"Der Zettelmann" - Geschichten um Richard Wossidlo"

Aus Ortschroniken
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"Richard Wossidlo gab der Dorflinde seinen Namen"

Hans Erichson/ Wilfried Steinmüller 2009
Im nahe bei Ribnitz-Damgarten gelegenen Dorf Körkwitz steht mitten im Ort eine junge Linde, vor der ein großer Findling mit der Inschrift „Wossidlo-Linde“ liegt.
Bis 1960 stand an jener Stelle eine Jahrhunderte alte exotische Krim-Linde, die vor allem durch ihren mächtigen Stamm auffiel, der einen Umfang von etwa 7,50 m besaß. Dieser uralte Baum erhielt in den 1920er Jahren zu Ehren des Mecklenburger Volksprofessors Richard Wossidlo den Namen „Wossidlo-Linde“, denn hier in Körkwitz erhielt er den entscheidenden Anstoß für sein Lebenswerk, für das Sammeln von Volksüberlieferungen.
In einem Rundfunkvortrag, der 1936 auf Schallplatte aufgenommen wurde, erzählte Richard Wossidlo, wie er bei einem Besuch seines Onkels Hermann Burmeister in Körkwitz zum Sammeln von Märchen, Sagen und anderen Volksüberlieferungen angeregt wurde.
Diese Aufnahme erfolgte damals auf einer extrem empfindlichen Schellackplatte und Dank der modernen Computertechnik ist sie jetzt auf eine CD überspielt, sodass wir heute sogar noch Wossidlos Stimme hören können.
Richard Wossidlo erzählt
Es war ein schöner Sommertag des Jahres 1884, es sind also 52 Jahre her, da saß ich am Morgen in dem Schauer beim Rademacher Anders und ließ mir allerlei Rätsel und Reime sagen.
Da wehte zufällig der Wind ein Rohrblatt durch die offen stehende Tür des Schauers, und der träumerische Blick des Rademachers fiel auf das Blatt.
Da fragte er mich:
„Seggen Se mal, weten Se eigentlich, mien leef Herr Voßlo, woher de Bisse kamen, de in so'n Ruhrblatt sünd. Dor sünd doch ümmer drei so'n Bisse in, as wenn dor Tähnen von'n Minschen rinbäten hebben. Kcenen Se mi vertellen, wo dat von herkümmt?“ „Ne“, sagte ich. „Dat will 'k Se utdüden. Uns Heiland is eens up den See Genezareth führt. Dor is sien Boot lack worden un he is in grote Läbensgefohr kamen. Dor hett he sick in siene Angst an eenen Ruhrhalm wedder an't Land treckt un mit de Tähnen in dissen Ruhrhalm rinbäten. Dorvon kamen de drei Bisse in den Ruhrhalm.“
Als ich nach Tisch durch das Dorf ging und seine Schwester, die Tagelöhnerfrau, wie ich erst schon sagte, vor der Tür stehen sah, erzählte ich ihr das, was der Bruder mir am Morgen erzählt hatte und fragte sie, ob sie vielleicht eine andere Erklärung wisse.
Da sagte sie:
„Ja, mien Mudder hett dat ümmer anners vertellt. De hett mi ümmer seggt, as uns Heiland an'n Krüz hungen hett, dor hebben doch de Kriegsknechte em den Essigswamm up'n Ruhrhalm rupdan. Dor hett he in den Ruhrhalm rinbäten, dorvon kamen de Bisse.“
Als ich am Abend zu dem Vater, der Kuhfütterer war, in den Kuhstall kam und ihm mit lachendem Munde sagte:
„Vadder Anders, nu möten Se mi raden. Ehr Soehn Johann hett mi so vertellt, und Ehr Dochter Mariken so. Wer von de beden hett nu recht?“ Da ging ein unnachahmlicher Zug über das ganze Gesicht des Alten ‑ swienplietsch ist die richtige Bezeichnung für den Charakterzug des Alten ‑ und er polterte los:
„Wat hebben de beeden dwatschen Gcern Se denn hüt morgen vertellt? Dat mit de Bisse in'n Ruhrhalm dat kümmt jo nich von den Heiland, dat kümmt jo von'n Düwel her. Kieken S' eens, all de scheewen Bäken in dat ganze Land Meckelborg, de hett jo doch de Düwel mit sien Großmudder pläugt. As he nu bi de Recknitz wäst is, wier dat grad so'n heeten Dag un de blinden Fleegen, de Schulpusen, as wi seggen, de hebben de Ollsch so dull pisackt. As ehr dat to dull ward, dunn is de Ollsch kandessig worrn un is mit den Plaug un dat ganze Geschirr ümmer hen un her fohrt von een Äuwer to't anner, dorvon is de Recknitz so krumm worden. Toletzt hett se sick in ehr Wut in dat Ruhr fastbäten, wat dor is. Dorvon kamen de Bisse in den Ruhrhalm, mit'n Heiland hett dat nicks to don.“
Dieses Erlebnis ist für meine Sammeltätigkeit von entscheidender Bedeutung geworden.
Ich sagte mir: Wenn schon auf einem kleinen Gutshof bei drei Gliedern einer und derselben Familie für dieselbe Erscheinung des Pflanzenlebens drei voneinander abweichende und dabei in sich sinnvolle Erklärungen zu finden seien, so müsse ja ein unermeßlicher Reichtum an echtem Volksgut ans Licht kommen, wenn ich in zielbewußtem Wollen die ganze Heimat absuchen würde, um das Erbe der Väter vor dem Untergang zu retten.
Welche große Bedeutung Wossidlo dieser Begegnung mit dem Kuhfütterer Anders in Körkwitz beimaß, kann man auch daran erkennen, dass später ein großes Ölbild dieses einfachen Mannes in seinem Arbeitszimmer in Waren hing."
Zur Erinnerung an dieses für Wossidlos Lebensweg und Schaffensprozess so wichtige Erlebnis erhielt in den 1930er Jahren eine mächtige Linde in Körkwitz den Namen „Wossidlo-Linde“.
Auf alten Postkarten und Fotos ist die gewaltige Baum mit dem davor liegenden großen Gedenkstein mit der Inschrift „Wossidlo-Linde“ vielfach abgebildet.
In einem Brief, den Wossidlo 9.3.1935 an seine Nichte Grete Range in Ribnitz schrieb, erwähnt er seinen Gedächtnisbaum, den er auf der Fahrt mit dem Postauto von Ribnitz zum Fischland in Körkwitz erblickt hatte, mit folgenden Worten:
„Die Ribnitzer Beute habe ich gestern und vorgestern fürs Wörterbuch verarbeitet: über 500 Zettel, z. T. sehr wertvoller Art, hab ich einordnen können.
Ich sehne mich schon wieder nach Dändorf und Dierhagen: übrigens auf der Dienstag-Fahrt sah ich vom Auto aus Linde und Stein.“
Auch von der Körkwitzer Linde hing später ein Ölbild in Wossidlos Arbeitszimmer.

