche der Import einer Läuteanlage von der Firma Herforder Elektrowerke (HEW) aus der BRD durch das Ministerium für Innen- und Außenhandel der DDR genehmigt. Diese Genehmigung wurde erteilt, weil es sich um ein Geschenk des Diakonischen Werkes Bayerns an die Pfarrkirche Güstrow handelte. Die Montage der nagelneuen Teile der Läuteanlage wurde jedoch erst 1983 durch die Schlosserfirma Wichmann aus Dresden ermöglicht. Diese beabsichtigte zunächst, den beschädigten hölzernen durch einen stählernen Glockenstuhl zu ersetzen. Dieses Vorhaben wurde durch den damaligen Baubeauftragten der Pfarrkirche, Herrn Bent Böhnke, aus denkmalpflegerischer Sicht verhindert. Der hölzerne Glockenstuhl wurde danach repariert und das speziell in Apolda angefertigte Joch für die Glocke 4 erneuert. Firma Wichmann montierte danach die Antriebsmechanik für die Läutetechnik und der Güstrower Elektromeister Alfons Hertkorn erledigte die erforderlichen Elektroinstallationen. 1990 wurden die stark beschädigten gotischen Fenster im Turm entfernt und hölzerne Schallaustrittsöffnungen eingebaut, diese Lösung hat sich sehr bewährt. Heute werden die Glocken mit einer Anlage in Gang gesetzt, die nach der Wende vom Hersteller Herforder Läutemaschinen VOCO errichtet wurde und eine Programmierung des Läutens ermöglicht. Welche Glocken jeweils Läuten sollen, legt eine Läuteordnung aus dem Jahre 1992 fest.(siehe Bild 155). Die Glocken sind 2007 in folgender Reihenfolge innerhalb der Glockenstube angeordnet:

                         Aufhängung des alten Geläutes in der Pfarrkirche
                                   Blickrichtung nach Norden  
                         Glocke 2    Glocke 1   Glocke 3    Glocke 4
                        Betglocke    Dominica   Trauglocke Taufglocke 

Die Pfarrgemeinde hat vorausschauend einen Glockenfonds gebildet, um beschädigte Glocken reparieren bzw.erneuern zu können. Glocken-Experten geben Eisenhartgussglocken eine "Lebenszeit" von ca. 70 Jahren.

Hier Fotos der alten Glocken einfügen!