Güstrow/Türmerwohnung - Pfarrkirche St. Marien

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Türmerwohnung - Pfarrkirche St. Marien

Studie der Arbeitsgruppe „Türmerwohnung in der Pfarrkirche St. Marien"

Ein Wort in eigener Sache:

Es war zunächst das Bestreben der vom Kirchgemeinderat der Pfarrkirche berufenen Arbeitsgemeinschaft „Türmerwohnung“ (AGT), Erkenntnisse über das Leben der Türmer der Pfarrkirche zu sammeln und schließlich in der kleinen Behausung die Wohnsituation des letzten Türmers um die Zeit 1913/1920 nachzubilden.

Der Architekt wurde zu denkmalpflegerischen und baulichen Aspekten und Möglichkeiten hierzu gehört. Da die Reaktionen auf einen Aufruf der AGT an die Güstrower Bevölkerung in der SVZ und die Bitten beim Museum um Unterstützung keine Ausstattung der Wohnung mit Mobiliar und Haushaltsgegenständen der 1910/1920er Jahre ermöglichte, haben wir uns entschlossen, von der zeitgemäßen Ausstattung der Räume abzusehen und die zahlreichen verschiedenartigsten Fundstücke, die bei den Bauarbeiten im Turm gefunden wurden, auf einfachste Weise in dem mittleren Raum auszustellen. In dem größten der drei Räume ist die Figur eines Türmers mit seinen Utensilien (Feuerfahne, Laterne, Blashorn, Trompete und Sprachrohr) zu sehen. Schautafeln über das Leben der Türmer haben außerhalb der Türmerwohnung einen Platz gefunden.

Arbeitsgruppe Türmerwohnung

Dieter Kölpien (Vors. AGT), Gernot Moeller, Wolfgang Leppin, Jürgen Wiechmann, Arved Hammermeister, Dieter Kandzia.

Die Besteigung des Turmes ist in mehrfacher Sicht ein Erlebnis besonderer Art.
Blicke auf den Turm der Pfarrkirche Sankt Marien zu Güstrow

Der Eid der Türmer der Pfarrkirche Sankt Marien zu Güstrow

(Der Text des Eides wurde wahrscheinlich vom Stadtsekretär Heinrich Benox vom Original in lesbaren Text transkribiert)

Der Eid der Turmwächter in Güstrow lautete

Ich, (Vornamen Nachnahmen des Vereidigten ) schwöre zu Gott einen körperlichen Eid, daß, da ich von Bürgermeister und Rat als Wächter über der Stadt auf dem Pfarrkirchturm gesetzet, ich Tag und Nacht fleißig Achtung auf die Stadt haben, wenn ich Feuergefahr in der Stadt und Vorstädten merken sollte, sofort die Sturmglocke läuten, und des Nachts die gewöhnlichen Stunden sowenig am Gebäude, als sonsten den darunter seyenden Gewölbe und Glocken ein Schade auf irgend eine Art und Weise zugeführt werden solle, zu solchem Behufe dahin beständigst sehen und ein wachsames Auge haben, daß die Glockenläuter bei ihrer Arbeit in Person selbst erscheinen und weder ihre Frauen und Kinder noch sonsten andere an ihre Stelle die Glocken ziehen und treten lassen sollen, und sooft ich eine Unordnung wegen überflüssigen Trinkens und sonsten hierunter vernehme, solches sofort dem worthabenden Hrn. Bürgermeister anzeigen, dann auch, wann mir bei der Kirche zu beschaffende Monitur anvertraut werden sollte, dieselbe ehrlich und treu verwalten und die eintreibenden Gelder richtig abgeben und nicht zu meinem Nutzen verwenden will. Alles, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort. (1817)


Vorläufer der Türmer

Schon vor den vereidigten Türmern wurde auf dem Turm der Pfarrkirche neben den Türmern auch von den "Kunstpfeiffer" der Stadt Güstrow Wache gehalten.

Die Stadt Güstrow verfügte schon sehr früh - zumindest seit 1592 - über eine eigene Musikkapelle unter der Leitung eines vom Magistrat angestellten "Kunstpfeiffers".

Er war verpflichtet, mindestens drei weitere Musiker in seinen Dienst zu nehmen und von sich aus zu bezahlen. Zu den Aufgaben dieser Kapelle gehörte es u. a. im Jahre 1600, neben dem Türmer die Wacht auf dem Pfarrkirchturm zu halten und täglich 3 mal, morgens um 3, mittags um 10 und abends um 8 Uhr (im Sommer um 9) mit seinen Gehilfen vom Turm zu blasen, mittags um 12 Uhr auf dem Turm die "Betglocke" anzuschlagen.