"Der Zettelmann"

Aufgeschrieben 1957 von Edmund Schroeder
Zu Beginn des Wintersemesters 1876 hatte ein munterer Mulus* seinen Einzug in die gastlichen Tore der Alma Mater Rostochiensis gehalten.
Sechs Jahre waren seitdem in das große Becken der Vergangenheit getropft. Er hatte damals bald sein Behagen im Schatten von St. Marien und St. Jakobi gefunden.
Es ließ sich alles gut an, ein Professor hatte Vertrauen zu dem jungen Studenten gefaßt und ihm eine dicke gelehrte Arbeit auf die Schultern gepackt, Randbemerkunen, die Scholien, zum Aristides.
Daß die Arbeit sich zu einer alles verschlingenden Lawine auswachsen würde, hatten weder Professor noch Student geahnt. Nun hing sie diesem wie ein schwerer Klotz am Bein. Sie wuchs und wuchs, und ein Ende war nicht abzusehen.
Das konnte ihn aber nicht hindern, von Zeit zu Zeit unbeschwerte Einkehr in einer kleinen Kneipe am Grünen Weg zu halten, in der aus dem Munde eingefleischter Rostocker Pfahlbürger und alter Fahrensleute so manches kernige plattdeutsche Wort ertönte, das einen eigenartigen Widerhall in der Brust des Studenten erweckte.
Denn ein feines Ohr für die Klänge der Volkssprache hatte er immer gehabt.
Warum bewahrte er eigentlich neben senen zahllosen Scholienzetteln immer noch das alte Blatt auf, auf dem er vor Jahren, noch als Bützower Schüler, ein Wort seiner Mutter aufgezeichnet hatte? "Mien Myrthenboom will oewer Johr gor nich to Blatt kamen", stand darauf.
Immer wieder hatte er das angegilbte Stück Papier in die Hand genommen, aber es in den Papierkorb zu werfen, dazu hatte er sich nicht entschließen können. Warum eigentlich?
Nun war das Jahr 1882 gekommen, und er war ein alter Student geworden, ein bemoostes Haus. Erst dreiundzwanzig Jahre alt zwar. Aber zwölf Semester? Gewiß, sie verliehen Würde, aber freuen konnte sich darüber niemand, weder die Mutter, noch die Freunde, noch er selbst.
Verbummelt? Ut em ward nix? Nein, so war es nicht, aber die verfluchte Scholienarbeit hielt ihn in ihren harten Klauen.
Da hockte er wieder - zum wievielten Male? - vor dem Regal, daß er sich für die verwünschten Scholienzettel hatte bauen lassen, und suchte und ordnete und sann.
Da klopfte es. Besuch? Sein alter Freund Karl Kirchner aus der Bützower Schulzeit, jetzt wohlgenährter Landmann in Gülzow bei Güstrow!
"Minsch Richard,wat makst du dor blot?" - "Ja, Karl, Arbeit, immer neue Arbeit! Aber fertig bringe ich sie doch!" - "Na wenn man, Richard! Letztes mal als ich hier war, war das Regal halb voll, und nun kannst du beinahe schon wieder anbauen. Wo soll das bloß hin?" -
"Karl,du mußt doch einsehen: sechs Jahre schufte ich mich schon daran ab.
Meinst du, ich kann das alles nun so einfach beiseite werfen? Und wenn? Blamiert bis auf die Knochen! Un dabei gibt es keinen, der in dem Kram so Bescheid weiß wie ich!" -
"So nu will ick di mal wat seggen, Richard! Du fährst dich fest, das Zeug nimmt dir kein Professor ab. Muffiges Heu! Laß dir raten. Weg mit dem Plunder, mach dein Examen und werde ein vernünftiger Schulmeister!
Da werden dir die Jungens schon beibringen, was lebendiges Leben ist! Also raus an die frische Luft! Pack deinen Koffer.
Um eins fährt der Zug nach Güstrow. Min Oll - du kennst em jo von´n Bützower Pierdmarkt her - is ok dor. De kann di immer noch wiesen, wat´ne läwige Sprak is, wenn´t ok man Plattdütsch is!" - "Was? Der Alte ist auch da? Und sein Plattdeutsch hat er noch nicht verlernt! Du, ich komme mit! Die Scholienzettel stiehlt mir unterdeß niemand!"
Als die Sone sank, lag Rostock weit hinter dem Rücken des Studenten.
Statt staubigen Büchergeruchs atmete er würzige Gülzower Landluft. Und dann sah man, wie der alte Student mit dem Freunde zu Felde ritt, wie er sich in den Ställen herumtrieb, wie er Einschau in die Leutekaten hielt, wie er hier mit Vadder Schult klöhnte und da mit oll Möllersch, beim Rademacher neben der Ziehbank saß und mit dem alten Schäfer Meyer ausdauernd ins Wetter schaute.
"Mensch, setze dich auf die Hosen und pauke für´s Examen! Ruhe hast du hier, und du brauchst nur zusammenzuharken, was du schon lange zusammengetragen hast", drang mehr als einmal Karl Kirchner in ihn.
Wozu hatte er denn den ewigen Studenten aus seinem Rostocker Zettelwust herausgefischt? Arbeiten sollte er, ans Examen denken! Und was tat der Mensch? Umherhummeln, dem Herrgott den Tag abstehlen, hier klönen, da zuhören, abends aus dem alten Kirchner mt seinem saftigen Mundwerk Geschichten, olle Kamellen und Schnäcke herausholen! Das tat er.
Zum verzweifeln war´s! Es schien ja alles vergebens zu sein. Und dabei, was für ein Spaß, wenn man hörte, wie er die Tagelöhner und die Gutshandwerker, jung und alt, Männlein und Weiblein, ausholte, wie er aus ihnen Döntjes und Redensarten herausquetschte, wie er sich die Tierstimmen deuten ließ, wie er an ihren Sorgen Anteil nahm, wie er aber auch mit ihnen lachte, wie er die maulfaulen Menschen allmählich gesprächig machte und wie sie auspackten und ihm anvertrauten, was sie sonst keinem hochdeutschen Stadtmenschen verrieten!
Vor diesem zu nichts nützen Stadtfrack hatten sie kein Geheimnis, sie, die sonst die Zähne nicht weiter auseinanderbrachten, als nötig war, um die Pfeife dazwischen zu klemmen. Merkwürdiger Mensch!
Aber seinen Knax hatte er doch weg! Stets hatte er ein Notizbuch zur Hand. Mitten in der Unterhaltung schrieb er mit seiner weit ausschwingenden Schrift auf, was er hörte, Geschichten, Rätsel, Redensarten oder auch nur ein einzelnes Wort.
Auf der Kommode im Fremdenzimmer stapelte es sich schon wieder. Netter Anfang! Wie lange noch, dann würde er sich dort ein Regal aufstellen lassen, just so eins wie in seiner Rostocker Studentenbude! Bloß dieses voll von all solchem plattdeutschen Dröhnschnack. Und man konnte dem Kerl nicht beikommen.
"Du Richard, denk ans Examen!" - "Ja, ja!" - "Mann, kannst du nicht begreifen? Zum Examen sollst du arbeiten!" - "Ja, ja, Kommt alles noch! Weißt du was der Schäfer mir heute erzählt hat?" - "Ach du mit deinem Schäfer! Wirst selber mal als Schäfer enden!" - "Wäre auch nicht schlecht!" - "Du bist verrückt!" - "Meinst du?"
Krachend fiel die Tür hinter Karl Kirchner ins Schloß. Morgens der Ärger mit den Hofjungs und nun auch noch mit diesem liebenswürdigen Tagedieb! Diesem ... diesem ... Na, lat em! Möt so verbrukt warden!