Im Jahre 1614 betrug sein Gehalt 76 Gulden (40 Gulden vom Rathause, 30 Gulden für die Turmwacht, 3 Gulden für das Anschlagen der Betglocke und 3 Gulden für das Läuten der Wächterglocke), dazu kamen 1 drombt Roggen vom Stadthofe und 4 Scheffel Korn aus der Mühle sowie 11 Fuder Holz und freie Wohnung auf dem Rathause in den Räumen der Stadtwaage. Nicht zuletzt gehörte auch zu seinen Pflichten, die Uhr auf dem damals noch vorhandenen Rathausturm bei Bedarf zu stellen.

1637 stellte der Magistrat Johannes Schultz aus Magdeburg ein, der sich wieder verpflichtete, seine Wohnung auf dem Turm der Pfarrkirche zu nehmen. 1644 erhielt sein Nachfolger bereits wieder eine freie Wohnung in der Stadt. Als Entgelt erhielt er 20 Gulden von den Vorstehern der Pfarrkirche, 10 Gulden vom St.-Jürgens-Hospital, 10Gulden von der Gertruden-Kapelle und 10 Gulden vom Rathause. Dazu kamen noch 20 Gulden für die halbe Wacht auf dem Turm, da dieser inzwischen von einem ständigen Wächter besetzt war.

Aufgaben der Türmer der Pfarrkirche Sankt Marien zu Güstrow

Der Türmer hatte früher die Aufgabe, nachts jede Stunde ein Hornsignal zu blasen. Wenn irgendwo in der Stadt ein Feuer bemerkt wurde, rief er durch ein blechernes Sprachrohr „Führ“ und hängte eine Laterne aus dem Turm. Wenn es stark brannte, läutete er eine Glocke.

Der Türmer gehörte auch zu den ersten Güstrowern, die 1892 an die Stadtfernsprechanlage angeschlossen wurden. Dadurch bestand eine Verbindung zwischen Nachtwachenzimmer im Rathaus und zur Wohnung des Stadtschreibers, der neben dem Spritzenhaus in der Baustraße 3, in dem sich einst von 1854 bis 1874 die Güstrower Staatstelegrafenstation befand, wohnte.

In Richtung Westen befindet sich noch immer eine größere gaubenartige Öffnung, über die der Türmer und seine Familie, täglich mittags um 12 Uhr, einen Korb mit Lebensmitteln über einen Aufzug heraufzog.

Noch bis 31.12.1920 wohnte im Turm der Pfarrkirche ein Turmwächter mit seiner Familie. Seine Behausung bestand aus drei sehr kleinen Räumen. In dem größten Zimmerchen (ca. 8 m2) befand sich einmal ein Ofen, im Raum daneben gab es einen Herd. Die dürftigen Räume befinden sich oberhalb der Glockenstube und unterhalb des nach Norden sichtbaren Ziffernblattes der Turmuhr. Unterhalb der Ziffernblätter der Turmuhr nach Norden, Osten und Süden befinden sich noch heute kleine Fenster, aus denen Tag und Nacht Ausschau und damit Brandwache gehalten wurde.

In Nachbarschaft der heutigen Uhrenstube befindet sich die Wohnung der ehemaligen Türmer. Eine außerhalb der Türmerwohnung angebrachte Dokumentation gibt Auskunft über den zu leistenden Eid der Türmer, über ihr Einkommen, ihre Pflichten und über die letzte Türmerfamilie, die bis zum 31.12.1920 auf dem Turm lebte.

Die Vergütung der Turmwächter der Stadt Güstrow

Ein Turmwächter hatte freie Wohnung auf dem Pfarrkirchturm nebst 10 Fuder Holz mit freier Anfuhr als Feuerung. Sein Bargehalt erhielt er aus verschiedenen städtischen und auch aus der Kirchenkasse. Aus der Cämmereikasse wurden gezahlt: um 1700: 9 Gulden, 1780: 7 Reichstaler, 1810: 42 Reichstaler, 1850: 67 Reichstaler, 1912 wurde das Gehalt auf 800 RM festgesetzt, das jetzt aus der Brandkasse zu zahlen war. Daneben erhielt er freie Wohnung auf dem Turm und 6 Faden Buchenschoßholz, sowie aus der Kirchenkasse 71 Reichsmark (RM)