Aber böse sein konnte man dem Burschen doch nicht. Wenn er zum Beispiel abends aus dem Reuter vorlas. Großartig!
Aber was hatte er bloß immer beim Lesen mit dem Bleistift in dem Buch herumzumalen? Hier ein Strich, da ein Zeichen, das niemand verstand als er. Schade um das schöne saubere Buch!
Es war beinahe eine Erlösung, als man den Mann für ein paar Tage los wurde.
Er reiste zu den Verwandten nach Körkwitz am Ribnitzer Binnensee. Vieleicht kam er da auf andere Gedanken, vieleicht war da jemand, der es besser als sie hier in Gülzow verstand, ihm den Dickkopf zurecht zu setzen.
Luftwechsel ist in solchen verzweifelten Fällen immer gut.
Nach wenigen Tagen war der Student wieder da. "Na wie war´s? Haben sie dich wohl vor die Tür gesetzt?" - "prächtig war´s! Ich habe die ganze Zeit mit dem alten Kuhfütterer Anders und seinen Leuten zusammengehockt. Dagegen ist dein Schäfer ein Waisenknabe! Hör mal zu!"
Er holte aus der Rocktasche ein ganzes Bündel von Zetteln - Karl Kirchner sah seinen Freund entsagungsvoll an.
"Da, hier ist er: All de schäwen Bäken in ganz Mäkelborg hett doch de Düwel haakt mit sien Großmudder. As se nu hier bi de Recknitz sünd, is grad so´n heiten Dag, und Brookwihgen - so seggen wi doch to de groten Fleegen, de in´t Brok utbröden - un de Schuulpusen sitten de Olsch dull up´n Kittel un pisacken ehr. Do ward se tauletzt kandessig un ritt den eenen Strang kort. Nu geiht dat Fuhrwark jo ümmer hen und her, un in ehr Wut hett de Olsch sick in den Reet fastbäten, wat dor stahn hett, dorvon kamen de Bisse er - dree Tänen sünd noch in jedes Blatt -
Ist das nicht prächtig?" Und dabei holte er aus der unergründlichen Tasche ein Schilfrohrblatt, ein Reetblatt, hielt es dem verdutzten Karl vor die Augen und zeigte ihm voller Entdeckungsfreude die braunen Flecken, die die Blätter aufweisen.
"Ach Richard di is nich to helpen ", meinte kopfschüttelnd Karl Kircher, "aber interessant ist es doch eigentlich, was die Leute sich doch so alles torechtklüstern." - "Das will ich meinen." - :"Ja und dein Examen?" - "Steigt im nächsten Jahr!" - "Ganz gewiß?" - "Ganz gewiß! Hand drauf!" -"Na, Zeit wird´s auch! ... Übrigens, mein Alter hat schon immerzu gefragt, wann du wiederkämest. :Du kannst heute abend mal zu ihm auf die Stube gehen ... er hat so allerlei für dich ... Du wirst lachen, ich komme mit! Ich habe da neulich, als wir beim Schälen waren, so allelei von den Leuten aufgeschnappt. Vielleicht hast du ein paar von deinen Zetteln für meinen Kram übrig." - :"Mensch Karl alter Freund! Du hast was für mich? Das ist doch nicht dein Ernst?" -
"Jawohl! Es muß doch auch einmal etwas vernünftiges in deinen Zettelkasten kommen! - Aber wehe dir, wenn du im Examen durchfällst!"
Und der ewige Student hielt Wort. Er stieg ins Examen, und er fiel nicht durch, und er wurde ein Schulmeister, und er füllte ein langes und reiches Leben hindurch Zettel auf Zettel mit allem, was das mecklenburgische Volk sinnt, denkt und spricht.
Der alte Student hieß Richard Wossidlo.
Mit Stern (*) gekennzeichnete Begriffe siehe: Begriffserklärungen und Latein in der Geschichtsschreibung

"Die Zwölften" - unheimliches Treiben zwischen Weihnachten und dem 6. Januar

Auszug aus "Heigegeschichten" Wilfried Steinmüller 2001
Besonders die Wintermonate sind in unserer Küstenregion um den Jahreswechsel häufig von starken Stürmen geprägt. Wind fegt, nicht selten von Sturmfluten begleitet, über das Küstenland. "Die Zwölften" nennt man hier die Tage von Heiligabend bis zum 6.Januar. Sie spielen in den alten Volkssagen, besonders auch in den Dörfern der Rostocker Heide, eine große Rolle. Da ist die Rede von einem unheimlichen Sausen und Brausen in der Luft, von bösen Geistern, die in dieser Zeit ihr Unwesen treiben und Streiche spielen. Viele Mittel wussten unsere Vorfahren zu deren Vertreibung. So legte man einst am Heiligen Abend einen Schilling in die Trinkgefäße der Tiere, der bis Neujahr nicht herausgenommen werden durfte und dann im neuen Jahr in den Klingelbeutel der Kirche geworfen wurde. Vieles sollte man während der unheimlichen Zeit vermeiden, so das Spinnen, Waschen und Ausdüngen. Andere Verrichtungen wiederum sollten segensreich sein, wie das Dreschen von Saathafer sowie Haus und Hof zu fegen. Dabei sagte man besondere heilige Sprüche her.
Bei seinen Streifzügen durch die Dörfer der Rostocker Heide machte Professor Wossidlo beim Sammeln eine seltsame Endeckung. Wiederholt berichteten die Bewohner der Heidedörfer Überliefertes, als hätten sie es selbst erlebt: "Dor güng ick mal nachts dörch dat Dörp, un mit einmal brust dat dor baben, un wie ik hochkieken ded, dor säh ick dor Fru Waud (eine alte Gottheit, die besondes in den Tagen des Zwölften eine zentrale Rolle in den mecklenburgischen Volksüberlieferungen spielt) mit de gälen Hunn achtean jagen."
Oder man erzählte: "Min Nawer, de hett mal in de Twölften sine Dör uplaten, un dor hett em Wode eenen von sine gälen Hunn rinsmäten, de hett dat ganze Johr in´t Hus rümrackert un bellt un blafft, bet de Wode em dat nächste Johr wedder afhalt harr."
Die Art der Beschreibungen ließ erkennen, daß die Erzählenden selbst fest an den Wahrheitsgehalt der Sagen glaubten. Dabei spielte oft lebhafte Phantasie mit, die in jagenden Wolken am nächtlichen Himmel den dahinbrausenden Wotan mit seinen Hunden zu erkennen glaubte, rauschende Baumwipfel und Sturmgeräusche als deren Gebell interpretiert wurden.