Die Türmer der Pfarrkirche Sankt Marien zu Güstrow von 1718 bis 1920

(Name des Türmers und Datum der Vereidigung für die Anstellung als Türmer)

Michael Gilmeister
02.11.1718
Christian, Adam Buchholtz
03.10.1727
Johann, Michael Diederichs
30.09.1739
(Durch einen Zufall las diesen Text die Familienforscherin Cornelia Diederichs aus Niedersachsen im Jahre 2013 und schrieb uns per E-Mail dazu, dass der Türmer Johann Michael Diederichts mit seiner Ehefrau 5 Kinder hatte und deren Sohn Carl Christtian Christian zu seiner Zeit zum Postrat in Güstrow aufsteigen konnte, während dessen Vater nur seinen eigen Namen schreiben konnte. Sie vermutet, dass der damalige Prediger der Pfarrkirche, Joachim Hinrich Schönberg, möglicherweise die Begabung des Kindes erkannte und es förderte).
Nicolaus, Christoph Wehrmann
27.02.1767
Bäcker Johann Friedrich Klempien
27.03.1793 , Rücktritt Ostern 1816 zu Gunsten seines Sohnes
Weinküper Christian, Friedrich, Ferdinand Klempien
20.03.1816, Absetzung 1824 wegen Trunkenheit.
Schneidermeister Christian, Johann, Nicolaus Eichhorn
26.06.1824, 1850 Ruhestand
Webermeister Joachim, David, Passehl
19.03.1850
† 31.07.1875
Schuhmacher Eduard, Alexander, Theodor Schwingendorf
02.10.1875
† 11.02.1892
Cämmereiarbeiter Christian, Friedrich Babendererde
15.03.1892
Wird 1901 Wasserleitungsaufseher
Carl, Johann, August Dobbertin
11.01.1901
Wird 1904 Träger
Feldhüter Adolf Hochmuth
01.02.1904
Wird 1913 Pfarrküster
Schneider Franz Scherping (letzter Türmer)
30.10.1913 auftragsweise.
Wird 31.12.1920 entlassen und Kirchendiener im Dom.


Der letzte Türmer

Noch bis 31.12.1920 wohnte im Turm der Pfarrkirche zu Güstrow der letzte Turmwächter Franz Scherping. In diesen bescheidenen Räumen wohnte das letzte Türmer-Ehepaar mit zwei Kindern. Die verwinkelte Behausung wurde in der Vergangenheit mehrfach umgebaut, wovon verschiedene Anstriche und Tapetenreste zeugten.

Zuletzt bestand sie aus drei sehr kleinen verwinkelten Räumen. In dem größten Zimmerchen (ca. 12m2) befand sich einmal ein Herd oder Ofen, daneben außerhalb unter dem Dachboden gab es eine offene(!) Feuerstelle mit einem Rauchfang. Der letzte Türmer übte seine Tätigkeit vom 30.10.1913 bis 31.12.1920 aus. Im Adressbuch von 1914 und 1917 wird er als Turmwächter erwähnt, seine Postanschrift war „Markt 1“, diese Postanschrift hat noch heute das Güstrower Rathaus.

Franz, Carl, Daniel, Conrad Scherping wurde am 06.04.1882 in Krakow am See geboren und verstarb 1945 in Güstrow.

Er war von Beruf Schneider und hatte mit seiner Ehefrau Luise, Wilhelmine, Caroline geb. Detlof, die 1952 verstarb, die beiden Kinder Willi und Irma. Die Tochter Irma, Sophie, Berta Scherping wurde 1918 in der Türmerwohnung geboren. Sie war die letzte „hoch(wohl)geborene“ Güstrowerin.

Sein Vorgänger Adolf Hochmuth hatte zuvor zeitweilig sogar mit seiner Ehefrau und fünf Kindern den Turm bewohnt.

Damit endete die über vier Jahrhunderte andauernde Tätigkeit der Türmer in Güstrow

Die Wohnung der Türmer

Die Wohnung der Türmer der Pfarrkirche Sankt Marien zu Güstrow

Es gelang uns nicht, die Türmerwohnung als Arbeits- und Wohnstätte des Türmers und seiner Familie einzurichten. Dafür stellten wir in der alten Türmerwohnung Fundstücke aus, die bei der Renovierung des Turmes gefunden wurden.