"Vom Gaelknoeker" Wossidlos letzte unvollendete Arbeit - ein Sagenkreis aus Behnkenhagen

(Hans Erichson/ Wilfried Steinmüller 2013)

Im Rostocker Stadtarchiv liegt ein Manuskript über den Gälknoeker, das Richard Wossidlo 1938 wahrscheinlich bei der Stadtverwaltung Rostock einreichte, um die Druckkosten für ein Buch mit Gälknoeker-Sagen zu beantragen. Wilfried Steinmüller fand es, als er für sein Buch über die Rostocker Heide recherchierte. In seinem 2001 erschienenen Buch „Heidegeschichten“ schreibt Wilfried Steinmüller in dem Kapitel „Wossidlos letzte unvollendete Arbeit – ein Sagenkreis um Behnkenhagen“ (Seite 35/36) über den Fund dieses Gälknoeker-Manuskripts folgendes: „Vor wenigen Jahren fand sich in einem noch ungeordneten Bestand des Rostocker Stadtarchivs ein unscheinbares und unvollendetes Manuskript aus den dreißiger Jahren. Es war die Sammlung und wissenschaftliche Auswertung des mehrere hundert Beispiele umfassenden Sagenkreises um die Gestalt des "Gaelknoekers" der auf seinem Berg am südlichen Ortsrande von Behnkenhagen wohnen soll. Wossidlo bezeichnete darin die Sagen um diese Gestalt als den lebendigsten und umfangreichsten geschlossenen Sagenkreis seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit. Er war sich sicher, dass hier ein historisch wichtiger Platz aus grauer Vorzeit in der Volksüberlieferung fortlebt.“ Von Steinmüller erhielt ich eine Kopie dieses Gälknoeker-Manuskripts und wertete sie aus. Auch im Briefwechsel zwischen Wossidlo und Richard Suhr, der sich im Ribnitzer Museum befindet, fand ich hierzu noch folgenden Hinweis:

Sehr verehrter, lieber Herr Kollege!
Waren 20 VII. 38
Nehmen Sie Dank für Ihre treue Hilfe. Es wird Sie freuen zu hören, daß der Druck des ersten Sagenbuches begonnen hat: :Ich erwarte morgen die erste Korrektur. Die Schwierigkeiten wachsen von Tag zu Tag ‑ bei der endgültigen Gestaltung entdeckte ich doch, daß ich allerlei einfügen muß, was ich fortlassen wollte (Viting in Parchim etc. etc.) .......
Die Stadt Rostock hat vorläufig M 1000 für das Gälknoekerbuch bewilligt, wird aber wohl weitere M 1000 hergeben:
das Kuratorium hat die Verhandlungen geführt.
Ich habe eine eingehende Darlegung über die Bedeutung des Sagenkreises über den Gälknoeker dem Ausschuß vorgelegt; leider hab ich keine Abschrift genommen.
Wenn Dr. Beckmann von seiner Mittelmeerreise zurück ist, will ich sehen, ob er Ihnen eine Abschrift zusenden kann.
Ich erlebe wieder sehr viel: unaufhörliche Besuche, Anfragen von Gelehrten etc. etc, Vorgestern waren meine Hamburger Verwandten (Kinder meines Bruders) bei mir ‑ die Ribnitzer erwarte ich.
Mit herzlichem Gruß Ihr dankbarer R. Wossidlo

:(Wossidlo hat, wie oben erwähnt, zwei Bände mit Sagen herausgegeben, darin sind aber keine Gälknoeker-Sagen enthalten. :Offensichtlich bereitete er ein Buch mit Gälknoekersagen vor, das aber unvollendet blieb.)

Diesem Manuskript liegt ein Brief von Prof. Dr. Burmeister bei, der an den Vermessungsingenieur Büring gerichtet ist und so eine Datierung ermöglicht:
Professor Dr. Burmeister
den 23. Dezember 1938
Seestadt Rostock, Arndtstr. 3
Herrn
Vermessungsdirektor Büring
Seestadt Rostock.
Lieber Büring!
Anliegend gebe ich Dir das Manuskript vom Gälknoeker mit vielem Dank zurück.
Ich habe es noch einige Male gelesen und ich muss sagen, ich freue mich sehr auf das Erscheinen des vollständigen Werkes.
Dir und Deiner Familie wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest und gesundes, neues Jahr.
Dein (Unterschrift) Burmeister
(Hans Erichson)
(Das Original der Schreibmaschinenabschrift ist aus dem Jahre 1938.)